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Die Linse als Brücke: Frauen aus dem Schelmengraben lüften mit Rezepten aus ihren Heimatländern große Geheimnisse

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Von Julia Anderton. Fotos Michael Link Photography.

Meryem ist die Ausgeglichenheit in Person – wenngleich selbst Starpianist Lang Lang angesichts ihrer Fingerfertigkeit blass werden dürfte: Blitzschnell platziert die 38-Jährige einen Teelöffel der rasant gehackten Feta-Petersilien-Füllung in das angefeuchtete Teigquadrat auf dem Tisch, rollt es fix bis zum Ende auf, klappt die Ecken ein und nimmt sich direkt das nächste Viereck aus der Packung. Neben ihr zupft Zekya etwas zusätzliche Petersilie von den Stängeln. Die beiden Frauen unterhalten sich, es wird viel gelacht und doch sind die zwanzig Börek-Rollen in wenigen Minuten brutzelfertig.  Dass Meryem und Zekya plötzlich erstarren, liegt keineswegs an einer fehlenden Zutat: Food-Fotograf Michael Link möchte vielmehr sichergehen, dass er den nächsten Arbeitsschritt im rechten Blickwinkel einfängt.

Klack von links. Klack von rechts. Klack. Klack. Klack. Ist es nicht störend, wenn einem ständig eine Kamera vor das Gesicht gehalten wird? „Man gewöhnt sich daran“, winkt Meryem ab. Es könne höchstens passieren, dass die Suppe zu scharf gerät, weil das Pfeffern für das Foto wiederholt werden muss. Das „Go“ kommt, und die Rollen landen in der Pfanne, bevor sie knusprig gebraten für das finale Foto, das Grafikdesignerin Ludmila Lorenz machen wird,  arrangiert werden.

Drumherum stehen Scheinwerfer, Stellwände, Kabelrollen – wahrlich keine Utensilien, die  sich gewöhnlich in einer Küche finden. Schließlich stehen Bushra, Sahima , Abida, Rahel, Meryem und Zekya auch nicht am heimischen Herd, sondern in Michael Links riesigem Fotostudio-Loft werkeln. Gemeinsam mit neun weiteren Dotzheimerinnen mit pakistanischen, russischen, afrikanischen und italienischen Wurzeln bilden sie „Die Linse“ als internationales Frauenkochkollektiv Schelmengraben. Auch Freundschaft geht durch den Magen. Kennengelernt haben die Frauen sich ursprünglich durch Angebote der Arbeitsgemeinschaft Schelmengraben.

Firmen engagieren sich

Begleitend lief von Herbst 2013 bis zu diesem Frühjahr  „gemeinsam aktiv. Unternehmen Schelmengraben“ als Pilot­projekt der Nationalen Stadtentwicklungspolitik mit dem Corporate-Citizenship-Netzwerk UPJ als Projektträger im Auftrag des Amtes für Soziale Arbeit. Das Ziel bestand in der Einbindung des bürgerschaftlichen Engagements von Unternehmen für den Schelmengraben, dem Wiesbadener Stadtteil mit der „höchsten sozialen Bedarfslage. Das von den Bewohnerinnen gemeinsam gestemmte internationale Catering beim „Aktionstag Schelmengraben 2015“ kam so gut an, dass spontan die Idee aufblitzte, mit den Frauen ein interkulturelles Kochbuchprojekt zu realisieren.

Der Stadt zeigen, was der Schelmengraben drauf hat

Sie waren sofort Feuer und Flamme: „Die Frauen sind stolz, dass ihre Leistung anerkannt wird“, weiß Karoline Deissner vom Amt für Soziale Arbeit.  Sie möchten ganz Wiesbaden zeigen, was ihr Stadtteil auf die Beine stellen kann und zugleich Brücken schlagen. Dass der gemeinsame Genuss ein guter Weg ist, zeigt der Zusammenhalt der Frauengruppe. Dabei ist der Garant für die gelungene  Völkerverständigung nicht größer als ein Fingernagel: „Die Linse ist die multi-kulturelle Hülsenfrucht überhaupt“, hat Simone Ried von der Multimedia-Agentur „die firma“ – einer von sechs Firmen, die das Projekt ehrenamtlich unterstützen – bemerkt: „Sie spielt in jeder Küche eine Rolle und ist der kleinste gemeinsame Nenner.“ Wenn das professionell gestaltete Kochbuch plangemäß Ende des Jahres fertig gestellt ist, werden darin natürlich über die Linse hinaus auch Rezepte mit anderen Zutaten aus zehn Ländern zu finden sein. Gespickt wird das Werk mit lukullischen Kindheitserinnerungen, Schilderungen von üppigen Hochzeitsmählern in der alten Heimat und kulturellen Foto-Sequenzen, um den Wiesbadenern die Frauen hinter Kochtopf und Käsereibe näher zu bringen. Intern hat es längst funktioniert. „Mein Herz und meine Küche sind 24 Stunden am Tag offen“, betont Bushra. „Es ist egal, welche Nationalität wir alle haben. Wir sind Freundinnen.“

Alle Infos und Updates zum Projekt und Möglichkeit zum Vorbestellen des Buchs, das 2017 erscheinen wird, auf schelmengraben-kocht.de