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Femizide beim Namen nennen: Bündnis kämpft gegen Verharmlosung von Gewalt gegen Frauen / Diskussion

Tödliche Gewalt gegen Frauen ist Alltag in Deutschland. Ein neues Wiesbadener Bündnis kämpft für die richtigen Begriffe – und gegen herrschende Strukturen. Am 23. November beschließt eine hochkarätige besetzte Podiumsdiskussion die Veranstaltungsreihe „Stoppt Femizide“.

In Deutschland bezahlt jeden dritten Tag eine Frau männliche Gewaltexzesse mit ihrem Leben. Diese Tötungen sind die Folge einer allgemeinen Abwertung und Unterdrückung von Frauen in einem gewaltvollen System, das Ungleichbehandlung und hierarchische Geschlechterverhältnisse aufrechterhält. Es sind Femizide. „Unter Femizid wird im Allgemeinen der vorsätzliche Mord an Frauen verstanden, weil sie Frauen sind.“, lautet die Definition der World Health Organisation (WHO).

Dass die Bundesregierung nicht von diesem Begriff Gebrauch machen möchte, will das Aktionsbündnis in Wiesbaden nicht länger hinnehmen. Im frauen museum kündigten Matthias Chalmovski (Amnesty International) als einziger männlicher Teilnehmer sowie Christa Leiffheidt (Wiesbadener Burgfestspiele), Saskia Veit-Prang (kommunale Frauenbeauftragte) und Kim Engels (frauen museum wiesbaden) an, „eine Definition von Femizid vorantreiben und zugrundeliegende Strukturen gesellschaftlich, politisch und juristisch angehen“ zu wollen.

Unterstützt wird das Bündnis durch Wildwasser Wiesbaden, Frauen-Kommunikationszentrum KOMZ, Demokratie leben, Trägerkreis Wir in Wiesbaden und Schlachthof. Dort fand auch Ende September die Auftaktveranstaltung statt. Am 23. November endet die erste Veranstaltungsreihe „Stoppt Femizide“ mit einer Podiumsdiskussion.

Gewalt gegen Frauen wird verharmlost

Im Februar 2021 wurde in der Wiesbadener Wellritzstraße Sevinć M. Opfer eines Femizids, ermordet von ihrem Ehemann. 

In den Medien wird Gewalt gegen Frauen häufig verharmlost. Es ist dann von „Beziehungstaten“, „Verbrechen aus Leidenschaft“, „Familiendramen“ und „erweitertem Suizid“ die Rede. „Vor Gericht können Täter außerdem mit einer erstaunlichen Milde rechnen, verglichen mit anderen Gewaltdelikten“, erklärt Matthias Chalmovski von Amnesty: „Femizide sind keine unvermeidbaren Einzelschicksale. Sie werden begünstigt durch unzureichende Schutzmaßnahmen und strukturelle Probleme der Ungleichheit in Politik und Rechtsprechung,“ ergänzt Kim Engels vom frauen museum wiesbaden.

In Wiesbaden ist die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen übrigens Chefsache: Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende hat die Verantwortung für die Umsetzung der „Istanbul Konvention“ in seinem Dezernat behalten und der Kommunalen Frauenbeauftragten Saskia Veit-Prang übertragen. Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ist am 1. Februar 2018 in Deutschland in Kraft getreten – ihre Umsetzung liegt zu einem großen Teil bei den Ländern und Kommunen.

Nur die Spitze des Eisbergs

Laut Saskia Veit-Prang ist in puncto Femizide in Deutschland nur die Spitze des Eisbergs sichtbar. Und sie findet deutliche Worte: „Femizide müssen ein Straftatbestand sein“. Kriminalstatistiken würden nicht richtig geführt und lediglich Partnerschaftstötungen statistisch erfasst werden. „Dass ein verbindliches System von Statistiken entwickelt und Kennzahlen erfasst werden, ist mein Traum“, so Veit-Prang. Die Kommunale Frauenbeauftragte hat eine Bedarfsanalyse erstellt und wird dem Parlament demnächst entsprechende Handlungsempfehlungen vorstellen.

Gewalt im Vorfeld verhindern

Vorgesehen ist unter anderem die Schulung der Justiz, die Gewalttätern beispielsweise den Zugang zu ihren Kindern ermöglicht und darüber auch einen Zugriff auf die schutzsuchenden Frauen und Mütter möglich macht. Ein besonderes Augenmerk setzt sie zudem auf Prävention. Gewalt müsse vorher verhindert werden, bevor Frauen Schutz in Frauenhäusern suchen. Sie führt das Nordische Modell aus Schweden und Norwegen als Beispiel an, mit dem dort vor 22 Jahren die Prostitution abgeschafft wurde. Zunächst habe die Zustimmung in der Bevölkerung bei unter 40 Prozent gelegen. Heute sei sie mit 89 Prozent groß. „Man muss einfach irgendwann anfangen.“

Hochkarätige Diskussion beschließt Veranstaltungsreihe

Die Veranstaltung mit Judith Götz kann auf YouTube nachgeschaut werden. Foto: Klaus Ranger Fotografie (www.klausranger.at)

Die „Stoppt Femizide“-Veranstaltungen mit Judith Götz (“Frauen*rechte und Frauen*hass, Antifeminismus und die Ethnisierung von Gewalt”“) und Christina Glemm („AktenEinsicht“) sind hier nachzuschauen. Die hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion „Femizid – Jeden 3. Tag“ beschließt am 23. November, 19 Uhr, die Veranstaltungsreihe, aber nicht das Engagement des Bündnisses.

Die Diskussion wird aufgrund der aktuellen Lage online stattfinden über den YouTube-Kanal des frauen museums und die sozialen Medien der Beteiligten.

Diskutieren werden: Monika Hauser, Gründerin von Medica Mondiale, Barbara Lochbihler, Menschenrechtsexpertin u.a. im UN-Ausschuss gegen Erzwungenes Verschwindenlassen, Dr. Uta Ruppert, Soziologin und Politikwissenschaftlerin, Roland Hertel, Geschäftsführender Vorstand BAG Täterarbeit Häusliche Gewalt, Gunda Opfer, Expertin bei AI zum Thema Menschenrechtsverletzungen an Frauen. Moderation: Anke van de Weyer, Journalistin u.a. für DLF und Deutschlandradio, 1Live, You-FFM. Schirmherrin Schwester Lea Ackermann, Gründerin der Organisationen Solwodi und Solgidi.

(Selma Unglaube)