Direkt zum Inhalt wechseln
|

Die Brückenbauer – Eine Familie verbindet östliche und westliche Lebensweisheiten und Wissensquellen

Von Gesine Bonnet. Foto Samira Schulz.

In dieser Rubrik stellen wir Menschen vor, die als Familie etwas Besonderes verbindet. Zum Beispiel Psychotherapie. Die aus dem Iran stammende Familie Peseschkian verbindet Orient und Okzident.

 

Blickt Manije Peseschkian zurück auf die Zeit, als sie und ihr Mann aus dem Iran nach Deutschland kamen, kann sie selbst nur staunen: „Damals hatten wir einen Koffer in der Hand. Und jetzt…“ Tatsächlich findet sich so einiges in Wiesbaden, das mit dem Namen Peseschkian verbunden ist – vor allem mit dem von Manijes Mann Nossrat, der 2010 verstarb. Er hat sich als Begründer der „Positiven Psychotherapie“ international einen Namen gemacht. Die tiefenpsychologisch fundierte Methode gelingt es, eine Brücke zwischen östlichen und westlichen Lebensweisheiten und Wissensquellen zu schlagen. Entwickelt hat Peseschkian sie in Wiesbaden. Hierher, in die ehemalige Weltkurstadt, kam er 1968 mit seiner Frau, und eröffnete eine Praxis und Tagesklinik, nachdem er in Deutschland studiert und promoviert hatte.

Heute ist daraus viel mehr geworden: 2000 gründete Nossrat Peseschkian die Wiesbadener Akademie für Psychotherapie (WIAP), die heute zu den größten staatlich anerkannten psychotherapeutischen Aus- und Weiterbildungsinstituten Deutschlands zählt. Sie hat mitsamt einem ambulanten Zentrum ihren Sitz in der Luisenstraße und wird inzwischen von Sohn Hamid geleitet. Er trat als Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut ebenso in die Fußstapfen seines Vaters wie der zweite Sohn, Nawid. Dieser führt in der Langgasse eine große Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. Mutter Manije, studierte Biologin, die zunächst viele Jahre in der Praxis ihres Mannes unter anderem als EEG-Assistentin arbeitete, bildete sich später ebenfalls zur Familientherapeutin weiter.

Vater Nossrats 30 Bücher wurden in zig Sprachen übersetzt

2005 gründete sie mit ihrem Mann die „Prof. Dr. Peseschkian Stiftung“. Deren Grundstock speist sich aus dem Familienvermögen, zudem kommen ihr die Einnahmen aus dem Verkauf der insgesamt 30, in zig Sprachen übersetzten Bücher zugute, die Nossrat Peseschkian im Laufe seines Lebens geschrieben hat. Die Stiftung, die in der noblen Kaiser-Friedrich-Residenz sitzt, betreibt die „Internationale Akademie für Positive und Transkulturelle Psychotherapie“. Sie hat sich der Bildung als Schlüssel für Entwicklung verschrieben, bietet Weiterbildungen im Bereich der Familien- und Konfliktberatung und seit kurzem auch spezielle Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer an (siehe Infokasten). Außerdem engagiert sie sich für die Ausbildung Positiver Psychotherapeuten in Äthiopien und unterstützt ein Kinderheim in dem ostafrikanischen Land.

 Ideen anfangs belächelt, heute unabdingbar

Was treibt die Peseschkians bei all dem an? Eine Quelle ist ihre Religiosität – sie gehören den Bahá’í an, Mutter Manije war über 40 Jahre im Geistlichen Rat der Wiesbadener Bahá’í -Gemeinde aktiv. In dieser Religion spiele das „Weltbewusstsein“ eine wichtige Rolle, erklärt Hamid Peseschkian, „der Glaube an die Einheit der Menschheit in ihrer Vielfalt“. Mit dem positiven Menschenbild der Bahá’í im Gepäck lag für den Einwanderer Nossrat Peseschkian das kulturelle Brückenbauen auch als Psychotherapeut nahe: Mit seinem „transkulturellen“ Ansatz, der Geschichten und Märchen aus der orientalischen Tradition therapeutisch einbezog, betrat er in den Siebzigerjahren Neuland und sei von den Kollegen zunächst belächelt worden, erzählt Sohn Hamid. Heute, in einer zunehmend heterogenen Gesellschaft sei das Gespür für unterschiedliche kulturelle Systeme und die Bereitschaft, von anderen zu lernen, hingegen unabdingbar.

Als Migrantenfamilie, die mitten in Wiesbaden ihren Platz gefunden hat, ist das für die Peseschkians umso mehr Alltag. Manije, die ganz frisch in Deutschland war, als sich das Ehepaar Ende der 60er-Jahre hier ein neues Zuhause aufbaute, hat die Wiesbadener von Anfang an als offen wahrgenommen: „Ich glaube, wir waren interessant, weil wir exotisch waren.“ Heute sei vieles selbstverständlicher geworden, das sagen auch die Söhne, beides waschechte Wiesbadener, die am Gutenberggymnasium ihr Abitur machten.

Kosmopolitisch und weltweit vernetzt

Auf jeden Fall haben die Peseschkians dazu beigetragen, dass die Stadt ein Stück internationaler geworden ist. Nicht nur, weil die Familie selbst ausgesprochen kosmopolitisch ist und weltweit vernetzt. Sie haben auch die Welt nach Wiesbaden geholt: So fand im Jahr 2000 der Weltkongress für Positive Psychotherapie mit 400 internationalen Gästen in Wiesbadener Kurhaus statt, jährlich kommen zu internationalen Trainings rund 100 Teilnehmende aus zwanzig Ländern in die Stadt. Allen gefalle es sehr gut hier, versichert Hamid, der aber glaubt, dass Wiesbaden mehr aus sich machen könnte: „Die Stadt sitzt auf Perlen und macht nichts draus.“ An den Peseschkians wird’s nicht liegen. Die nächste Generation steht schon in den Startlöchern. Alle vier Enkel sind zurzeit zum Studieren in der Welt unterwegs, erzählt Manije. Medizin und Psychologie natürlich.

Weniger Stress, mehr Gespür: Lehrerfortbildung 

Nach dem erfolgreichen Pilotprojekt 2016 bietet die Peseschkian-Stiftung Anfang 2018 erneut eine Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer an. Sie zielt auf die Stärkung der eigenen psychischen Gesundheit und eine bessere Stressbewältigung sowie die Entwicklung transkultureller Kompetenzen. Die Veranstaltung umfasst sechs Module, wird vom Kultusministerium unterstützt und ist von der Hessischen Lehrkräfteakademie akkreditiert. Informationen und Anmeldung: www.peseschkian-stiftung.destiftung@peseschkian.com, Telefon 0611-341167-4.