Von Dirk Fellinghauer. Fotos Samira Schulz.
Man darf getrost als Coup bezeichnen, was Kim Engels und Beatrixe Klein gelungen ist. Sie zeigen in Wiesbaden die erste museale Einzelschau der als „Österreichs Kunst-Shootingstar“ gehandelten Anouk Lamm Anouk. Nun sind medial verbreitete und bediente Label das eine und Realitäten das andere. Im frauen museum Wiesbaden hält die Wirklichkeit dem vorauseilenden Ruf stand. Do believe the hype: Anouk Lamm Anouk ist eine aufregende Angelegenheit, in Wiesbaden allemal.
In ihrer Kunst, in ihrem via Instagram ausgiebig dokumentierten Leben, im persönlichen Gespräch: Anouk Lamm Aamor Raphaela Maria Elisabeth Michaela Victoria Tiziana Anouk, so ihr Name in vollständiger Pracht, erscheint so geheimnisvoll wie offen. Das passt sogar ein wenig zum Ausstellungsort. Auch knapp vierzig Jahre nach der Gründung 1984 dürfte das frauen museum Wiesbaden für viele noch unentdecktes Terrain sein. Wer wirklich noch nicht dort gewesen ist im Hinterhof in der Wörthstraße: Diese Schau – die erste non-binäre Position in der langen Geschichte des Hauses übrigens – ist die Gelegenheit, dies nachzuholen.
Diese Ruhe!
Wer den Ort aufsucht und in die Ausstellung eintaucht, erlebt: Ruhe! Das ist der erste Eindruck beim Betreten des unteren Ausstellungsraums mit seinen großformatigen meditativ anmutenden Gemälden. Dass im Rahmenprogramm der Schau auch Yogastunden inmitten der Ausstellung angeboten werden: passt! Ruhe ist auch das Gefühl, das bleibt und das nachschwingt, wenn man diese sich über drei Etagen und vierzig sehr unterschiedliche Werke erstreckende Ausstellung wieder verlässt und sich zurückbegibt in die Außenwelt.
Die Außenwelt. Das ist eine Welt, der sich Anouk Lamm Anouk gerne entzieht. „`Post/Pre´ zielt auf das Leben im Moment, auf die Gegenwart in einer Zeit der Ablenkungen und permanenten Reizüberflutung“, sagt sie beim gemeinsamen Rundgang, auf dem sie alles rund um ihre Kunst – die Entstehung, die Inspiration, die Techniken, die Zusammenhänge – sehr präzise erklärt: „Ob Städte, digitale Welten, Werbung – es ist schwierig, im Augenblick präsent zu sein.“ Wiesbaden, wo sie einige Tage rund um die von großer Aufmerksamkeit begleitete Ausstellungseröffnung verbringt, gefällt ihr diesbezüglich gut – „langsam und entschleunigt“ komme es ihr hier vor, das sei „näher am Biorhythmus des Menschen“.
Einmal betrachtet – nicht mehr losgelassen
Sie selbst führe, obwohl mitten in Wien lebend, ein ruhiges Leben: „Ich bin nie so stark mit den äußeren Einflüssen konfrontiert.“ Sie sei darauf bedacht, sich nicht mitreißen zu lassen „von außen“, folge ihrem inneren Tempo: „Der Entstehungsprozess ist sehr ruhig und getragen von einer anderen Energie.“ Eine Energie, in der „Leere als Basis der Fülle“ fungiert. Und funktioniert. Auch die Gemälde, die abstrakt sind und augenscheinlich „nichts“ darstellen, zeigen etwas und machen etwas mit denen, die sie betrachten.
„Ich sah Bilder von Anouk Lamm Anouks Arbeiten und sie ließen mich nicht mehr los“, schreibt Kuratorin Kim Engels im Vorwort des hervorragenden kleinen quadratischen Ausstellungskatalogs. So dürfte es auch vielen gehen, die die Arbeiten im frauen museum sehen.
Und dann gibt es ja noch die Arbeiten, die sehr wohl und auch explizit etwas zeigen: die „Lesbian Jazz“-Serie etwa. „Ich will lesbische Sichtbarkeit in der Kunst schaffen“, sagt Anouk Lamm Anouk. Lesbisches Leben existiere – wie auch das anderer marginalisierter Gruppen – in der Gesellschaft, sei in der Kunst jedoch unterrepräsentiert. Man muss man schon genau hinschauen, um ihre Darstellung des lesbischen Lebens, der lesbischen Lust – oft im zarten Strich neben großflächigen Elementen – zu sehen, dann sieht man es aber sehr genau.
Die Empathie der Tiere
Ein anderes großes Thema der Künstler:in: Tiere und Tierwesen. Mit diesen setze sie sich, in ausführlichen Recherchen über soziale Strukturen und in ihrer Kunst, im Grunde lieber auseinander als mit Menschen. Ihr erstes „shaped canvas“ stellt ein lebensgroßes Pferd dar. „Das Pferd ist ein wichtiger Bestandteil unserer Evolution. Es hat den Menschen geholfen, schneller, mobiler zu werden, neue Gebiete zu erreichen“, sagt die Künstler:in. Sie redet von Reinheit, Empathie, von „Caring“ unter Tieren, erst recht in „sehr friedlichen, sich gegenseitig schützenden“ Herden im Matriarchat im Gegensatz zur patriarchalen Gesellschaft, und davon, dass die Fürsorge – „so wichtig, für sich selbst wie für andere“ – in einer Gesellschaft mit immer mehr Egoismen fehle.
Sie selbst, der Zuschreibungen zuwider sind und die als Credo „No age. No gender. No origin.“ ausgibt, lebt in Wien in symbiotischer Beziehung mit der Juristin Marleen Roubik, Ehefrau und Managerin, mit Hündchen Sirius Grace und mit Katze Moon Fawn auf 180 kunsterfüllten Quadratmetern. Ehefrau und Hündchen sind als ständige Begleiterinnen mit nach Wiesbaden gereist. Auf ihr Auftreten angesprochen, das mitunter streng kontrolliert und inszeniert oder gar artifiziell erscheint, sagt das Paar unisono: „Wir sind tatsächlich so“. Im Erwachsenenalter, erzählt Anouk Lamm Anouk, erhielt sie eine Autismusdiagnose – und hat für sich selbst diagnostiziert: „Das ist der Grund, warum ich freier denke“.
Und wie frei sind Betrachtende in der Ausstellung? Sollen sie sich mit den Inhalten auseinandersetzen oder dürfen sie auch „nur“ schauen? „Beides ist okay“, sagt die Künstler:in. Es gebe keine vorgefertigten Botschaften: „Jeder sieht etwas ganz anderes. Kunst ist ein Spiegel für Betrachter, je nachdem, was wir selbst reflektieren.“ Als wir alles in der Ausstellung gesehen haben und der gemeinsame Rundgang endet, sagt Anouk Lamm Anouk: „Was es noch alles geben wird? Let´s see!“. Aber gerne. Und gerne auch wieder in Wiesbaden.
Anouk Lamm Anouk: „Post/Pre Lesbian Jazz“, präsentiert von sensor als Medienpartner, noch bis 3. Dezember im frauen museum Wiesbaden.
danke dirk fellinghauer, danke für die qualität ihrer rezension, für ihr einfühlungsvermögen für ihre worte, ihre expertise. danke für den blick auf eine ganz besondere persönlichkeit, eine eigenständige künstlerin mit unverwechselbarer handschrift, unangepasst, einzigartig, groß
und nicht zuletzt danke für die gleichermaßen sprechenden und treffenden bilder von samira schulz – wunderbar