„We won it pretty big. (…) the numbers are coming out far beyond what anybody’s wildest expectation was.” (Donald Trump, 23. November 2016, New York Times-Interview)
2.950.000 : 325,
liebe sensor-Leserinnen und –Leser, lautet das Ergebnis eines Google-Schnelltests, den ich zum Thema Flüchtlinge durchgeführt habe. In 0,43 Sekunden spuckte die Suchmaschine, ohne mit der digitalen Wimper zu zucken, stolze 2.950.000 Ergebnisse für das Wort „Flüchtlingskrise“ aus. Und ganze 325 für „Flüchtlingschancen“ – verbunden mit der Nachfrage „Meintest du `Flüchtlinge Chancen´?“. Tatsächlich wurden mir nur zwei Beiträge mit dem gesuchten Wort präsentiert.
Nein, ich meinte „Flüchtlingschancen“, oder wahlweise „Flüchtlingspotenzial“ (307 Ergebnisse in 0,55 Sekunden + Nachfrage „Meintest du `Flüchtlinge Potenzial´?“). Weil ich in gut einem „Flüchtlingsjahr“ in unserem Land, in unserer Stadt, ganz viel von Chancen und Potenzialen im Zusammenhang mit Flüchtlingen wahrgenommen und mitbekommen habe. Weil sich der Begriff der „Flüchtlingskrise“ nicht mit meiner Wahrnehmung deckt. Probleme, ja. Herausforderungen, natürlich. Hürden, logisch. Sie lesen darüber im neuen sensor. Aber Krise? In den Ländern, aus denen die Flüchtlinge zu uns fliehen: Ja. Bei uns: NEIN!
Sprache und Begriffe machen und manifestieren Stimmung. Stimmung bringt Stimmen. Bei uns in Wiesbaden einer AfD, die seit diesem Frühjahr in unserem Rathaus sitzt und dort bisher ungefähr Nullkommanix zur Stadtpolitik beiträgt (auch wenn die AfD-Fraktion inzwischen, ebenso wie die Partei AfD, bei Pressemitteilung Nr. 15/2016 – also zusammen weitgehend inhaltsleere 30 Pressemitteilungen in diesem Jahr – angelangt ist). Und in den USA einem Donald Trump, der ab dem 20. Januar 2017 im Weißen Haus sitzen wird und von dem man sich wohl noch wünschen wird, er würde dort Nullkommanix machen anstatt das, was er so alles androht zu tun.
Donald Trump hat es geschafft: Ich bin jetzt auch besorgter Bürger. Besorgter Weltbürger. Freunde, die in Gesprächen vor der Wahl ihre Ängste vor einem Trump-Sieg äußerten, beschwichtigte ich, der ich unter Reagan ein Jahr in den USA gelebt habe und das doch ganz gut überlebt habe: „Wenn er erst mal im Amt ist, wird es so schlimm nicht werden“. Nun ist er auf dem Weg ins Amt. Und ich, der bisher gerne und, all dem Kritisierwürdigen zum Trotz, überzeugt den Ami-Versteher gab, fürchte mit vielen anderen: Es wird noch viel viel schlimmer. Und es kann hierzulande abfärben. Auf die Stimmung. Auf die Stimmen.
Und jetzt? Kann es nur eines geben: Aufwachen! Aufstehen! Einstehen! Für das, was uns wertvoll und wichtig ist und von dem wir, wie NDR-Journalistin Anja Reschke kürzlich beim „Demokratie-Lunch“ der Friedrich-Ebert-Stiftung im überfüllten „Wohnzimmer“ sagte, eigentlich gedacht hatten, dass es nicht mehr verhandelt werden müsse. Stattdessen: Nichts ist mehr sicher, nichts ist mehr auszuschließen. Im Schlechten wie im Guten. Und genau das ist unsere Chance. Dass wir nicht müde werden, der Hetze, dem Hass, den Lügen etwas zu entgegnen. Und dass wir daran glauben, dass gute, wahre, „echte“ Botschaften genau so ansteckend sein können wie postfaktischer Wahn. Probieren wir es mal aus. Im Alltag so sehr wie in Wahlkämpfen, im persönlichen Gespräch so sehr wie in öffentlichen Diskussionen.
Wir erleben buchstäblich ver-rückte Zeiten. „Ein Scheißjahr“ höre ich viele über dieses nun zu Ende gehende 2016 sagen. Irgendwo schon. Aber nicht nur. Ein Aufforderungsjahr, würde ich sagen: Tu´, was du kannst, damit das nächste ein besseres wird.
Keep our world great! Again and again and again.
Dirk Fellinghauer, sensor-Fighter