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Der große Test: Öffentliche Bücherschränke in Wiesbaden

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Text und Fotos: Katharina Dietl und Falk Ruckes.

Seien es eigens gebaute Schränke, ehemalige Stromkästen oder Telefonzellen – öffentliche Büchertauschstellen liegen im Trend. Das Konzept stammt aus Amerika, nennt sich dort „Little free library“ und wird seit Jahren auch in Wiesbaden umgesetzt. Das Prinzip ist einfach: Man stellt Bücher in einen Schrank hinein und nimmt dafür andere mit. Nur hineinstellen oder nur mitnehmen geht natürlich auch. Mittlerweile gibt es über die Stadt verteilt schon knapp ein Dutzend. „Natürlich können und sollen solche Büchertauschstellen nicht gut sortierte Antiquariate und Bibliotheken ersetzen. Aber es ist erfreulich, dass sie Literatur in den öffentlichen Raum bringen und somit für jeden jederzeit zugänglich machen“, erklärt die Leiterin des Wiesbadener Literaturhauses Villa Clementine, Susanne Lewalter. Wir haben auf und in die Bücherschränke geschaut.

 bluecherplatz_1Scharnhorstraße/Ecke Yorckstraße am Blücherplatz

 Der offene Bücherschrank Westend erfreut sich größter Beliebtheit und quillt quasi über: Selbst auf dem Boden unter dem Regal stehen zwei Kisten voller Bücher. Diese sind aber leider nicht so gut geschützt wie der restliche Inhalt, der sich hinter Glastüren befindet. Man wünscht den Büchern daher schnell neue Besitzer oder zumindest einen Platz im Inneren. Lange müssen sie darauf wohl nicht warten, so stark frequentiert ist der Bücherschrank, der sich zu einem wahren Treffpunkt für Literaturbegeisterte entwickelt hat. Manch einer stöbert auch erstmal in der ansprechend vielfältigen literarischen Mischung, bevor er sich mit neuer Lektüre in den nahen Hofladen Haselnuss setzt.

 konradinerallee_1Konradinerallee 11, Rückseite des Verwaltungsgebäudes Gesundheitsamt und Amt für Soziales

Durch seine farbenfrohe Gestaltung fällt der recht versteckt und in karger Umgebung gelegene Bücherschrank gleich ins Auge. Entstanden ist er durch ein Projekt des Amts für Soziales und wurde von Kindern für Kinder und Erwachsene gebaut. Kinderbücher sind aber leider nicht zu finden. Dafür eine angenehme Mischung aus klassischer Bildungslektüre und Unterhaltungsliteratur. Wie in den meisten Bücherschränken sind auch hier die beliebten Reader’s-Digest-Bände oder Romane à la Rosamunde Pilcher vorhanden. Der Schrank ist massiv gebaut, und Glastüren schützen den Inhalt vor Wind und Wetter. Wenn es bei einem Titel länger dauert, bis er einen neuen Besitzer findet, wird er hier gut aufbewahrt.

 kohlheck_1Kohlheck, Helmholtzstraße 69-71

Telefonzellen eignen sich einfach für alles: In Berlin fungiert eine als Disko, Doctor Who reist mit seiner durch die Zeit, und die Kohlhecker haben eine alte aus Österreich in die wohl hipste Büchertauschstelle der Stadt verwandelt. Die gemütliche Mini-Bibliothek nutzt ihren begrenzten Platz perfekt aus: Das maßgeschneiderte Holzregal im Innenraum bietet pro Regalbrett gleich mehreren Reihen gut sortierter Bücher Platz. Seit der Aufstellung im letzten Jahr wird hier täglich mit hoher Frequenz gestöbert, getauscht und über belletristische Neuentdeckungen mit anderen Leseratten literarisch gefachsimpelt. Ein must-see für Fans des Büchertauschs.

biebrich_1Biebrich, Albert-Schweitzer-Platz

Biebrichern, die sich mit spannender Belletristik aber auch Klassikern der Weltliteratur eindecken wollen, sei direkt in ihrer Nachbarschaft in der Siedlung Parkfeld ein literarisches Kleinod empfohlen: der himmelblaue Bücherschrank vor den Hochhäusern in der Albert-Schweitzer-Allee. Optisch sehr ähnlich wie die Tauschstelle in der Konradinerallee gestaltet, kommt dieser Schrank sehr gepflegt daher. Üppig befüllt, aber ordentlich aufgereiht, bieten die Werke in seinem Inneren für die Vorlieben jedes Literaturliebhabers etwas: Thriller von John Grisham oder John le Carré, Horror von Stephen King und Co. – aber auch Anspruchsvolles von Émile Zola oder Simone de Beauvoir.

schierstein_1Schierstein, Bernhard-Schwarz-Straße/Ecke Christian-Bücher-Straße

Schöner könnte eine Location für eine Büchertauschstelle wohl kaum sein. Nur wenige Meter vom Rhein entfernt, regt bereits der romantische Blick auf den Schiersteiner Hafen zur Beschäftigung mit Kunst und Kultur an. Leider ist der Schiersteiner Bücherschrank nicht so schön wie die dortige Aussicht: In dem grauen Metallkasten, neben dem Mülltüten abgestellt wurden, türmen sich an der Frontseite die Bücherberge ungeordnet auf. Die Regalbretter sind teilweise gerostet und die Kasse, an der man eine Spende für die entnommenen Bücher hinterlassen darf, muss erst unter einem Wust literarischer Werke ausgegraben werden. Trotz einer bemerkenswert großen Auswahl an Büchern täte diesem Schrank etwas mehr Pflege gut.

