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Das große 2×5-Interview: Maria Magdalena Ludewig & Martin Hammer, 35 Jahre, Kuratorenduo Wiesbaden Biennale

2x5_Biennale_ganzseitigInterview Dirk Fellinghauer. Foto Arne Landwehr.

BERUF

Elf Tage lang ist die Wiesbaden Biennale Einladung und Herausforderung zugleich“, schreibt ihr im Editorial zum goldenen Programmheft. Wie meint ihr das?

Martin: Einladung bedeutet, dass wir ein Festival machen, das nicht an der Stadt vorbeigeht. Wir wollen uns in die Stadt hinein öffnen und die Wiesbadener einladen, teilzunehmen. Maria Magdalena: Eine Herausforderung wird es, sich mit den Kunstwerken und Künstlern auseinanderzusetzen. Wir wollen eine Neugier anheizen, sich einzulassen auch auf das, was man nicht kennt. Eine Herausforderung für uns ist, sich eine solche Stadt erst mal zu erarbeiten, was wir in den letzten zwei Jahren intensiv getan haben. Und zwischen den Künstlern und dem Publikum eine Schnittmenge zu finden, dass das miteinander eine Melange eingeht und nicht einfach so nebeneinander steht. Und auch das Kitzeln ein bisschen, Wo kann man den Wiesbadener und die Region ein wenig pieksen? Da haben wir verschiedene Strategien der kleinen Störfaktoren eingebaut und ausprobiert.

Wie und womit kann man Wiesbaden pieksen?

Maria Magdalena: Ein guter Testballon ist unser Laden, das „Asyl des müden Europäers“. Gerade dort an der Wilhelmstraße, wo das Prestigeherz dieser Stadt sitzt, etwas anderes zu machen, das hat seinen Reiz. Ich mag, dass die Leute immer noch nicht genau wissen, was das da ist. Oft laufen sie rein und sagen: Was ist das denn jetzt hier? Wir haben unsere Mitarbeiter angehalten, nicht sofort eine Antwort darauf zu geben und die Leute selber reden zu lassen: Sieht ein bisschen aus wie eine Galerie oder Bar, oder ist das ein Flüchtlingscafé? Viele haben uns lange für einen Möbelladen gehalten. Oder ein Café. Wir sagen dann: Sie können auch einen Kaffee haben. Aber wir sind kein Café.

Welches ist die Grundidee der „Wiesbaden Biennale“?

Martin: Die steht auf der ersten Seite des Programmheftes: „This is not Europe“. Die Frage nach Europa ist heute wieder wichtiger denn je. Maria Magdalena: Der Titel ist der Versuch, mehr zu fragen als für selbstverständlich zu nehmen. Wenn man behauptet „This is not Europe“, entsteht erst mal ein Widerspruch. Was macht denn dieses Schlagwort aus? Wenn man sagt, „dies“ ist nicht Europa, kann man anfangen darüber zu reden, was es sein könnte.

Lässt die Theaterleitung euch komplette Freiheit?

Maria Magdalena: Man lässt uns eine sehr sehr lange Leine. Ich fühle mich nicht mal angeleint. Martin: Ich auch nicht. Es gibt großes Vertrauen. Aber in gewissen Fragen – wir sind ja relativ jung – können wir uns auch Rat einholen.

Vieles im Programm klingt sehr ernst. Es geht ans Eingemachte, um Politik und Probleme – macht die Biennale auch Spaß?

(beide lachen) Maria Magdalena: Die Biennale macht total viel Spaß. Sie ist auf jeden Fall das Gegenteil von Knäckebrot. Martin: Wenn man ein Projekt nimmt wie „Azdora“ von Markus Öhrn, der zehn Italienerinnen nach Wiesbaden einlädt, die mit zehn Wiesbadenerinnen durch die Stadt ziehen, das wird sehr viel Spaß machen. Auch Dries Verhoevens „Beerdigung“ unserer Werte und Ideen, die auf den ersten Blick schwer klingt, ist etwas, wo man an der einen oder anderen Stelle sicher wird lächeln müssen. Maria Magdalena: Man wird an vielen Stellen nicht wissen, ob man jetzt lachen darf oder soll oder man besser die Klappe hält. Ich weiß auch nicht, ob Lachen der beste Gradmesser ist. Auf jeden Fall wollen wir Sachen zeigen, die nicht einfach nur einen intellektuellen Zugang zu den Themen haben, sondern einen, den man tatsächlich sehr erleben kann. Das ist ein bisschen der Trick. Wir beschäftigen uns mit ernsten Themen, aber wir tun das sehr sinnlich. Man kann da einsteigen, ohne dass man da vorher viel wissen muss oder drei Bücher gelesen haben muss.

