Von Hannah Weiner. Foto goEast-Festival.
Russland und die Ukraine, der Kaukasus oder Ex-Jugoslawien: Das Wiesbadener goEast-Festival des mittel- und osteuropäischen Film, das heute mit sensor als Medienpartner startet, bringt Künstler aus Krisenregionen zusammen. Und zeigt Filme aus dem Krieg als Filme für den Frieden.
Ihre Heimatländer bekriegen sich. Dort wird geschossen, fast täglich sterben Menschen, nichts als Ruinen und Rauch bleibt übrig von ganzen Landstrichen. Die staatlichen Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine sind derzeit schlecht wie nie. Doch bei einem kleinen Filmfestival in Wiesbaden sitzen Kreative aus eben diesen verfeindeten Ländern gemeinsam an einem Tisch. Das goEast-Festival für mittel- und osteuropäischen Film ist 2015 besonders politisch. „Die Lage hat starken Einfluss auf unser Programm“, sagt Leiterin Gaby Babić. „Alles andere wäre verantwortungslos.“ Den Weg mancher ihrer Kollegen, in dieser Situation kulturelle Beziehungen herunterzuschrauben, hält sie für falsch.
Austausch im Zeichen der Radikalisierung
Man müsse in Zeiten des Unverständnisses, der Radikalisierung und Eskalation dafür sorgen, dass Austausch weiter stattfindet. Und weil es ihr so wichtig ist, Räume zu schaffen, in denen sich Menschen aus aktuellen und ehemaligen Krisengebieten begegnen können, werden junge Filmemacher aus Russland, der Ukraine, Georgien oder dem Balkan im April nach Wiesbaden reisen. Unter dem Titel „Young Filmmakers for Peace“ sollen sie hier über die Auswirkungen des Krieges auf ihre Arbeit sprechen. Babić will die Teilnehmer für die eigene Verantwortung sensibilisieren, denn: „Filme haben großen Einfluss auf Feindbilder und Klischees und werden oft als Propagandamittel eingesetzt“, erklärt sie.
Aus kriegerischem Kontext heraustreten
Film als Mittel der Friedensbildung und Demokratisierung – darum geht es bei diesem von der Robert-Bosch-Stiftung unterstützten Pilot-Projekt. Die Künstler aus Konflikt- und Postkonfliktregionen nehmen gemeinsam an Vorlesungen, Workshops sowie Podien teil. Vertreter von NGOs und aus der Friedens- und Konfliktforschung begleiten sie dabei. Es solle denjenigen, bei denen Krisen gerade aktuell seien, die Chance geboten werden, aus dem kriegerischen Kontext auszutreten und ihre Arbeit zu reflektieren, erklärt Babić. Dabei helfen auch Filmemacher, die sich bereits lange mit dem Thema auseinandersetzen, wie Ines Tanović aus Bosnien, der georgische Regisseur Giorgi Ovashvili oder die Russin Marina Razbezhkina.
Seit 15 Jahren erzählt das goEast-Festival von der vernarbten Region Osteuropa, die noch immer geprägt ist von Kriegen im Kaukasus, im ehemaligen Jugoslawien und dem Verfall der Sowjetunion. Ein weiterer thematischer Schwerpunkt des Festivals ist deswegen die Sektion „Filmen gegen Krieg: Von Trauma und Aussöhnung“, in der genreübergreifend Werke zum Thema gezeigt werden. Zwei Aspekte sind bei goEast wichtig: die Nachwuchsförderung und damit verbundene Netzwerkbildung zwischen Ost und West sowie der Film an sich. Das Herzstück des Festivals ist nämlich der Spiel- und Dokumentarfilm-Wettbewerb. In diesem Jahr wird zwar auch viel aktuelles Material aus dem russisch-ukrainischen Konflikt zu sehen sein, doch für Babić und ihr Team ist eines sehr wichtig: „Das Russlandbild tendiert dazu, sehr negativ zu werden“, sagt die Festivalleiterin. Deswegen will sie Aspekte vom Land, dessen Geschichte und kulturellem Reichtum zeigen, die heute oft in Vergessenheit geraten.
Kunst, Kultur und Krieg
Die rund 140 Filme, die in diesem Jahr laufen, erzählen von der osteuropäischen Vergangenheit und Gegenwart in ihrer heterogenen Gänze. goEast will zeigen, welche Kinematographien, filmische Welten, Kontexte und Kulturen diese Region bereit hält. „Weil das Leben dort von Heftigem beeinflusst war, werden oft sehr existentielle Sachen verhandelt“, weiß Babić. Ein tristes Festival also? „Buntes ist auch dabei“, verspricht sie. Doch das Autorenkino sei eben meist eine ernste Sache. Und dann erzählt Babić von dem Filmfestival in Odessa, von der Herausforderung dafür genug Budget zusammenzubekommen, von politischen Schwierigkeiten, von Brandanschlägen auf eine Filmvorführung in Kiew, weil dort ein Werk über Schwule lief, und von der Petition für den ukrainischen Maidan-Aktivisten und Filmemacher Oleh Senzow, der in Russland im Gefängnis sitzt. GoEast – ein Festival zwischen Politik und Kunst. Diese Brücke ist heute wichtiger denn je.
Das goEast-Festival des mittel- und osteuropäischen Filmes findet, erstmals mit sensor als Medienpartner, vom 22. bis 28. April in der Caligari Filmbühne und anderen Spielstätten statt. Das Festivalzentrum befindet sich in der Casino-Gesellschaft in der Friedrichstraße 22. Als Eröffnungsfilm nach der Eröffnungsfeier läuft heute um 22 Uhr der polnische Film „Body“. Neben den Wettbewerben beschäftigt sich ein Symposium mit dem Produzenten Artur Brauner, die Hommage widmet sich dem georgischenTauwetter-Regisseur Marlen Khutsiev. Im Zentrum des Geschehens steht das Leinwandgeschehen, es gibt aber auch ein umfangreiches Rahmenprogramm – und: es wird wie immer viel und ausgelassen gefeiert auf den Festivalparty. www.filmfestival-goeast.de