Interview und Foto: Dirk Fellinghauer
BERUF
Sie haben Wiesbaden mit Ihrem reichlich überraschenden Auftauchen auf dem Platz der deutschen Einheit ganz schön aufgemischt. Schlechtes Gewissen?
Nein, überhaupt nicht. Warum auch? Vor allem habe ich Wiesbaden und Wiesbadener miteinander ins Gespräch gebracht. Menschen mit Wurzeln in unterschiedlichsten Ländern, mit teilweise komplett konträren Ansichten, Kurden und Erdoğan-Fans, Schüler und Jugendliche und Rentner, Intellektuelle und sogenannte „einfache Leute“. Alle strömten herbei, viele von ihnen sprachen und stritten miteinander, mitten auf einem Platz in der Stadt, von Angesicht zu Angesicht, voller Temperament und Emotionen, ungefiltert und unmoderiert. So etwas war früher eigentlich selbstverständlich, heute kommt es kaum noch vor, höchstens hinter Bildschirmen und Tastatur versteckt in den Sozialen Medien. Und ganz nebenbei: Wiesbaden bundesweit in den Schlagzeilen, in Funk und Fernsehen und in der Weltpresse, von Washington Post bis New York Times – das hätte die Stadt ohne meinen Besuch wohl kaum geschafft.
Aber es ging ja schon heiß her. Und nach nur 24 Stunden waren Sie genau deswegen auf Geheiß der Stadtväter, die Ihre Anwesenheit morgens noch verteidigt hatten, mitten in der Nacht wieder verschwunden. Sogar von Stichwaffen war die Rede.
Glauben Sie mir, ich hatte mit meiner Körpergröße von 4 Metern den Überblick. Es ging heiß her, keine Frage. Aber eine wirkliche Gefahr konnte ich zu keinem Zeitpunkt erkennen. Und selbst wenn die Lage wirklich eskaliert wäre: In Ihrem Land werden jedes Wochenende ganz selbstverständlich Fußballspiele mit gigantischem Aufwand, und Kosten, geschützt, das wird allgemein akzeptiert. Da hätte ich im Fall des Falles auch durch meine Anwesenheit erforderlichen „Polizeischutz“, wir hätten von ein paar wenigen Tagen gesprochen, für vertretbar und verkraftbar gehalten. Ich habe gehört, in Ihrem Stadtparlament wurde über mich debattiert. Da soll eine kluge Frau gesagt haben: „Die Alternative hieß nicht Abräumen oder Verletzte oder gar Tote riskieren, sondern Abräumen oder Schützen.“ Recht hat sie!
Sogar das türkische Generalkonsulat hat interveniert und die Stadt aufgefordert, Sie zu entfernen. Glauben Sie, das war der wahre Grund für den buchstäblich überstürzten Abbau?
Kein Kommentar!
Ihre Gegner sagten anschließend, man bräuchte nicht Sie, um miteinander ins Gespräch zu kommen.
Das sehe ich überhaupt nicht. Soweit mir bekannt ist, kam es vor meinem Auftauchen nicht zu solchen Begegnungen und Gesprächen, wie sie während dieser 24 Stunden auf dem Platz der deutschen Einheit zu erleben waren.
Dann war´s das also mit Gesprächs- und Streitkultur in unserer Stadt, nachdem Sie nun wieder verschwunden sind?
Das ist nicht gesagt. Vielleicht braucht es mich nun, nachdem ich einmal da war, nicht mehr. Vielleicht habe ich einen Impuls gegeben, der nun auch ohne mich weitergeführt werden kann, spätestens, wenn sich die Aufgeregtheiten wieder etwas gelegt haben. Vielleicht kommt dann „die Stadt“ – ob Politiker, Institutionen oder Initiativen oder auch Einzelpersonen, vielleicht auch alle gemeinsam – auf gute Ideen, wo und wie man künftig – temporär oder dauerhaft – ähnliche Räume der freien und offenen Debatte über die Fragen unserer Zeit, unserer Gesellschaft und unserer Stadt schaffen kann. Das ein riesiger Bedarf da ist, sich mitzuteilen, auszutauschen und „gehört zu werden“, das konnte ich rund um mich herum sehr eindrucksvoll beobachten.
Ausnahmsweise im 2×5-Interview, aus aktuellem Anlass nachträglich noch eine 6. Frage. Nun wurden ja auch noch ganz aktuell auf Anfrage der Freie Wähler/Bürgerliste-Fraktion im Stadtparlament – ebenfalls ausnahmsweise, mit dem ausdrücklichen Hinweis: „Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist primäre Aufgabe der Stadtpolizei. Normalerweise werden daher für Einsätze im Interesse der Allgemeinheit die Kosten nicht gesondert ermittelt“ – die Kosten für Ihre Entfernung erfragt und mitgeteilt: 6016,92 Euro seitens der Polizei, 4456,08 Euro seitens der Feuerwehr. Was fällt Ihnen dazu ein?