 literaturhaus_1Frankfurter Straße 1, Literaturhaus Villa Clementine, Lesezimmer und Garten

Wer in stilvoller Atmosphäre – vielleicht bei Kaffee und Kuchen – nach neuen alten Büchern Ausschau halten möchte, findet im und am Literaturhaus Villa Clementine gleich zwei Büchertauschstellen. Zu den Öffnungszeiten des neu eröffneten Cafés sowie bei Lesungen ist die Büchertauschstelle in Form eines großen Bücherregals im blauen Lesezimmer der Villa zugänglich. Bücher sind in dieser Räumlichkeit optimal aufgehoben, und das Team des Literaturhauses hat einen Blick darauf, dass die Literaturauswahl ansprechend ist. Die zweite Tauschstelle ist leicht zugänglich und schon von der Wilhelmstraße aus sichtbar. Eine Bank neben dem aus Metall und Glas gefertigten Kasten ermöglicht es, sich in Ruhe der Buchauswahl zu widmen. Beide Stellen sind eine Bereicherung und fast schon ein Muss für eine Villa, die  im Zeichen der Literatur steht.

klagenfurter_ring_1Klagenfurter Ring 84

Der mit bunten Buchstaben bemalte Bücherschrank auf dem kleinen Platz vor der Apotheke und der Bäckerei bildete wohl schon für zahlreiche literarische Debatten im Viertel den Ausgangspunkt. „Ich tausch mich hier gerne mit Anderen über Gelesenes aus und lerne immer wieder mir bis dato unbekannte Autoren kennen“, verrät eine Buchliebhaberin, für die die vom Amt für soziale Arbeit betriebene Tauschstelle längst zu einer Art Literaturtreff des Viertels avanciert ist. Der üppige Bestand und die inhaltliche Bandbreite bieten den Anwohnern immer neuen Lesestoff.

schelmengraben_1 Schelmengraben, Hans-Böckler-Straße 5 bis 7

An dieser Adresse befindet sich der wohl kleinste Bücherschrank Wiesbadens. Lediglich zwei Regalfächer beherbergt er, die zudem auch nur knapp befüllt sind. Dabei wurde die Tauschstelle sehr zentral, direkt vor dem Stadtteilzentrum Schelmengraben, aufgestellt. Wer den Inhalt etwas aufmerksamer durchsieht, fühlt sich durch Namen wie Dürrenmatt, Kleist, oder Arthur Miller schnell an eine Leseliste aus Oberstufenzeiten erinnert. Der Verdacht, dass hier Gymnasiasten regelmäßig ungeliebten Lesestoff loswerden, wird dadurch verstärkt, dass sich die Werke der genannten Autoren gleich in zwei- bis dreifacher Ausführung finden lassen – ebenso wie Schulatlanten und ausgemusterte Lexika.

 dichterviertel_4Künstler-Viertel, Christa-Moering-Platz 1

Durchgängig dunkles Holz, Kastenfenster an den Flügeltüren, silbern schimmernde Metallgriffe: In Sachen Stil belegt diese Tauschstelle unseren Platz eins. Der von den Wiesbadener EVIM-Werkstätten angefertigte Schrank wäre ein optischer Gewinn für jedes geschmackvoll eingerichtete Wohnzimmer. Auch das Innenleben kann sich sehen beziehungsweise lesen lassen. Hier reihen sich Klassiker, beispielsweise Virginia Woolf, an Größen der Unterhaltungsliteratur wie Douglas Adams oder Marion Zimmer Bradley. Einziges Manko: Nachdem der Schrank zunächst gut sichtbar auf der Mitte des Platzes stand, musste er wegen Schäden durch Regenwasser in eine Nische des Eingangsbereichs des Hauses LeNa versetzt werden. Weniger tauschende Besucher als zuvor hat der Schrank deshalb aber nicht.

klopstockstr_1 Scheffelstraße /Ecke Klopstockstraße

 Dieser Schrank ist weit mehr als ein reiner Bücherschrank, vielmehr handelt es sich um eine Tauschbox – für wirklich alles. Entstanden als Projekt dreier Kommunikationsdesign-Studentinnen, sollte sie nur wenige Monate stehen. Wegen des regen Interesses wurden daraus bereits drei Jahre. Die selbstgezimmerte und gelb gestrichene Box hat ein kleines Wellblechdach, statt Türen zwei Plastikvorhänge. Für Bücher gibt es Regalbretter, für Kleider eine Stange mit Bügeln. Die Anwohner werfen täglich einen Blick hinein – auch, um darin aufzuräumen. Sie können sich ihr Viertel nicht mehr ohne Tauschbox vorstellen, denn sie ist auch Ort zum Plausch – mitunter über die ein oder andere darin abgelegte Kuriosität.

Umweltladen, Luisenstraße

Auch im Umweltladen gibt es einen öffentlichen Bücherschrank, in dem gut erhaltene Bücher aller Art hineingestellt und im Gegenzug andere mitgenommen werden können. Das Büchertauschregal ist ein offenes und laut Angaben des Umweltamtes rege genutztes Angebot für alle Leseratten und Bücherwürmer und ist regelmäßig zu den Öffnungszeiten des Umweltladens in der Luisenstraße 19 (Montags bis freitags von 10 bis 18 Uhr, samstags von 10 bis 14 Uhr)zugänglich.