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Ein Raum für Nischen und Gedanken: Fragemente als offener Ort für Philosophie, Kleidertausch, Kryptoparty

Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Kai Pelka, Fragmente.

Fragmente, das bedeutet „Bruchstücke“. Das impliziert ja schon eine Vielfalt mit Potenzial, sich ein  eigenes Programmpuzzle zusammenstellen zu können: Von hochintellektuellen Diskursen zu zeitgenössischer Philosophie bis zum Rohkost-Frühstück, von einer Kinderkrabbelgruppe bis zur Fahrradwerkstatt, vom intimen Jazzkonzert bis zum Treffen einer Food-Kooperative. Das alles geht in der Blücherstraße 28.

Das Programm bedient Interessen, die ein bisschen weiter gespannt sind als die allgemeine, vor allem kommerzielle Mainstream-Kultur. Dabei ist „Fragmente“ nach wie vor „ein lockerer Zusammenschluss von Freunden“, keine neue Initiative. „Es begann schon 1990“, sagt Manuel Pensé, der fast von Anfang an dabei ist. Entstanden ist das Ganze aus einer Lehrveranstaltung Marianne Gronemeyer, bis 2006 Dozentin an der damaligen Fachhochschule Wiesbaden. Die Professorin bot einen philosophischen Diskussionskurs an, der nicht für einen Leistungsnachweis zählte, sondern  offen für alle war. Man las gemeinsam Texte und diskutierte sie kritisch. Besonders Texte des Philosophen Ivan Illich spielten dabei eine Rolle. Der katholische Theologe war ein Kritiker des grenzenlosen Wachstums und prägte den zentralen Begriff Konvivialität (Conviviality), wobei es ihm um einen lebensgerechten Einsatz des technischen Fortschritts ging.

Das Gegenteil der industriellen Produktivität

In seinem Werk „Selbstbegrenzung – Tools for Conviviality“ schreibt Illich: „Unter Konvivialität verstehe ich das Gegenteil der industriellen Produktivität … Von der Produktivität zur Konvivialität übergehen heißt, einen ethischen Wert an die Stelle eines technischen Wertes, einen realisierten Wert an die Stelle eines materialisierten Wertes setzen.“ Das klingt auch heute noch sehr aktuell, und immer noch diskutieren die „Fragmente“-Philosophen mit Professorin Gronemeyer regelmäßig Thesen aus Illichs Werk. „Dabei kann aber jeder mitreden, auch ohne Illich gelesen zu haben“, betont Inka Jurk, auch sie Mitglied des rund achtköpfigen Kernteams.

Illichs Konzept der „Konvivialität“, des Zusammenlebens, manifestiert sich in den Räumen am Blücherplatz auch ganz praktisch: Indem sie für die unterschiedlichsten Ideen zur Verfügung  gestellt werden. Auch Platz für Kultur wäre noch frei, sagt Mitorganisatorin Monika Naujok. Wer zum Beispiel eine Ausstellung, ein kleines Konzert, einen Gesprächskreis oder Ähnliches veranstalten möchte, „darf uns sehr gerne ansprechen“. Das tun bereits die Food-Kooperative, die sich für gemeinsames regionales Einkaufen einsetzt oder unterschiedliche Künstler. Der nächste heißt Frederik Ecker und produziert  Kunstwerke aus Pilzsporen, die quasi ihr eigenes Motiv erschaffen, das dann von Fotograf Simon Hegenberg noch einmal „weiterentwickelt“ wird (Eröffnung der Ausstellung „SporenRevolution“ am 14. April). Vorher hat ein 17-jähriger Porträtzeichner, Jonah Roth, ausgestellt. Weiter im Angebot im April: Eine „Krypto-Party“ des Chaos-Computer-Club, ein Tanzworkshop, eine Kleidertauschbörse….

Grenzen? Höchstens räumlich!

Grenzen gibt es nicht, höchstens räumliche, denn das ehemalige Atelier ist klein und gemütlich. Es beherbergt auch das umfangreichste Ivan-Illich-Archiv der Welt – zahlreiche Bücherregale und Aktenschränke. Im September wird auch erstmals ein Preis der „Stiftung Convivial“, benannt nach dem zentralen Denkprinzip Illichs, verliehen. Dafür können bis zum 30. Juni Beiträge eingereicht werden, die sich ausgehend von Illichs Satz „Aber ich will nicht in diese Welt gehören…“ mit seinem Werk auseinandersetzen. Was also ist nun „Fragmente“? Eine Frage, die sich nicht so einfach beantworten lässt. Es ist auch ein Westend-Nachbarschaftstreff. „Wir freuen uns immer über neue Gesichter“, betont Inka Jurk. Es ist ein Ort für Kultur und Kommunikation, ein Raum für Nischen, ein Platz für Gedanken. „Leider kommen bei unseren kulturellen Veranstaltungen bis jetzt nur wenige Leute“, bedauert Monika Naujok. Man sollte also die Augen aufhalten und je nachdem, ob man sich für Philosophie, Fahrradreparatur, Rohkost, Kunst oder Musik interessiert, mal reinschauen. Ein Besuch kann in jedem Fall nur bereichern.

www.fragmente-wiesbaden.de