Von Leonard Laurig. Fotos Arne Landwehr.
Mirko Korder sitzt am Spielfeldrand der Klarenthaler Sporthalle und beobachtet, wie sich die zehn Rollstühle temporeich und quietschend über den Hallenboden bewegen und dabei geschickt den in der Mitte stehenden Mann umkurven. „Er lebt durchaus gefährlich“, schmunzelt Korder, „aber wirklich passiert ist ihm noch nie etwas.“ Gemeint ist Clifford Fisher, der Trainer der Rhine River Rhinos, die seit dieser Saison in der ersten Rollstuhlbasketball-Bundesliga spielen. Korder war früher selbst als Rollstuhlbasketballer aktiv. Nun ist er der Manager des Wiesbadener Teams, das in kürzester Zeit eine beeindruckende Entwicklung hinlegte. Erst vor vier Jahren wurde der Verein gegründet, direkt im ersten Jahr gelang der Aufstieg in die 2. Bundesliga, bald darauf folgte dann der Durchmarsch in die höchste deutsche Spielklasse. Ein riesen Erfolg für den jungen Verein und den Standort Wiesbaden. Doch trotz des sportlichen Höhenflugs der Rhinos scheint die Sportart und die Mannschaft um Korder und Fisher in der breiten Öffentlichkeit noch nicht viel Lärm verursacht zu haben. Bisher sind sie auf eher leisen Rollen Richtung Erfolg unterwegs.
„Die Leute haben leider immer noch die Vorstellung, dass hier ein Behindertensport betrieben wird, der eine soziale Funktion erfüllt“, erklärt Korder. Dabei ist Rollstuhlbasketball viel mehr als eine Beschäftigungsmaßnahme für Menschen mit Behinderung. Es hat sich zu einer professionellen Sportart entwickelt, die eine attraktive Dynamik besitzt, mit der sich Geld verdienen lässt und auch von Fußgängern, also „nicht-behinderten“ Menschen ausgeübt wird.
„Bei uns spielt Behinderung keine Rolle“
Inklusion wird nicht nur bei den Rhinos großgeschrieben. Rollstuhlbasketball zeichnet sich im Allgemeinen dadurch aus, dass – zumindest in nationalen Wettbewerben – Männer und Frauen sowie Menschen mit und ohne Beeinträchtigung den Sport gemeinsam betreiben. „Bei uns spielt Behinderung keine Rolle“, sagt Mirko Korder voller Überzeugung: „Wenn jemand bei uns durch die Tür kommt, sieht keiner mehr, ob er eine Behinderung hat oder nicht“. Was als Floskel verstanden werden kann, ist aufrichtig gemeint. Es ist genau dieses Bewusstsein für Inklusion, das den Sport ausmacht und auch als Breitensport attraktiv werden lässt. Um den Wettbewerb trotzdem fair zu gestalten, wurde ein Punktesystem entwickelt, das die Spielerinnen und Spieler je nach Schwere des Handicaps klassifiziert. Im dreizehnköpfigen Kader der Rhinos fallen acht Spieler in die Kategorie „starkes“ bzw. „mittelstarkes Handicap“. Fünf von ihnen gelten laut Klassifizierung als „nichtbehindert / minimalbehindert“ und benutzen den Basketballrollstuhl daher als reines Sportgerät.
Profikarriere im Rollstuhl
Zu ihnen zählt die kanadische Nationalspielerin Janet McLachlan, die mit einer Klassifizierung von 4.5 Punkten als „minimalbehindert“ eingestuft wurde. Die 39-jährige Centerin zählt zu den besten Frauen im Rollstuhlbasketball weltweit und ist auch bei den Rhinos eine der Leistungsträgerinnen. Fast alle Kadermitglieder sind aktive oder ehemalige Nationalspieler und verfügen über internationale Erfahrung, wie John McPhail, der als Neuzugang von den Dallas Wheelchair Mavericks in die hessische Landeshauptstadt kam und 2010 mit Australien Weltmeister wurde. Kein Wunder also, dass im Training und während der Spiele auf Englisch kommuniziert wird. Doch auch junge deutsche Talente, wie Matthias Günter und Lukas Jung, gehören zum Kern der Mannschaft. Bei der vor kurzem zu Ende gegangen U22-Europameisterschaft sicherten sich die beiden Youngsters mit der deutschen Nationalmannschaft die Bronzemedaille.
