Von Alexander Pfeiffer. Fotos Kai Pelka.
„Wenn es mir schlecht geht, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändler.“ Der Satz stammt von dem französischen Kultautor Philippe Djian. Nun gibt es in Wiesbaden zwar mehr Apotheken als Buchhandlungen, doch immerhin 25 der „geistigen Tankstellen“, wie Altkanzler Helmut Schmidt sie einst nannte, verzeichnet der Börsenverein des Deutschen Buchhandels im Stadtgebiet. Und was Amazon kann, können sie schon lange – und besser: jedes lieferbare Buch innerhalb von 24 Stunden besorgen, Kaufempfehlungen, Downloads für E-Book-Reader, Online-Bestellungen. Von persönlicher Beratung, Kaffee und weiteren Aufmerksamkeiten sowie Veranstaltungen ganz zu schweigen. Wir nennen sechs gute Gründe, mal wieder bei einem der Händler für Gemütsarznei vorbeizuschauen.
Buch-Café Nero39, Nerostr. 39 (Öffnungszeiten Mo-Fr 9.30-18.30 Uhr, Sa 9.30-16.30 Uhr)
„Viele Passanten bleiben erst mal vor unserem Schaufenster stehen und verweilen“, erzählt Christopher Deyer. „Dann kommen sie rein und wollen wissen: Was ist das hier?“ Es ist eine Buchhandlung mit Café für englische und deutsche Literatur, die Deyer seit April 2014 mit Freundin Antje Probst betreibt. Neben der Belletristik steht im Laden je ein Regal für Sachbücher, Kunstbände, Kinderbücher und Philosophie. „Wir setzen auf unabhängige Verlage und unbekanntere Autoren.“ Nicht von ungefähr liegt der Katalog der Kurt-Wolff-Stiftung zur Förderung einer vielfältigen Verlags- und Literaturszene aus. „Es geht um das Buch“ steht darauf, das könnte auch das Motto des Ladens sein. Geschmackssicherheit ist hier Trumpf – wo sonst werden einem Gottfried Benn oder Jean-Patrick Manchette exponiert angeboten? Auch bei der Einrichtung wurde auf jedes Detail Wert gelegt, von den hohen Lesesesseln über den Büchertisch aus Birkenstämmen bis zum Kamin. Dazu gibt es Kaffee, Kaltgetränke und Tee.
Aktuelle Leseempfehlung: Joshua Cohen – Vier neue Nachrichten (Schöffling & Co.)
Online: www.nero39.de
Fazit: Exquisite Erweiterung der Wiesbadener Buchhandels-Palette!
Buchgenuss, Wörthstr. 3 (Di-Fr 10-19 Uhr, Sa 10-17 Uhr)
Vor vier Jahren kehrte Informatikerin Katrin Wetzel der IT-Branche den Rücken, um den Kindheitstraum von der eigenen Buchhandlung zu verwirklichen. „Gemeinsam genießen“, fasst sie die Vision ihres Geschäfts zusammen, das 2012 als Online-Buchhandlung startete. Im August 2013 hat sie die Ladenräume in der Wörthstraße bezogen – und sich seitdem eine „kleine feine Stammkundschaft“ erarbeitet: „Die Jüngste ist fünf, die Älteste 84.“ Dabei hat sie neben ihrer persönlichen Leidenschaft, den Kochbüchern, ein Auge auf Neuausgaben in Sachen Belletristik und Sachbüchern. „Wenn man seine Stadt mitgestalten will, muss man den Hintern bewegen“, beschreibt die Berlinerin ihre von der Erfahrung der Nachwendezeit geprägte Haltung. Besonders freut sie das großartige Miteinander der inhabergeführten Buchhandlungen der Stadt, das ihr den Start erleichtert hat. Auch Gatte Immo Eitel, der sich grinsend „vertragsfreier Mitarbeiter“ nennt, hat wohl das eine oder andere beigetragen.
Aktuelle Leseempfehlung: Nigel Slater – Das Küchentagebuch (Dumont)
Online: www.buchgenuss.de
Fazit: Eine kleine feine Oase der Sinnesfreuden!
Büchergilde, Bismarckring 27 (Mo-Fr 10-18.30 Uhr, Sa 10-14 Uhr)
Bereits seit Mitte der 1970er Jahre findet sich der Wiesbadener Ableger der „Büchergilde Gutenberg“ im Bismarckring, seit 20 Jahren wird er von Inhaberin Gudrun Olbert geführt, der vier Mitarbeiter zur Seite stehen. Eine ist Daphne Neu: „Wir haben nur 40 Quadratmeter Fläche“, erklärt sie. „Aber wir können sehr viel mehr empfehlen und besorgen, als im Laden steht.“ Ein Schwerpunkt sind illustrierte Bücher und Graphic Novels, auch Geschenkartikel, CDs und DVDs gehören zum Sortiment. Als Stadtteilbuchhandlung fürs Westend legt man Wert auf die Einbindung in ein Viertel, das „nicht nur ein ‚krisengeschüttelter‘ Stadtteil mit vielen Migranten“ ist, sondern durch Vielfältigkeit besticht und viele Studenten beheimatet, denen die Belegschaft gerne näher bringt, warum Bücherkaufen hier mehr Spaß macht als im Internet. In der Galerie im Untergeschoss hängt aktuell „Junges Gemüse“: Illustrationen und Graphiken noch zu entdeckender Künstler, die von der „Büchergilde Gutenberg“ ihre ersten Aufträge bekommen haben.