Ehrlich gesagt: eigentlich nichts! Außer ein wenig Fassungslosigkeit. 6.016,92 plus 4.456,08 – macht 10.473 Euro Kosten für die Folgen einer äußerst diskussionswürdigen Entscheidung, die wohlgemerkt die Stadtspitze und nicht etwa die Festivalleitung veranlasst hat. Die daraus abgeleitete Forderung des Fraktionsvorsitzenden Christian Bachmann, die entsprechende Summe beim nächsten Biennale-Zuschuss abzuziehen – der Herr rundet das Ganze auch gerade noch mit von ihm kurzerhand selbst geschätzten Kosten für den Einsatz der Landespolizei auf 30.000 Euro auf -, das zeugt aus meiner Sicht doch von einem äußerst fragwürdigen Kunst(zensur)verständnis. Wo kämen wir hin, wenn die Politik einmal gegebene Zuschüsse für Kultur und Kunst nachträglich wieder streicht, nur weil ein Kunstwerk sich plötzlich als nicht ihren Vorstellungen entsprechend entpuppt? Auch der angeführte Vergleich, was man mit dem Geld alles stattdessen an Integrationsarbeit hätte machen können, hinkt doch – inhaltlich wie praktisch – schon sehr. Und unabhängig davon mal ganz nebenbei bemerkt, um die finanziellen Dimensionen ein wenig zurechtzurücken: Die Landeshauptstadt Wiesbaden subventioniert den regulären Betrieb des Hessischen Staatstheaters mit gut 43.000 Euro. Täglich! An 365 Tagen im Jahr.
MENSCH
„Ist das Kunst, oder kann das weg?“, heißt es ja gerne, der Satz war auch rund um Sie herum öfters zu hören. Sie wurden als Kunst verkauft UND Sie sind jetzt weg. Jetzt mal ehrlich: Sind Sie überhaupt ein Kunstwerk?
Darüber kann man natürlich trefflich streiten. Ich selbst verstehe mich definitiv als ein solches, übrigens nicht nur mich persönlich, sondern auch alles, was um mich herum und durch mich ausgelöst passiert. Wenn Sie an Expertenmeinungen interessiert sind: Lauschen Sie mal dem Interview, das Rein Wolfs, und damit kein Geringerer als der Chef der Bundeskunsthalle, dem Sender „Deutschlandfunk Kultur“ gegeben hat: „Ich denke schon, dass man es als Kunstwerk werten muss“, sagte er und sprach von einer „Schnittstelle zwischen Kunst und politischem Aktivismus, die wertvoll ist, weil sie Diskussionen anregt“.
Viele meinten, die Diskussionen hätten moderiert werden müssen.
Die Biennale-Kuratorin Maria Magdalena Ludewig meinte im Interview mit der „Zeit“ sinngemäß: „Kunst braucht keinen Begleitzettel“. Das meine ich auch.
Wie ist es Ihnen nach dem Abbau ergangen?
Ich wurde von der Feuerwehr mit einem Kran, immerhin wiege ich zwei Tonnen, auf einem großen LKW gehievt und mit diesem quer durch die Stadt und aus der Stadt hinaus gefahren – meinen langen Arm habe ich während der ganzen Fahrt mit Absicht weit herausgestreckt . Und jetzt bin ich an einem unbekannten Ort und harre der Dinge. Wie ich gehört habe, wird über mein weiteres Schicksal nun verhandelt, auch darüber, ob ich in der Obhut des Staatstheaters bleibe oder zu meinem Schöpfer zurückkehren werde.
Gibt es denn gar nichts, was Sie im Rückblick auf Ihren Ausflug nach Wiesbaden bedauern?
Die Biennale, dieses fantastische Festival, das mich in die Stadt gebracht hat, war weit mehr als nur ich. Da gab es jede Menge außergewöhnliche Theatervorstellungen, Inszenierungen, Aktionen, den bemerkenswerten „Migrantenstadel“ in der Wartburg, ein Tag und Nacht brodelndes Festivalzentrum namens „Hinterland“ und einfach einen einzigartigen neuen „Wiesbaden-Spirit“. Dieser hat auch viele, die sonst mit der etwas dösenden Stadt hadern, superglücklich gemacht und befeuert. Ein aus Wiesbaden stammender DJ, der mittlerweile in der Schweiz lebt, soll gesagt haben, er sei nun wieder geradezu „süchtig nach Wiesbaden“. All so etwas ist unbezahlbar. Wenn im Rückblick nur der vermeintliche Skandal um mich bleibt, würde das diesem von sehr vielen Beteiligten sehr lange sehr intensiv vorbereiteten und sorgfältig kuratierten – die Macher haben sich ja durchaus bei allem was gedacht – Festival sicher nicht gerecht werden.
So bescheiden – und gar kein Gram, dass Ihnen nach nur einem Tag der Garaus gemacht wurde?
Das ist ja nicht gesagt. Das Kunstwerk ist noch nicht beendet …
–
Weitere Beiträge und eine Debatte mit unterschiedlichen Stimmen zum Thema hier.