Fast die komplette Mannschaft der Rhinos besteht aus Profis, die von ihren Spielergehältern ganz oder zum Großteil leben. Zwar lässt sich im Rollstuhlbasketball nicht so viel verdienen wie in den großen, populären Sportarten, allerdings wurde in den letzten Jahren mächtig aufgerüstet. Die Top-Spieler in der deutschen Bundesliga verdienen bis zu 5.000 Euro pro Monat. Serdar Antac, einer der erfahrensten Spieler im Wiesbadener Team, spielte bereits bei einigen deutschen Vereinen in der Bundesliga, wurde aber auch schon mehrfach türkischer Meister mit Galatasaray Istanbul und schwärmt von dem professionellen Umfeld des internationalen Spitzenclubs: „Dort kann man vom Rollstuhlbasketball schon richtig gut leben.“
Schwierige Finanzierung
Solch komfortable Bedingungen herrschen bei den Wiesbadener Rhinos noch nicht. Das Budget ist begrenzt, außerdem fehlt es an Aufmerksamkeit und Interesse für die Sportart in der breiten Öffentlichkeit. Die Heimspiele der Rhinos sind meist nur mäßig besucht, das war allerdings auch schon anders. „Letztes Jahr hatten wir Spiele, bei denen die Halle komplett voll war, da waren 450 Zuschauer hier. Dann waren es auch mal wieder nur 200“, resümiert Korder. Die Gründe dafür seien schwierig zu finden, ein gutes Marketing sei jedoch ein entscheidender Faktor. Dazu braucht es allerdings auch zahlungswillige Sponsoren. Mit der IFB-Stiftung haben die Rhinos einen wichtigen Unterstützer an ihrer Seite, auch heimische Unternehmen sind bereits aktiv geworden. Um finanziell mit den besten Clubs der RBBL mithalten zu können, reicht das allerdings noch nicht. Das weiß auch Lothar Herborn. Der Wiesbadener Behindertensportbeauftragte besucht regelmäßig die Heimspiele der Rhinos und kennt die Probleme der Finanzierung: „In dieser Phase ist es sehr schwierig, Sponsoren zu generieren, man muss von Saison zu Saison planen und versuchen, das nötige Budget zusammenzubekommen.“ Dennoch wollen sich die Wiesbadener Nashörner auf ihre sportlichen Ziele konzentrieren. Die aktuelle Tabellensituation verspricht einiges, die Hinrunde wurde auf dem sensationellen vierten Platz abgeschlossen, was den Liga-Neuling von den Playoffs träumen lässt.
Vorbild ist der „FC Bayern München des Rollstuhlbasketball“
Doch Trainer Clifford Fisher mahnt zur Zurückhaltung: „Die Rückrunde wird nochmal wesentlich härter. Es wäre falsch, jetzt schon von den Playoffs zu reden.“ Langfristig gesehen möchte der Coach, der bereits die Nationalmannschaften von Italien und Belgien trainierte, aber schon mit der Ligaspitze mithalten. Der absolute Titelfavorit ist auch in diesem Jahr wieder der RSV Lahn-Dill aus Wetzlar. Der Rekordmeister der RBBL gilt als der FC Bayern München des Rollstuhlbasketballs und ist auch in dieser Spielzeit noch ungeschlagen. Coach Fisher schätzt die Qualität des hessischen Konkurrenten, weiß aber auch um die Stärke seiner Mannschaft: „Mein Ziel ist es, das Team von Spiel zu Spiel besser zu machen, um irgendwann an das Niveau von Lahn-Dill heranzukommen.“ Perspektivisch wünscht sich auch Mirko Korder, mit dem Ausnahme-Team aus Mittelhessen mithalten zu können. Der Gewinn eines internationalen Titels, sowie die Teilnahme am Champions Cup, dem höchsten europäischen Wettbewerb, sind ebenfalls erklärte Ziele. Wer weiß, vielleicht wird es schon bald lauter um den Rollstuhlbasketball in Wiesbaden.
Das nächste Heimspiel der Rhine River Rhinos ist am 4. März (18 Uhr, RBS Thuringia Bulls). www.rhine-river-rhinos.de
Bundesligasport in Wiesbaden
Es sind eher Sportarten abseits des großen Rampenlichts, in den Wiesbaden ganz oben mitspielt: SV Wehen Wiesbaden (Fußball, 3. Bundesliga), VCW Volleyball Club Wiesbaden (Volleyball, 1. Bundesliga Frauen), Wiesbaden Phantoms (American Football, Germann Football League 2), JCW Judoclub Wiesbaden (Judo, 1. Bundesliga Frauen), La Boule Joyeuse (Boule, 1. Deutsche Petanque Bundesliga), Golf-Club Main Taunus (Golf, 2. Bundesliga Damen).