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Die starken Kinder von Wiesbaden: Eine Anlaufstelle, wenn die eigenen Eltern psychische Probleme haben

Von Hendrik Jung. Fotos Samira Schulz.

Wie kann man Kindern klar machen, dass sie nicht schuld daran sind, wenn Mama oder Papa tieftraurig sind? Wie sollen sie mit extremen Stimmungsschwankungen bei ihren Eltern umgehen? Und was können Kinder von Alleinerziehenden tun, wenn diese plötzlich in eine Klinik eingewiesen werden. Antworten auf solche Fragen geben seit fünf Jahren die Mitarbeitenden des Projekts Starke Kinder (StarKi) des Vereins Werkgemeinschaft Rehabilitation Wiesbaden. Ursprünglich mit Mitteln der Aktion Mensch ins Leben gerufen, dann zwei Jahre mit Hilfe von Spenden am Leben erhalten, erhält das Projekt mittlerweile eine Finanzierung durch die Stadt Wiesbaden. „Das ist zwar nicht ganz kostendeckend, aber den Rest trägt der Verein“, berichtet Karin Heil.

Toben, Fantasiereisen, Gespräche
Die Sozialpädagogin ist seit Anfang an dabei und hat in der Phase, als die Finanzierung nicht verlässlich gesichert gewesen ist, versucht, die kostenfreien Angebote auch mit wenig zeitlichen Ressourcen aufrecht zu erhalten. Jetzt ist sie glücklich, dass StarKi lediglich noch für die Durchführung von Ausflügen auf Spenden angewiesen ist. Auch die Menschen, die bislang von dem Angebot in der Dotzheimer Straße profitiert haben, sind froh.

„Ich sehe oft Gesichter in Wolken und Bäumen. Das ist immer noch so, aber ich hab nicht mehr so eine Angst davor“, berichtet die 12-jährige Tabea. Vergnügt sitzt sie zwischen vielen Kuscheltieren im großen Gruppenraum, der zum Toben und für Fantasiereisen genutzt wird. In den Einzelgesprächen mit Karin Heil habe sie unter anderem den Tipp bekommen, wegzusehen und nicht mehr dran zu denken. Meistens seien die Gesichter dann verschwunden.

„Die Situation hat sich entspannt. Es war mir wichtig, dass sie die Angst verliert und man sie auch mal alleine lassen kann“, berichtet Mutter Sabine Bender. Mittlerweile mache es ihr sogar Spaß, auch mal alleine zu Hause zu sein, bestätigt Tabea. Eine Entwicklung, die auch die große Schwester beobachtet hat. „Sie ist sehr selbstständig geworden“, ergänzt die 19-jährige Milena. Diese hat vor einiger Zeit gemeinsam mit ihrer Mutter einen schweren Verkehrsunfall beobachtet. Eine Erfahrung, die das Familienleben stark beeinträchtigt hat.

„Nach dem Unfall bin ich in ein tiefes Loch gefallen und habe lange Zeit nur das Nötigste erledigt“, erinnert sich Sabine Bender, die mittlerweile wieder arbeiten geht. Teilweise sei das Verhältnis zu ihren Kindern schwierig gewesen. „Ich habe nicht gemerkt, wenn ich mich in etwas verrannt habe. Heute bekomme ich schon mal gesagt: So bist du blöd“, verdeutlicht die 51-jährige. „So sage ich das nicht“, versichert Tabea. Auf jeden Fall sei man in der Familie inzwischen aber wieder in der Lage, Konflikte auszutragen.

StarKi-Angebot gibt Sicherheit
„Es hat mir Sicherheit gegeben, zu wissen: Wenn ich nicht mehr weiter komme, rufst du bei StarKi an und fragst einfach“, schildert Sabine Bender, wie gut ihr das Angebot tut. Ihre Tochter hat derzeit keinen akuten Hilfebedarf mehr, will aber auf jeden Fall weiter zu Veranstaltungen kommen, die für aktuelle und ehemalige StarKi-Kinder durchgeführt werden. In ihrer Zeit als Klientin habe sie hingegen nicht am Gruppenangebot teil nehmen wollen. „Im Einzelgespräch kann man am besten über etwas reden“, findet Tabea. Weil das von Fall zu Fall verschieden ist, gibt es in dem Projekt beide Optionen.

