Interview Dirk Fellinghauer. Foto Arne Landwehr.
BERUF
10 Jahre Kulturfonds Frankfurt RheinMain, 5 Jahre Geschäftsführer Helmut Müller – wie hat sich die Institution entwickelt, welche Akzente haben Sie gesetzt?
Zunächst stand das Ziel, die kulturellen Leuchttürme der Region zu stärken, im Vordergrund. Da finden sich aber viele kleine Städte und Gemeinden nicht wieder. Deshalb haben wir den Aspekt der Vernetzung und der Förderung auch kleinerer Projekte ausgebaut. Wir machen nun auch eigene Projekte, wie etwa die Weltmusik-Reihe. Hinzu kommen neue Felder wie das Crowdfundingprojekt „KulturMut“ und „Kunstvoll“, das Bildungsprojekt. Zudem machen wir intensiv Öffentlichkeitsarbeit. Man muss schon schauen, dass der Fonds auch bemerkt wird. Wir haben auch ein sehr gut besetztes Kuratorium. Das sind sehr hochkarätige Fachleute aus der ganzen Bundesrepublik, die die Szenen kennen und keine eigenen Interessen haben. Es ist spannend, weil man auch mitbekommt, was an anderen Orten und Plätzen so passiert. Das ist eine tolle Vernetzung.
Das Denken in Regionen ist ein zentrales Anliegen Ihrer Förderpolitik. Wird das auch vom potenziellen Publikum verstanden und praktiziert?
Es funktioniert immer besser. Es ist nicht leicht, weil die Städte in Rhein-Main alle sehr auf ihre Autonomie bedacht sind. Ich glaube, jetzt ist ein Moment da, wo es beginnt, sich zu verändern. Im Kulturbereich früher, weil er flexibler und offener ist. Für mich ist der Kulturfonds im Moment der einzige Platz, wo wirklich ernsthaft über regionale Kulturpolitik diskutiert wird. Aber auch in anderen Politikbereichen tut sich was. Deshalb sehe ich im Moment wirklich eine Chance, dass hier regionale Dinge passieren. Ein Beispiel ist die Tanzplattform RheinMain: Der Mousonturm Frankfurt als Tempel der freien Szene macht gemeinsame Sache mit zwei Staatstheatern, Wiesbaden und Darmstadt. Das gibt es nicht an vielen Plätzen der Republik.
Muss uns Kultur in turbulenten und verstörenden politischen und gesellschaftlichen Zeiten mehr wert sein?
Es ist wichtiger denn je. In Zeiten, wo so alte Gewissheiten zerbröseln, wo man nicht ins Regal greifen kann und gucken, wie man ein Problem löst, da ist erst mal Kreativität gefragt. Und neue Formen der Kommunikation. Die deutschen Städte waren geprägt durch die Kommunikationsplätze Rathaus, Wirtshaus, Kirche. Und heute? Die Rathäuser sind mit sich selber beschäftigt, die Wirtshäuser haben wirtschaftliche Schwierigkeiten, und die Kirchen waren auch schon mal voller. Ich glaube, dass Kulturorte heute eine unglaublich wichtige Funktion haben für die Meinungsbildung. Wo reden denn Leute noch über irgendwas? Varianten zu entwerfen, das macht Kunst spannend. Man wird in eine zwingende Situation reingezogen. Man wehrt sich vielleicht dagegen, aber man beschäftigt sich in einer Art und Weise mit etwas, wie man es sonst nicht machen würde.
Gibt es Beispiele, die Sie besonders beeindruckt haben?
Die anstehende „Wiesbaden Biennale“ ist solch ein diskursives Projekt. Oder die „see conference“. Da gab es einen Vortrag vom „Zentrum für politische Schönheit“ und ihr Projekt mit der Bestattung von Flüchtlingen vor dem Kanzleramt. Das ist mir von der Sache her gegen den Strich gegangen wie nur etwas. Auf der anderen Seite war das genau einer dieser zwingenden Konflikte, in die man hereingezogen wird, wenn man ansonsten beginnt, sich mit Sachen abzufinden, weil sie halt disparat sind. Genau das finde ich an Kunst wichtig. Zuspitzen und zu zwingen, dass man sich entscheiden muss. Kunst ist auch im Sinne von Kommunikation notwendiger denn je. Und Kulturorte sind enorm wichtig in den Städten. Weil das die Orte sind, an denen noch Austausch stattfindet. Beim Tanz und bei Performances gibt es Entwicklungen, die mit am radikalsten sind. Oder auch das Thema Cyberworld als ein Gebiet, wo sich viel tut. Und die Hochschulen sind sehr wichtig.
