Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Samira Schulz.
Hier wird ein Bilderrahmen eingepackt, dort blättert ein Kind in einem Buch, ein Stückchen weiter überlegt ein Mann, welches Sofa ihm gefallen könnte. Und eine junge Frau mit Kinderwagen lässt sich gerade von einem der Mitarbeiter mit dem eigens eingebauten Aufzug von der Empore fahren, wo sie in den Kinderklamotten gestöbert hat: Ein Kaufhaus, aber keines wie jedes andere. „Fast wie neu“ heißt es, befindet sich im Gewerbegebiet Otto-Wallach-Straße in Biebrich und feiert jetzt sein zehnjähriges Bestehen.
Die Wiesbadener BauHaus-Werkstätten, ein Sozialunternehmen mit dem Ziel, Menschen mit den unterschiedlichsten Schwierigkeiten den Einstieg und die Teilnahme am Arbeitsleben zu erleichtern, hatten sich 2008 den lang gehegten Wunsch erfüllt, ein Secondhand-Kaufhaus zu gründen. „Wir haben lange nach einem geeigneten Standort gesucht“, sagt Geschäftsführer Clemens Mellentin. Sobald dieser gefunden war, ging die Erfolgsgeschichte von „Fast wie neu“ los – und ist bis heute eine geblieben. In enger und guter Zusammenarbeit mit der Stadt gibt es hier Arbeitsgelegenheiten, Umschulungsmöglichkeiten und mittlerweile sogar Ausbildungsplätze in drei Berufen.
Auch geflüchtete Menschen finden hier eine Möglichkeit zu arbeiten, dabei Deutsch zu lernen – vor allen Dingen aber einen Sinn im täglichen Leben. So zum Beispiel die Afghanin Khairia, die schon länger bei „Fast wie neu“ arbeitet – mittlerweile sogar ehrenamtlich, denn aus Alters- und Gesundheitsgründen kann sie kein reguläres Beschäftigungsverhältnis mehr eingehen. Aber es gefällt ihr hier so gut, dass sie freiwillig herkommt – fast jeden Tag. „Wenn ich zu Hause bin, ist mir schnell langweilig, und ich grüble viel. Hier habe ich Ablenkung.“ Ähnlich motiviert zeigt sich Yonus, der ein „gefördertes Arbeitsverhältnis“ im Kaufhaus hat. „Er kam zu uns und konnte in seinem vorherigen Beruf wegen Krankheit nicht mehr arbeiten. Jetzt ist er hier für die Textilabteilung verantwortlich und total begeistert – und er wirkt wieder viel fitter“, sagt Projektleiterin Sabine Reining.
Kleiner Kosmos mit genialem Team
Sie bezeichnet das Kaufhaus als „eigenen kleinen Kosmos mit einem genialen Team.“ Alle fühlten sich hier sehr wohl – dank wertschätzender Atmosphäre, sagt der Geschäftsführer. „Wer einen Sinn in seiner Arbeit sieht, hat auch Spaß dabei.“ Nicht zuletzt bietet die Arbeit in diesem besonderen Kaufhaus auch echte Chancen: „Wir konnten schon zahlreiche Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt vermitteln“, berichtet Reining. Gerade die Azubis, die Prüfungen hier in IHK-zertifizierten „Qualifizierungsbausteinen“ absolvieren können, sind bei vielen Arbeitgebern gern gesehen. „In der jetzigen Konjunkturlage gibt es da wenig Schwierigkeiten“, sagt Mellentin und berichtet von der alleinerziehenden Mutter Andrea, die gerade eine Umschulung absolviert. „Sie ist so motiviert, dass ich überhaupt keine Bedenken habe, dass sie nach Abschluss etwas findet.“
Nicht nur jene, die dort arbeiten, haben etwas von der Projektidee. Auch die, die als Kunden kommen, können sich hier günstig mit Möbeln, Bekleidung, Geschirr, Elektrogeräten und vielen anderen Dingen eindecken. Kaufen kann jeder, unterstreicht Mellentin: „Das sollte hier ausdrücklich so sein. Wer Bedürftigkeit nachweist, bekommt nochmal eine Ermäßigung.“ Das Kaufhaus ist auch als Treffpunkt sehr beliebt. „Wir haben Leute, die täglich reinschauen“, berichtet Reining. Zwar ist die Cafeteria aus den Anfangszeiten nicht wirklich angenommen worden und daher mittlerweile abgeschafft, „aber die Leute wollen auch keinen Kaffee, die wollen unter Menschen sein.“
Eigene Upcycling-Projekte
Das klappt hier hervorragend, und die entspannt- freundliche Atmosphäre bei „Fast wie neu“ ist tatsächlich sehr angenehm. „Besonders empfiehlt sich ein Besuch am Donnerstag, da haben wir nämlich immer Überraschungs-Aktionen“, sagt Reining. Und es gibt ja noch einen weiteren Vorteil bei dieser Art Kaufhaus, und zwar einen nachhaltigen: Vieles, was hier über die Theke geht, wäre möglicherweise sonst beim Sperrmüll gelandet und ist dafür doch viel zu gut brauchbar. Sogar eigene Upcyclingprojekte macht „Fast wie neu“: Im Lager gibt es eine Nähmaschine, dort werden aus Stoffresten bunte Taschen gefertigt und im Laden verkauft.
Super Einrichtung! Wir spenden seit Jahren alles, das wir nicht mehr nutzen – von Kleidern bis zu Haushaltsgegenständen oder Büchern. Und immer wieder gern.