Direkt zum Inhalt wechseln
|

„Es ist den Menschen nicht wichtig genug“ – sensor-Interview mit Gerald Hüther zum Nachhaltigkeitsdialog

Interview Dirk Fellinghauer. Foto Michael Liebert, Illustration Bettina Nutz.

„Ich bemühe mich darum, für andere Menschen verstehbar zu machen, was vielen nur schwer verständlich erscheint“, sagt Gerald Hüther. Er wolle auch „deutlich machen, dass wir Menschen nicht leben können, ohne unserem Dasein einen über unsere persönlichen Belange hinausreichenden Sinn zu verleihen.“ Der 1951 bei Gotha geborene  Professor für Neurobiologe und dreifache Vater und Großvater schreibt populärwissenschaftliche Bücher und ist Gründer und Vorstand der Akademie für Potentialentfaltung. Beim Wiesbadener Nachhaltigkeitsdialog spricht er am 20. Februar zum Thema „Gefangen in alten Denkmustern: Weshalb uns die Umorientierung zu einem nachhaltigeren Lebensstil so schwerfällt“.

Wie definieren Sie Nachhaltigkeit?

Wer sich darum bemüht, etwas über möglichst lange Zeit zu erhalten, dem geht es um die Nachhaltigkeit dessen, was sie oder er geschaffen oder vorgefunden hat. Der nackte Begriff der Nachhaltigkeit sagt nichts darüber aus, was diese Personen zu bewahren versuchen. Ihre materiellen Besitztümer? Ihr Einkommen? Ihre kulturellen Errungenschaften oder ihre natürliche Lebenswelt? Eine Rüstungsfirma, die nachhaltig ihre Gewinne sichern will, muss dazu möglichst viele kriegerische Auseinandersetzungen anzetteln. Es wäre daher sehr hilfreich, genauer nachzufragen, auf was eine Bemühung um Nachhaltigkeit ausgerichtet ist. Sonst bleibt das, was damit gemeint ist, schwammig und beliebig interpretierbar.

Als kleiner Junge von 8 oder 10 Jahren haben Sie sich „in die Vielfalt des Lebendigen verliebt“. Welche Sorgen machen Sie sich heute, als nun 68-Jähriger, um Ihre Kindheitsliebe?

Die Vielfalt des Lebendigen haben wir bei der Verfolgung unserer Vorstellungen davon, worauf es im Leben ankommt, nachhaltig zerstört. Das tut mir weh und hat mich dazu gebracht, der Frage nachzugehen, was das für sonderbare Vorstellungen sind, wie sie in unseren Gehirnen verankert werden und auf welche Weise sie nachhaltig veränderbar sind.

Wir wissen und erkennen vieles, was nötig wäre für eine wirkliche Nachhaltigkeit, aber: Warum schaffen es die Wenigsten, konsequent nachhaltig zu leben?

Wenn es um eine nachhaltige Sicherung menschlichen Lebens inmitten der Vielfalt anderer Lebensformen auf unserem Planeten geht und dieses Anliegen nicht umgesetzt wird, dann hat das nur einen Grund: Es ist den meisten Menschen einfach nicht wichtig genug, weil ihnen anderes im Leben wichtiger erscheint.

Wann, wie – und durch wen oder was ausgelöst – haben Sie es geschafft, eine persönliche Verhaltensweise grundlegend zu verändern?

Das ging immer nur dann, wenn ich es selbst auch wirklich wollte. Wenn ich dieses neue Verhalten attraktiver, beglückender und erfüllender fand als das alte.

Muss Nachhaltigkeit „wehtun“ – Stichwort Verzicht?

Auf etwas verzichten zu wollen, an dem man hängt und was man für sich selbst als sehr bedeutsam betrachtet, wird schnell zu einem Kampf gegen die eigenen inneren Antriebe. Leichter wäre es, sich dazu zu bekennen, dass man darauf keine Lust hat.

Sie bringen auf dem Weg zur Nachhaltigkeit „tief in uns verwurzelte Grundbedürfnisse“ ins Spiel – welche meinen Sie?

Das sind die beiden Grundbedürfnisse nach Verbundenheit und Geborgenheit einerseits und nach Autonomie und Freiheit andererseits. Wer beide nicht ausreichen stillen kann, leidet und wird zu einem Bedürftigen. Sich etwas „zu gönnen“, also Konsumangebote anzunehmen, hilft dann kurzzeitig über dieses unbefriedigende Gefühl hinweg.

