Interview: Dirk Fellinghauer. Foto: Arne Landwehr.
BERUF
Was macht die Kunst in Wiesbaden?
Ja, es gibt sie, die Kunst in Wiesbaden. Auf der Wilhelmstraße natürlich. Und viele Kleinode an anderen Orten. Als in Frankreich Geborene ist mir das Zentralistische nicht fremd, aber auch nicht so sympathisch. Deswegen finde ich, man müsste auf alle Kulturorte mit großer Geste hinweisen und nicht nur auf die bahnhofsnahen großen „Player“ Museum Wiesbaden, Nassauischer Kunstverein, bald auch Museum Reinhard Ernst an der „Kulturmeile“ Wilhelmstraße, Galerien und diverse Projekträume. Es geht eher darum, auch die anderen interessanten Orte wie Walkmühle, Kunstarche, das frauen museum wiesbaden und auch das Kunsthaus in den Blickpunkt zu rücken. Und deutlich vermisse ich, als in Frankfurt Sozialisierte, eine veritable Kunsthochschule in Wiesbaden.
Und was machen Sie mit der und für die Kunst in Wiesbaden?
Gelockt hat mich an der Stellenbeschreibung zum einen, wieder mehr direkt mit Künstler:innen und mit deren Belangen zu tun zu haben – so wie ich es vor Jahrzehnten als Mitgründerin des Vereins Wackerkunst bei Darmstadt tat. Deswegen habe ich auch das Format „Platanenplausch“ initiiert. Einmal im Monat lade ich Kunstschaffende ein, mit mir ins Gespräch zu kommen. Zum anderen haben mich die Ausstellungsmöglichkeiten gereizt: Ausstellungen sind für mich auch ein Bildungsformat, was mich sehr beschäftigt – im Deutschen Museumsbund war im Arbeitskreis Ausstellungen ehrenamtlich tätig. Kommunikation und Vernetzung sind in meiner Arbeitsweise zwei Schlüsselbegriffe, mit dem Ziel, ein gutes Miteinander zu schaffen. Da Kunst immer schon ein Legitimationsproblem hat, ist ein Miteinander und nicht Gegeneinander ein wichtiges Credo.
Das Kunsthaus auf dem Schulberg bietet Künstlertalenten „preiswerte Ateliers in einem charmanten Ambiente“, ist auf der Homepage zu lesen. Dies ist ja nun seit geraumer Zeit nicht mehr aktuell – aber wann denn endlich wieder?
Ja, die Sanierungsarbeiten des Atelierhauses waren aufgrund der mittlerweile bekannten und ausformulierten Probleme bei Bauvorhaben in den letzten zwei Jahren wirklich für alle Beteiligten nervenaufreibend. Ich bin aber im Folgenden nicht voreilig: 2023 wird es so weit sein! Vermutlich noch dieses Jahr wird es den Aufruf geben, dass man sich für die Ateliers bewerben kann. Ich kann jetzt schon sagen, dass die renovierten Räume ein großartiges Ambiente für die Nutzer:innen sein werden. Es wird weiterhin einen Raum für die Durchführung von Workshops für Kinder und Jugendliche geben. Die Aula wird barrierearm gestaltet sein. Ach, wenn ich an das wieder „in Beschlag“ genommene Kunsthaus denke, komme ich ins Schwärmen und freue mich sehr auf die Wiedereröffnung: Das Kunsthaus wird sich zu neuer und großartiger Blüte entfalten!
Das von Ihnen kuratierte Ausstellungsprogramm im Kunsthaus ist auffallend politisch. Halten Sie es für wichtig, als Institution Position zu beziehen?
Was ist unpolitisch? Mehr oder weniger ist für mich alles politisch im Sinne eines gesellschaftspolitischen Interesses. Und ja, ich finde es wichtig Position zu beziehen. Daran kann man sich reiben, in Austausch kommen, womöglich Erkenntnisse gewinnen – und weiterdenken und handeln.
Welches ist Ihre Vorstellung von Kunstfreiheit? Wo stößt diese an Grenzen?
Der Begriff der Freiheit ist mir in diesen Pandemiejahren überstrapaziert worden, wenn man sich über die in meinen Augen angebliche Einschränkung derselben beklagte. Im Bereich der Kunst muss man sich klar machen, dass in nicht so wenigen Ländern die künstlerische Betätigung mit großen Hürden verbunden ist: eine echte Einschränkung der Kunstfreiheit. Ausdrücklich werde ich an dieser Stelle nichts über documenta fifteen sagen, da das nur eine weitere und überflüssige kurzgefasste Darstellung wäre. Sicher ist, dass Kunst Anstoß erregen kann, denn sie ist die Möglichkeit eine andere Perspektive auf Dinge zu bekommen – man muss Raum für Gespräche geben, sich als Rezipient:in Zeit nehmen und auf die Kunst einlassen und den Willen haben, sich in respektvoller Form auszutauschen.
MENSCH
Welches Kunstwerk bringt Sie zum Weinen?
Ich schlage mit meiner Berufswahl in meiner Familie, die eher im Bereich der Darstellenden Kunst zu Hause war, etwas aus der Art. Von früh auf habe ich Musik gehört und wurde zu diversen Kulturveranstaltungen, insbesondere Opern-, Konzert-, und Ballettaufführungen, mitgenommen. Ich habe selbst früh angefangen Musik zu machen, tue das bis heute und höre immer noch viel Musik. So ist es vielleicht zu erklären, weswegen mich Musik intensiv berühren kann – was nun auch in der Natur der Sache liegt, da ja Musik die Disziplin ist, die wie keine zweite unvermittelt Gefühle ansprechen kann.
Sammeln und/oder schaffen Sie selbst Kunst?
Sammeln ist zu viel gesagt. Ich kaufe Kunst, sehr intuitiv und lebe mit ihr zu Hause. Als Kind bin ich in den Genuss gekommen, selbst bildnerisch tätig zu sein, bin nun aber selbst nicht direkt kreativ. Abgesehen davon, dass ich es sehr mag, Räume mit Kunst zu gestalten – ich bin Ausstellungsmacherin aus Leidenschaft.
Sie haben unter anderem in Paris studiert. Wie hat Sie diese Zeit und diese Stadt geprägt?
Paris war wichtig, um meine Interdisziplinarität und mein Kunstverständnis auf eine andere Grundlage zu stellen, als das enge verschulte Sorbonne Studium es vermochte: Ich habe viel Zeit am College Internationale der Philosophie verbracht, Galerien und Museen besucht. Und natürlich auch weiter die mir durch meine Geburt in Versailles in die Wiege gelegte französische Lebensart weiter verfeinert: Ich esse sehr gerne sehr gut.
Woraus schöpfen Sie Kraft?
Aus der Natur und der Musik. Aus dem Lesen und dem Diskutieren. Aus meinem Freundeskreis und meiner Familie. Aus dem Glück, schon auf einen Großteil meines Lebens schauen zu können. So weiß ich, wie ich mir Gutes tun kann, auch, um den Moment genießen zu können.
Unsere Welt ist in Aufruhr und im Umbruch. Was macht das mit Ihnen?
Dankbar: Das Leben kann sehr schnell zu Ende sein. Tatkräftig: In ruhiger und fokussierter Weise.