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Das große 2×5-Interview: Alexander Wieczerzak, Judo-Weltmeister, 26 Jahre

Interview Dirk Fellinghauer. Foto Arne Landwehr.

BERUF

Im August 2017 wurdest du erster deutscher Judo-Weltmeister seit 2003 – und das nach einem Jahr voller Verletzungen und Erkrankungen, bis hin zum lebensbedrohlichen Denguefieber. Du hast, so war zu lesen, lange und wiederholt geweint und konntest dein Glück kaum fassen. Hast du dich inzwischen dran gewöhnt, Weltmeister zu sein?

Ja schon, das hat aber wirklich wochenlang gedauert. Auch nach Monaten bin ich immer mal wieder aufgewacht und habe gedacht: Boah, ich bin Weltmeister! Klar war das immer mein Traum. Aber ich habe gewusst, dass der Weg hart ist. Und das dann wirklich zu erreichen, das war schon heftig. Da denkt man schon: Krass, ich hab´s geschafft.

Du warst schon mal Junioren-Weltmeister. Was war diesmal anders? Was hat sich seit dem WM-Titel für dich geändert?

Es war ein Riesen-Unterschied. 2010, als ich Junioren-Weltmeister wurde, habe ich das nicht so wahrgenommen. Da war auch die Präsenz in den Medien nicht so groß wie jetzt. Auch mein Gefühl ist ganz anders, weil ich jetzt auch weiß, was alles dazugehört, um ganz oben mitmischen zu können. Wenn ich irgendwo hingehe, bekomme ich eine große Anerkennung, das ist natürlich schön. Damals war ich B-Kader, jetzt bin ich A-Kader, da werde ich auch bei der Stiftung Deutsche Sporthilfe anders wahrgenommen. Es gibt auch mehr Geld (lacht). Das ist immer gut bei Randsportarten, wenn die Unterstützung aufgestockt wird.

Wie kommt man überhaupt über die Runden als Spitzenathlet in einer Randsportart?

Erstens durch die Bundeswehr, ich bin Sportsoldat. Unterstützung bekomme ich außer durch die Deutsche Sporthilfe auch durch die Wiesbadener Sportförderung WISPO, den Deutschen Judobund und den Judo Club Wiesbaden mit seinem Präsidenten Philipp Eckelmann. Ich werde auch gesponsert von Hublot (eine der exklusivsten Luxus-Uhrenmarken der Welt, Anm. d. Red.). Vielleicht bekomme ich da jetzt sogar eine eigene Uhren-Edition, das wäre natürlich megageil. Wir sind in Gesprächen mit weiteren Sponsoren. Die finden schon cool, dass ich zum zweiten Mal Weltmeister bin, die finden die Geschichte cool, fragen, was ich außerdem mache. Da kommen einige Sachen zustande.

Du bleibst auch nach dem großen Erfolg Wiesbaden treu. Hast du bei Abwerbe-Angeboten gehadert, oder war das von Anfang an klar?

Nee, das war nicht einfach. Nach dem Weltmeister-Titel kamen viele Vereine zu mir, wie Hamburg oder Düsseldorf, die mich haben wollten und gute Angebote gemacht haben. Ich bin dann trotzdem dem Judo Club Wiesbaden treu geblieben und habe gedacht, ich schaffe das auch hier. Ich bin in Frankfurt geboren, bin Hesse. Da wäre es schade, meinen Verein und meinen Landesverband zu wechseln. Es wird aber auf jeden Fall schwerer.

Welches sind die Zutaten zu einer Spitzenkarriere im Judo?

Im Judo braucht man total viel Erfahrung. Es ist nicht so, dass man super viel Kraft hat und dann automatisch gewinnt. Das wäre ja Schwachsinn. Da gehört einiges mehr dazu: Schnelligkeit, Ausdauer, taktisch muss man extrem klug handeln. Das ist das Schwierigste. Vieles passiert im Gespräch mit Trainern, auch mit Videoanalyse. Man muss die Gegner kennen, die ersten zwanzig, dreißig der Weltrangliste muss man einfach in- und auswendig kennen – wissen, was die Lieblingstechnik ist, in welche Richtung er läuft, wie ich seine Bewegung ausnutzen kann. Und Weltmeister wird man nie alleine. Ein guter Leistungssportler muss immer ein gutes Team hinter sich haben, auch ein gutes Physioteam.