MENSCH

Beschreibt euch bitte mal gegenseitig in einem Satz.

Martin: Das ist schwer, so aus der Hüfte. Vielleicht, weil wir uns so lange kennen und so lange zusammenarbeiten. Maria Magdalena: Ohne ihn wäre ich nicht hier. Martin: Und ich vielleicht auch nicht. Maria Magdalena: Eigentlich beschreibt es das ganz gut. Wir ergänzen uns sehr gut. Wir fahren eine gemeinsame Kutsche. Einer muss ziehen, der andere steuern. Martin: Wir geben die Zügel hin und her. Maria: Ich bin manchmal das Pferdchen. Martin ist ein bisschen besser im Lenken, ich bin etwas besser im Ziehen.

Ihr lebt nun seit zwei Jahren in Wiesbaden. Wie wirkt diese Stadt auf euch?

Martin: Ich finde sie sehr speziell in einer gewissen Art und Weise. Sie hebt sich sehr ab von anderen westdeutschen Städten dieser Größenordnung. Wenn man hier ankommt, hat man schon das Gefühl, man kommt nicht irgendwo an. Maria Magdalena: Ohne andere Städte dissen zu wollen: Es gibt schon viele Städte, die auch wahnsinnig trist sein können. Wir haben eine gewisse Luxusperspektive. Wenn du von Berlin aus irgendwo hin fährst, fährst du erst mal drei Stunden in den Westen, bevor du überhaupt irgendwo hinkommst. Und von hier aus bin ich schneller in Brüssel als in Berlin, oder auch schneller in Paris als in Berlin. Also zu merken, dass man wirklich im Zentrum Europas ist.

Europa ist euer Thema – und ihr bereist Europa intensiv.

Maria Magdalena: Wir waren in den letzten zwei Jahren wahnsinnig viel unterwegs. Das klingt so glamourös, ist es aber nicht , diese Reisen sind super anstregend. Wenn du dann nach Hause kommst, dann ist Wiesbaden ein total schöner Ort. Man kann sich schnell wieder auf das konzentrieren, was man macht. Es ist ein sehr schöner Ort, um wieder anzukommen. Man spürt hier eine Internationalität und merkt, dass die Leute in Bewegung sind. Die bleiben nicht nur hier, die machen die Augen auf, hocken nicht nur in ihrem Saft. Ich habe das Gefühl, dass die Leute sehr neugierig sind.

Wie reagiert das „klassische“ Staatstheater-Publikum auf euer Hiersein und euer Tun?

Martin: Wir machen zum Beispiel Hausbesuche, ein bisschen das Prinzip Tupperparty. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man am Anfang einer eher gesetzten, etwas steiferen Runde gegenübersitzt, und nach der Hälfte ändert sich die Stimmung komplett. Maria Magdalena: Ich habe das Gefühl, dass das Publikum des Staatstheaters sich im Wandel befindet. Seit Uwe Eric Laufenberg als Intendant da ist, habe ich das Gefühl, gibt es auch eine gewisse Veränderung im Publikum, dass es jünger wird und neue Leute ins Theater kommen. Deshalb kann man nicht von „dem“ Publikum sprechen. Vielleicht tragen wir ein wenig dazu bei mit dem, was wir machen. Mir macht es besonders Spaß, jemanden von sich selbst zu überraschen – dass die Wiesbadener merken, dass sie Sachen cool finden, von denen sie gar nicht wussten, dass sie sie cool finden. An dieser Überraschung arbeiten wir.

Welches Europa ist euer Europa?

Maria Magdalena: Ich habe ein großes Problem mit solchen Zuschreibungen. Ich könnte das für mich nie sagen. Da müssen ganz viele Leute mitreden dürfen. Bevor die alle nicht mitreden, will ich gar nicht anfangen. Ich habe das Gefühl, dass wir viel zu viel darüber reden, wie „unser“ Europa auszusehen hat. Wir müssten mal langsam anfangen, die Klappe zu halten und zuhören, was andere dazu sagen. Martin: Die Beschäftigung mit dem Thema hat zu mehr Fragen geführt. Mir fällt es auch sehr schwer, „mein“ Europa zu beschreiben. Das hört sich merkwürdig fremd an.

Die Wiesbaden Biennale 2016 findet vom 25. August bis 4. September, mit sensor als Medienpartner, statt. Mehr Informationen auf: www.staatstheater-wiesbaden.de/info/wiesbaden-biennale-2016