Konsum ist aus unserer Gesellschaft eigentlich nicht wegzudenken. Wollen Sie den Konsum abschaffen? Was soll an seine Stelle treten?

Ich will gar nichts abschaffen. Aber anderen Menschen zu helfen, sich selbst und das, was um sie herum und mit ihnen geschieht, etwas besser zu verstehen, darum bemühe ich mich schon.

Politik, Wirtschaft, Privatmenschen – wo sehen Sie die größte Bereitschaft zu einer Transformation, die unserem Planeten noch eine Chance gibt?

Diese Bereitschaft kann nur jeder einzelne Mensch in sich selbst als eine, sein Denken, Fühlen und Handeln bestimmende innere Orientierung herausbilden. Wenn es sich dabei um Politiker oder Unternehmer handelt, so sind deren Gestaltungsmöglichkeiten freilich erheblich größer als meine beispielsweise.

Welche Rolle können Vorbilder oder gar Galionsfiguren spielen?

Menschen, die sich durch praktisches Handeln für den Erhalt unseres Planeten einsetzen, sind vor allem für die noch nach Orientierung suchende nachwachsende Generation immens wichtig. Zu Galionsfiguren werden manche Personen gern von bestimmten Medien aufgebaut. Wahrscheinlich deshalb, weil diese Figuren später leicht zu demontieren und zu diffamieren sind. So lässt sich die Aufmerksamkeit sehr wirksam von den Anliegen einer Bewegung auf die Unzulänglichkeiten ihrer Wortführer umlenken. Das ist in meinen Augen ein ziemlich schäbiges Vorgehen.

Mit wem, den oder die Sie bisher nicht treffen oder erreichen können, würden Sie gerne mal in den Dialog treten – und worüber?

Ich würde gern Donald Trump einmal fragen, wonach er in seinem Leben möglicherweise schon als kleiner Junge so vergeblich gesucht hat.

Der 13. Nachhaltigkeitsdialog findet am 20. Februar um 18 Uhr in der Hochschule Fresenius, Moritzstraße 17 a, statt. Der Eintritt ist frei.

Nachhaltigkeitsdialog mit Gerald Hüther

Gefangen in alten Denkmustern: Weshalb fällt uns die Umorientierung zu einem nachhaltigeren Lebensstil so schwer? Diese Fragestellung steht im Mittelpunkt des 13. Nachhaltigkeitsdialogs am Donnerstag, 20. Februar, um 18 Uhr im Bürgersaal der Hochschule Fresenius, Moritzstraße 17a.

Bei der Vortragsveranstaltung diskutieren Hirnforscher Gerald Hüther, Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende und Umweltdezernent Andreas Kowol mit dem Publikum. Es moderiert Journalistin Petra Boberg. Der Eintritt ist frei und ohne Anmeldung. Einlass ist ab 17 Uhr. Die Veranstaltung wird unter www.wiesbaden.de/nachhaltigkeitsdialog live im Internet übertragen.

Hüther, Jahrgang 1951, hat am Max-Planck-Institut und der Universität Göttingen als Professor für Neurobiologe geforscht. Er schreibt populärwissenschaftliche Bücher und ist Gründer und Vorstand der Akademie für Potentialentfaltung. Wie Hüther erklärt, ist das menschliche Gehirn zeitlebens plastisch. Bis ins hohe Alter können neue Verschaltungsmuster und damit auch neue Vorstellungen und Verhaltensweisen herausgebildet werden. Trotzdem gelingt es nur wenigen Personen, ihre einmal entstandenen und im Hirn verankerten inneren Einstellungen und Haltungen später im Leben noch einmal grundlegend zu verändern. Weshalb ist das so und unter welchen Voraussetzungen sind Menschen – auch in Wiesbaden – bereit, ihr Denken, Fühlen und Handeln an anderen, nachhaltigeren Kriterien auszurichten als bisher?

Die Suche nach einer Antwort auf diese Frage führt den Neurobiologen Hüther in Bereiche, die in den bisherigen Nachhaltigkeitsdiskussionen kaum Beachtung gefunden haben. Es geht um tief in uns verwurzelte Grundbedürfnisse, um die Sehnsucht nach Verbundenheit und Autonomie, nach Gemeinschaft und Begegnung, auch um die Wahrung der eigenen Würde. Und es geht um die Überwindung von Egozentrik, Konsum und Besitzstandwahrung als energie- und ressourcenverschwendende Ersatzbefriedigungen.