MENSCH

Du bist ein Star in der Judowelt, aber der Allgemeinheit eher unbekannt. Beneidest du die Stars aus populären Sportarten?

Natürlich würde ich mir wünschen, dass meine Sportart populärer wäre, das ist in anderen Ländern ja auch möglich. Von Japan muss ich ja gar nicht reden, aber auch in Russland oder in Frankreich – allein Teddy Riner, der achtfache Weltmeister. Wenn der auf die Straße geht, erkennt ihn jeder Zweite, er wird überall angesprochen. Da hat Judo einen anderen Stellenwert. Aber ob ich jetzt Fußballer oder so beneide? Nö, die haben das auch verdient und bekommen ihr Stadion voll, die haben also auch irgendwas richtig gemacht.

Wie würdest du einem Kind oder Jugendlichen schmackhaft machen, mit Judo anzufangen?

Es geht vor allem darum, wie man mit dem eigenen Körper umgeht, das finde ich ganz cool. Man lernt von klein auf, richtig zu fallen. Als ich 8, 9, 10 Jahre alt war, bin ich mit so einem Cityroller die Straße runter gedüst, immer Limit, immer Speed, Speed, Speed. Dann hat es mich hingelegt, da habe ich einfach eine kleine Rolle gemacht, bin aufgestanden und weitergefahren. Die Leute haben mich angeguckt und gedacht – hä, wie hat er denn das gemacht? Die zweite Sache, die ich besonders cool finde, ist: Man kann besonders schnell gewinnen, aber auch verlieren. Bei einer WM kann ich in den ersten paar Sekunden einen Gegner auf den Rücken werfen, dann habe ich gewonnen, dann geht es weiter. Oder ich verliere selbst, dann kann ich nach Hause fahren. Es gibt nur eine Chance, und jede Sekunde ist entscheidend. Und es ist nie dasselbe: Beim Judo hat man nie ausgelernt. Selbst wenn man eine Technik jahrelang übt, heißt das nicht, dass man die im Wettkampf so anwenden kann. Das ist Wahnsinn.

Wie kamst du selbst zum Judo?

Meine Eltern haben mich mit 6 Jahren ins Judo reingesteckt. Weil ich so viele Energie hatte. Mit 14 kam ich dann auf ein Sportinternat, die Eliteschule des Sports in Kaiserslautern, dort habe ich auch mein Abitur gemacht. Momentan lebe ich in Köln, wo ich am Olympiastützpunkt trainiere.

Als Leistungssportler gehört für dich nun viel Disziplin dazu. Wo fällt es dir am schwersten?

Bei meinem BWL-Studium! Mich hinzusetzen, ein Buch aufzumachen. Ich mache ja ein Fernstudium, aber dann wirklich die Zeit zu finden und einfach mal was anderes zu machen, das fällt mir am schwersten. Aber ich boxe mich da durch.

Vermisst du manchmal das „echte“ Leben?

Ich habe ja ein echtes Leben. Ich gehe trotzdem feiern. Nach meinem WM-Sieg habe ich drei, vier Wochen durchgefeiert! Vier Monate vor der WM habe ich Null gefeiert, und danach habe ich vier Wochen durchgefeiert. Das hat alles seine Vor- und Nachteile. Ich feiere lieber und habe einen Grund. Nö, ich vermisse gar nichts. Ich habe meine Freunde, meine Freundin, die kann ich zwar nicht oft sehen, weil ich immer unterwegs bin, aber die unterstützen mich alle komplett. Ich versuche immer, möglichst viele Sachen unter einen Hut zu bekommen. Das kriege ich eigentlich auch ganz gut hin.

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