Aktuelle Leseempfehlung: Robert Seethaler – Ein ganzes Leben (Hanser Berlin)
Online: www.buechergilde-wiesbaden.de
Fazit: Im Westen ständig Neues – Altbewährtes sowieso!
erLesen, Niederwaldstr. 3 (Mo 15-19 Uhr, Di-Fr 10-13/15-19 Uhr, Sa 10-16 Uhr)
Auch Brigitte Endres-Grzybek betreibt eine Stadtteilbuchhandlung – für das Dichterviertel, wo sie selbst lebt. Seit mehr als 30 Jahren im Buchhandel, hat sie sich im April 2009 mit dem eigenen Laden selbstständig gemacht: „Es hat wunderbar funktioniert.“ Ursprünglich wollte sie nur Kinder- und Jugendbücher anbieten, heute halten sie und zwei Mitarbeiter eine große Auswahl an Belletristik bereit, dazu Kochbücher und eine ausgedehnte „Non Book“-Abteilung mit Geschenkartikeln. Auch Kreatives von Künstlern und Kunsthandwerkern aus dem Viertel nimmt Brigitte Endres-Grzybek gerne in Kommission. Außerdem ist ihr Laden Umschlagstelle und Kommunikationszentrum für fast alle und alles: „Ich habe hier schon Wohnungen und Putzfrauen vermittelt.“ Mit der Blumenwerkstatt im Hinterhof und der „Esswerkstatt“, die unter derselben Adresse firmiert, organisiert sie Veranstaltungen, bei denen es um Essen, Trinken und Literatur geht. Die „buchaffine Nachbarschaft“ dankt es ihr.
Aktuelle Leseempfehlung: Ian McEwan – Kindeswohl (Diogenes)
Online: www.erLesen-wiesbaden.de
Fazit: Glücklich, wer hier einkehrt!
Hugendubel, Kirchgasse 17 (Mo-Sa 9.30-20 Uhr)
100.000 Bücher auf drei Etagen – hier schlägt das Bibliophilenherz mit pawlowscher Konsequenz höher. „Die Kunden sollen bei uns verweilen“, sagt Felicitas Nachtigall, seit Oktober 2014 Filialleiterin. Seit 2000 existiert die Großbuchhandlung, ursprünglich als „Buch Habel“, seit 2007 als Filiale der Hugendubel-Kette. 47 Mitarbeiter hat Frau Nachtigall, deren Schwerpunkt auf der Belletristik liegt, da aber nicht endet. Die Abteilungen reichen von der Kinderwelt über Reiseführer, Modernes Antiquariat, Sach- und Fachbuch bis zu Sprachen & Schule, die Artikel von Kalendern über DVDs bis zu Geschenkartikeln. Großflächig beworben wird der „Tolino“, das eigene E-Book-Lesegerät, das den Vorteil bietet, sich beim Download von Lesestoff nicht an einen Anbieter binden zu müssen. Das Café und die Leseecken sorgen dafür, dass die Kunden tatsächlich gerne verweilen. „Wir wollen auch ein Treffpunkt sein – zum Beispiel für unsere Schüler. Das sind die Kunden von morgen!“
Aktuelle Leseempfehlung: Jan Seghers – Die Sterntaler-Verschwörung (Rowohlt)
Online: www.hugendubel.de
Fazit: Der Bücher-Gigant im Herzen der Stadt!
Vaternahm, An den Quellen 13 (Mo-Fr 9.30-18.30 Uhr, Sa 9.30-16 Uhr)
Die Buchhandlung Vaternahm feiert in diesem Jahr 80-jähriges Bestehen – und Jutta Leimbert darf wohl widerspruchslos den Titel als dienstälteste Buchhändlerin der Stadt für sich in Anspruch nehmen: „Ich treffe heute Kunden, die ich schon als Lehrling 1972 kannte.“ Im Januar 2008 hat sie mit Gabriele Wörner die Buchhandlung an den Quellen übernommen. Ihr Schwerpunkt liegt auf Literatur, aber auch Kunst, Geschichte, Politik, Kinder- und Jugendbuch und Biographien finden sich in den Regalen. Die Inhaberinnen und ihre drei Angestellten halten große Stücke auf ihr Publikum: „Wir haben bestimmt die einzigen Kunden, die keinen Fernseher haben, dafür aber meterweise Bücherregale.“ Dazu schlägt sich die Nähe zur Innenstadt in einer ständig flatternden Ladentür nieder. Und was macht nun den Handel mit Büchern so besonders? „Als Buchhändler bist du immer nah dran an aktuellen Diskussionen. Ob das der neue Roman von Houellebecq und das Thema Islam sind oder was auch immer.“
Aktuelle Leseempfehlung: Dörte Hansen – Altes Land (Knaus)
Online: www.buchhandlung-vaternahm.de
Fazit: Der Klassiker unter den Wiesbadener Buchhandlungen – zeitlos gut!