Kann man Kulturgenuss lernen?
Genau deshalb machen wir das Projekt „KUNSTvoll“ – um Jugendliche so früh wie möglich mit Künstlern und Kulturinstitutionen zusammenzubringen. Jede Kulturinstitution hat eine Bringschuld. Das heißt Jugendlichen möglichst früh den Schlüssel zu dieser Sphäre in die Hand zu geben. Die „KUNSTvoll“-Schulprojekte laufen nicht nur ein paar Tage, sonst wird das dann oft als angenehme Unterbrechung des Schulalltags gesehen, und das war´s. Wenn bei „KUNSTvoll“ am Ende eines Schuljahres die Eltern und Verwandten zur Aufführung des Ergebnisses kommen, dann werden auch Familien zum Theater gebracht, die bisher noch nie dort waren. Weil Gold und Stuck nicht nur schön, sondern auch abschreckend wirken können. Am Anfang hatte ich Sorge, dass sich nur Gymnasien melden. Das war aber nicht so. Alle Schulformen machen mit.
MENSCH
Welches ist Ihr erste prägende Erinnerung an Kultur?
Ich habe mich zuhause immer auf das Weihnachtsmärchen gefreut (schmunzelt). Und das Zweite: Ich komme aus Heidelberg. Damals war dort im Stadttheater ein junger Regisseur, der hieß Hans Neuenfels. Der hatte damals Theater zum Stadtgespräch gemacht, da musste man einfach ins Theater gehen. Und: Ich war auch als Statist am Heidelberger Theater. Eines der besten Erlebnisse war die Fußball-Weltmeisterschaft 1970 in der Theaterkantine. Das war umwerfend! Kultur und Sport. (lacht)
Mit 65 Jahren hört nach allgemeiner Auffassung das Berufsleben auf, mit 66 Jahren fängt laut Udo Jürgens das Leben an. Wann hört ihr Dasein als Kulturfonds-Geschäftsführer auf, was könnte noch Neues anfangen?
Mal schauen. In meinem Leben war es öfters so, dass Sachen überraschend zu Ende gegangen sind und überraschend neu angefangen haben. Meine erste Amtszeit als Kulturfonds-Geschäftsführer ist abgelaufen, ich habe nun einen zweiten Vertrag. Ich wollte es nicht unbedingt machen, bis ich über 70 bin. Ich bin im Moment gerade mit dem Aufsichtsrat im Gespräch über die Laufzeit.
Wie oft und intensiv hadern Sie noch damit, dass 2013 ihr Dasein als Oberbürgermeister von Wiesbaden überraschend und früher als vorgesehen endete?
Eigentlich habe ich nicht so arg lange damit gehadert. Dadurch, dass es so ansatzlos kam, hatte ich keine Alternativen überlegt gehabt. Mir war einfach an dem Abend klar: Das war´s. Punkt. Außerdem habe ich mich nie aus meinem Job heraus definiert.
Was neu anfängt: Sie sind Mitglied des neu geschaffenen Wiesbadener Kulturbeirates. Was versprechen Sie sich von dieser Einrichtung?
Das Spannende bei dem Gremium ist, dass es praktisch keine Vorgabe gibt. Es wird drauf ankommen, dass man sich nicht so im „Kleingedruckten“ bewegt, sondern dass man eine gute Arbeitsatmosphäre schafft, die ruhig kontrovers sein kann, aber wo man wirklich perspektivisch etwas machen kann. Ich bin sehr gespannt.
Wo kann Kultur in Wiesbaden noch einen Zahn zulegen?
Überall! Das ist wie mit der Richter-Skala. Grenzenlos … Kultur kann in Wiesbaden sicher noch selbstbewusster werden, auch in der gesellschaftlichen Repräsentanz.