Notfallplan in der Mappe
„Es muss sich herausstellen, ob die Teilnahme an der Gruppe das Richtige ist“, erklärt Lena Richter, die StarKi gemeinsam mit Karin Heil leitet. Um individuell auf die Kinder eingehen zu können, bestehen die Präventionsgruppen aus nicht mehr als sieben Teilnehmenden, die etwa im gleichen Alter sind und von beiden Sozialpädagoginnen gemeinsam betreut werden. Über drei Monate hinweg treffen sie sich einmal pro Woche für anderthalb Stunden. Am Anfang wird gemeinsam ein Gruppenlogo erarbeitet, das später auch in der Mappe zu finden ist, die die Kinder mit nach Hause bekommen. Darin enthalten ist auch der Notfallplan, der gemeinsam mit den jungen Klientinnen und Klienten erarbeitet wird: Sie überlegen sich, an wen sie sich in ihrem Umfeld wenden können, wenn etwa ein alleinerziehender Elternteil per Noteinweisung in die Klinik kommt. Aber auch die Telefon-Nummern der Polizei und von StarKi sind darin enthalten. In den Gruppenstunden erfahren die Kinder auch mehr über die Krankheiten ihrer Eltern und bekommen Gelegenheit, mit anderen darüber zu reden. Sie lernen, Selbstwirksamkeit zu entwickeln, Grenzen zu setzen und zu achten und auch, einfach mal zur Ruhe zu kommen.

Wichtig, dass sie Kind sein dürfen

Wenn man die Kinder kennengelernt habe, könne man auch behilflich sein, sie zu Angeboten weiter zu vermitteln, die eine geeignete Freizeitgestaltung ermöglichen. „Es ist wichtig, dass sie Kind sein dürfen“, betont Karin Heil. Das Schöne an der Arbeit bei StarKi sei, dass durch die Unterstützung der Kinder gleichfalls die Eltern gestärkt würden. Das hat auch eine alleinerziehende Mutter erlebt, die unter einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung leidet. Nachdem sie sich selbst in eine Klinik habe einweisen lassen, habe sie eine ambulante Therapie begonnen. „Die Kinderbücher, die hier zur Verfügung stehen, haben mir viel mehr geholfen zu verstehen, was meine Krankheit ist als die Therapie“, betont die 48-jährige. Auch aus den monatlichen Eltern-Kind-Treffen, bei denen für die Erwachsenen moderierte Gespräche angeboten werden, habe sie sehr viel für sich mitgenommen. So habe sie Techniken gelernt, sich selbst zu beruhigen und wie sie besser mit Anspannung umgehen könne. Ihrer 13-jährigen Tochter habe es sehr gut getan, dass sie in den Einzelgesprächen eine Aufmerksamkeit erhalten haben, die sie selbst ihr in dieser Form nicht geben konnte. Durch Vermittlung von StarKi stehe die Jugendliche inzwischen sogar auf der Bühne, was zeige, wie selbstbewusst sie geworden sei.

Zurück zur Normalität im Leben
Für Mutter und Tochter gebe es mittlerweile viel mehr Normalität im gemeinsamen Leben, das deutlich entspannter geworden sei. „Früher war es sehr anstrengend für mich. Jetzt habe ich keine Zusatzbelastung mehr durch mein Kind“, betont die gelernte Industriekauffrau. Gemeinsam verbringe man inzwischen ein bis zwei Stunden pro Woche mit einer geflüchteten afghanischen Familie. Dies gebe der eigenen Tochter die Gelegenheit, mit kleineren Kindern zu spielen. Dabei erlebe man schöne Momente, die mit Geld nicht zu kaufen seien. Zu merken, dass es bei StarKi Personen gibt, die für sie da sind, habe die Jugendliche darin bestärkt, auch anderen zu helfen. „Ich hoffe, dass ich irgendwann in meinen Beruf zurück kann. Das Ehrenamt war der nächste Schritt dazu. Eigenes Geld zu verdienen, würde mir viel Selbstvertrauen geben“, sagt die Frau, die früher in der Personalarbeit tätig gewesen ist. Ihre Tochter sei auf einem guten Weg, das Abitur zu machen. Dabei wolle sie sie unterstützen und so gut sie könne für sie da sein. Aber auch Karin Heil und Lena Richter von StarKi werden den weiteren Weg ihres ehemaligen Schützlings begleiten. Sei es bei gemeinsamen Ausflügen, sei es durch den Besuch einer Aufführung, bei der das Mädchen auf der Bühne steht und zeigt, war für eine starke Persönlichkeit sie ist.

Kontakt zu „StarKi“: Karin Heil, Tel. 0611 – 900 670 71, E-Mail: kinderprojekt@wrw-wiesbaden.de

www.starki.net