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50 ist nicht gleich 50! Verbot vieler Kulturveranstaltungen in Wiesbaden dringend überdenken – Fatale Folgen

Kulturveranstalter und -akteure lassen sich nicht unterkriegen und haben Formate und Konzepte für Veranstaltungen mit beschränkter Publikumszahl ausgetüftelt. Der Schlachthof hat zum Beispiel seine große Halle für kleine Theater geöffnet, das kuenstlerhaus43 veranstaltete zum Beispiel einen erfolgreichen Poetry Slam. Eine weitere Reduzierung der Publikums-Obergrenze dürfte nun wieder zahlreichen Veranstaltungen – und im schlimmsten Fall auch Veranstaltern – den Garaus machen. Foto: kuenstlerhaus43

Kommentar von Dirk Fellinghauer.

Dass Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie ergriffen und immer wieder aktuellen Situationen angepasst werden müssen, steht außer Frage. In diesem Sinne macht es sicherlich auch Sinn, dass die Stadt Wiesbaden auf die jüngst gestiegenen Infektionszahlen reagiert. Auch das, was die Stadt entschieden hat – Veranstaltungen über 50 Personen für zunächst vier Wochen zu verbieten – erscheint auf den ersten Blick plausibel. Spätestens auf den zweiten Blick aber fällt auf: Es gibt einen Unterschied zwischen „50“ und „50“. Ein Pauschalverbot aller „50+“-Veranstaltungen erscheint bei genauem Hinsehen unverhältnismäßig, in der Konsequenz sogar verhängnisvoll. Man kann die Verantwortlichen nur eindringlich bitten: Denkt nochmal nach. Bessert nochmal nach. Differenziert bitte zwischen „50“ und „50“.

Den Unterschied macht die Art der Veranstaltung. Privatfete oder Kulturereignis? Den Unterschied macht, ob ich auf eine private Feier oder Party gehe, bei der es Alkohol gibt oder gar – nicht unwahrscheinlich – in Strömen fließt und ich dann – nicht auszuschließen und irgendwie auch nur allzu menschlich – früher oder später die eigentlich so einfache AHA-Formel „vergesse“. Oder ob ich „brav“ eine Kulturveranstaltung aufsuche, eine Lesung vielleicht oder auch eine Theateraufführung, einen Kinofilm oder ein Konzert – all dies an Orten mit sorgsam ausgeklügelten und in aller Regel penibel eingehaltenen Abstands- und Hygienekonzepten, an fest zugewiesenen Sitzplätzen, in angemessen großen und gelüfteten Räumen oder gar draußen unter freiem Himmel.

Feierlichkeiten, nicht Kulturevents, für steigende Infektionszahlen mitverantwortlich

Es ist ein Unterschied, ob ich eine ausgelassene Sause oder eine reglementierte und „formatierte“ Kulturveranstaltung besuche – auch, und darum geht es, was das Infektionsrisiko angeht, dem ich mich selbst aussetze und dem sich andere aussetzen. Gesundheitsdezernent Oliver Franz hat dem Wiesbadener Kurier gegenüber klar gesagt, dass „gerade bei Feiern in den Abendstunden und mit steigendem Alkoholeinfluss die Abstands- und Hygienemaßnahmen nicht mehr eingehalten wurden“ und dass neben Reiserückkehrern „auch Feierlichkeiten wie zuletzt in der Villa im Tal“ für steigende Zahlen verantwortlich seien. Kulturveranstaltungen erwähnte er in dem Zusammenhang nicht.

Man könnte diese Unterschiede ignorieren, wenn hier nur jemand in Sorge wäre, nicht genügend Zerstreuung zu bekommen und deshalb nicht auf „seine“ Lesung, „sein“ Theaterstück oder Konzert verzichten will. Man kann diese Unterschiede aber spätestens dann nicht ignorieren, wenn man darüber nachdenkt, welche Konsequenzen zu diesem Zeitpunkt ein Verbot für 50+-Kulturveranstaltungen hat. Für ohnehin schon schwer gebeutelte Veranstalter und Einrichtungen, die sich mühsam auf die derzeit geltenden Regeln – Obergrenze 250 – eingestellt haben, Formate entwickelt und Bestehendes angepasst haben und zaghaft-zuversichtlich in Richtung Rückkehr zu Veranstaltungen waren und sind. Sie reagieren auf die „Maximal 50“-Nachricht schockiert. Sie sind frustriert, manche paralysiert. Mit maximal 50 verkauften Karten machen viele Veranstaltungen schlichtweg keinen Sinn, geschweige denn Gewinn. Nicht für ein Staatstheater, nicht für einen Schlachthof, nicht für ein Kino und nicht für eine freie Bühne. Eine solche erneute Reduzierung der Publikums-Obergrenze dürfte nun wieder zahlreichen Veranstaltungen – und im schlimmsten Fall auch Veranstaltern – den Garaus machen. Es wären fatale und verheerende Konsequenzen.

Kultur muss in unserer Stadt, ohne Gesundheit zu gefährden, möglich bleiben

Und deshalb kann man die Verantwortlichen – vorneweg Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende, Bürgermeister und Gesundheitsdezernent Dr. Oliver Franz und Gesundheitsamtsleiterin Dr. Kaschlin Butt, die die Maßnahme gemeinsam beschlossen und verkündet haben – nur eindringlich bitten: Denkt nochmal nach. Bessert nochmal nach. Differenziert bitte zwischen „50“ und „50“. Überdenkt, gerne auch unter Hinzuziehung von Kulturdezernent Axel Imholz, spätestens bei eurem nächsten Zusammentreffen an diesem Mittwoch, das Verbot von „50+“-Kulturveranstaltungen. Und solltet ihr einen Verzicht auf das Verbot kategorisch ausschließen: Ermutigt die Verantwortlichen beim Gesundheitsamt, die ab sofort erforderlichen Anträge auf Genehmigungen von Kulturveranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmern so großzügig und wohlwollend zu behandeln und zu prüfen, wie es nur geht. Mit dem Ziel, dass Kultur – ohne dabei Gesundheit zu gefährden – in unserer Stadt so gut wie nur möglich weiterhin möglich bleibt. Der Applaus derer, die Kultur „brauchen“, um zu „leben“, vor allem aber jener, die Publikum brauchen, um zu überleben, ist euch sicher.

 

2 responses to “50 ist nicht gleich 50! Verbot vieler Kulturveranstaltungen in Wiesbaden dringend überdenken – Fatale Folgen

  1. Danke für diesen Bericht und die darin ausgeführte Meinung. Gerade in diesen Zeiten muss die Politik und die Verantwortlichen ein Gespür entwickeln und Reglementierungen finden, die gerade die nicht „bestrafen“ die sich an alle Regeln und Hygienekonzepte halten, gerade im Bereich Kultur. Das gilt natürlich auch für alle vernünftigen und verantwortungsvollen Gastronomen, Geschäftsinhaber usw.. Sie leiden mal wieder für die Dummheit und Unvernunft anderer und verlieren u.U. ihre Geschäfts- und Lebensgrundlage. Diese Skrupellosigkeit lässt einen erschauern.

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