Direkt zum Inhalt wechseln
|

Editorial März-sensor: Vorsicht, Curt-Bloch-Suchtgefahr!

Kurz vor ihrem Rückflug nach New York fand Simone Bloch in Wiesbaden Zeit für ein Treffen mit sensor und ein gemeinsames Gespräch mit Thilo von Debschitz über eine Geschichte aus der Vergangenheit, die aber – viel wichtiger – eine Geschichte über und für die Gegenwart ist. Foto: Arne Landwehr

Vorsicht, Curt-Bloch-Suchtgefahr,

liebe sensor-Leser:innen. Sie lernen in dieser Ausgabe einen Mann kennen, der Sie, sobald Sie sich ihm nähern, mit großer Wahrscheinlichkeit in den Bann ziehen wird. Dessen Werke vor allem Sie in den Bann ziehen werden. Sie lernen Curt Bloch kennen.

Ein Mann, der sich vor den Nazis versteckte und im Untergrund ungeahnte Fähigkeiten entdeckte: Er brachte ein sagenhaftes Satiremagazin heraus, das nun, knapp 80 Jahre später, wieder entdeckt wird. Auch in dieser sensor-Ausgabe.

Dass Sie Curt Bloch kennenlernen dürfen, hat viel mit Wiesbaden zu tun. Weil die Tochter von Curt Bloch, Simone Bloch, von New York aus den Wiesbadener Kommunikationsdesigner Thilo von Debschitz entdeckte, entdeckte dieser Curt Blochs widerständigen Nachlass und beschloss: Das muss die Welt entdecken.

Er sei „geflasht“ gewesen von der Entdeckung, berichtete mir Thilo von Debschitz, und ich kann Ihnen sagen: Ich bin es auch. Dass ich auch noch Simone Bloch persönlich in Wiesbaden treffen durfte, kurz vor ihrem Rückflug nach New York, war das i-Tüpfelchen einer Geschichte, die, obwohl vor dem Hintergrund dunkelster deutscher Zeiten spielend, durch und durch Freude macht.

„Mal kurz“ auf die großartige, in Wiesbaden entstandene Webseite über Curt Bloch gehen, auf der sämtliche seiner Magazine, alle seiner Texte und herrlichen einzigartigen Cover-Collagen zu finden sind, das geht kaum. Man bleibt drauf, weil es da so viel zu entdecken und zu lesen gibt. Vorsicht Suchtgefahr: Noch´n Gedicht – aber bitte von Bloch!

Die Bloch-Geschichte macht Freude wegen der Inhalte, wegen der Umstände, wegen der Art der Umsetzung, wegen der Begegnungen, wegen der Begleiterscheinungen. Aufgrund der Berichterstattung wurde eine heute 103-Jährige auf die 98-jährige Witwe von Curt Bloch aufmerksam. Beide Damen waren im gleichen KZ, überlebten, hatten aber keine Ahnung, dass sie beide bis heute leben. Die 103-Jährige aus Connecticut kontaktierte die 98-Jährige in New York, sie telefonierten eine Stunde lang miteinander. Wie schön ist das denn!?

Weniger schön ist, warum die Bloch-Geschichte gerade jetzt wieder relevanter, aktueller und erzählenswerter denn je ist. Weil die Nazis wieder im Kommen sind. „Im Angesicht der wachsenden rechtsextremen Tendenzen und des Antisemitismus in Deutschland und Europa kommt dieses Projekt zur richtigen Zeit“, ist Thilo von Debschitz überzeugt.  Wie recht er hat.

Und Simone Bloch hat recht, wenn Sie, wie in diesem sehenswerten aktuellen ZDF-volle-Kanne-Beitrag zu ihrem Besuch an einer Kelkheimer Schule am Abend nach unserem Interview und vor ihrem Abflug nach New York, zur zeitlosen Allgemeingüligkeit der Texte ihres Vaters sagt: „Es geht darum, zu erkennen, dass Ungerechtigkeit gegenüber ganz vielen Menschen überall auf der Welt geschieht. Es ist leider keine Geschichte über die Vergangenheit. Es ist eine Geschichte über die Gegenwart.“

Dirk Fellinghauer, sensor-Entdecker