Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Kai Pelka.
Schrauben und Nägel gibt es im Baumarkt. Im Hunderterpack, auch wenn nur eine einzige Schraube locker ist. Die restlichen 99 liegen dann jahrelang nutzlos herum. Die Alternative führt in die Moritzstraße: Man geht einfach gleich zu Steib. Der Laden ist bereits über 100 Jahre alt und ein Eldorado alle, die in Haus und Garten werkeln, renovieren, reparieren.
„Bei uns kann man diese ganzen kleinen Teile auch einzeln kaufen“, nennt Inhaber Marcus von Hoessle eine der augenscheinlichsten Besonderheiten seines Geschäfts. Er ist in vierter Generation Chef des Familienbetriebs, den sein Urgroßvater Reinhard Steib Ende des 19. Jahrhunderts in der Kirchgasse gegründet hatte. „Man muss sich immer den veränderten Bedingungen anpassen“, verrät von Hoessle das Geheimnis der Langlebigkeit in einer immer kurzlebigeren Welt. Und so finden sich jetzt im Sortiment eben (fast) keine Gas- und Ölöfen mehr, sondern Rasenmäher und Kaffeemaschinen, Grablichter und Duschköpfe, 12-Meter-Leitern, „Hackenporsche“ und Düngemittel – und die berühmte einzelne Schraube in gigantischer Auswahl.
Der Laden, der mit der Zeit geht und trotzdem irgendwie wirkt, als sei hier die Zeit stehengeblieben, ist ein wahres Labyrinth. Es geht immer um noch eine Ecke, hinter noch eine Wand, noch eine Treppe hinauf. „Das ist im Laufe der Jahrzehnte gewachsen“; sagt Marcus von Hoessle. Das Haus gehört der Familie – ein unschätzbarer Vorteil im Zeitalter astronomisch hoher Innenstadt-Gewerbemieten. Daher konnte man auch alles so ausbauen, wie es der Geschäftsbetrieb verlangt. Drei Wohnungen sind noch im Haus, der Rest ist Laden und Lager. An der Fassade hängt ein großer goldener Schlüssel – eine echte Neonreklame, ebenso wie der „Steib“-Schriftzug und die Sortimentsbeschreibung „Eisenwaren- Werkzeuge-Baubeschläge“. Könnte man glatt unter Denkmalschutz stellen. Das ist ja auch das Besondere an der Moritzstraße: Zwischen Dönerläden und Sonnenstudios, Spielhöllen und Pizza-to-go findet sich immer wieder noch ein alt eingesessener Laden wie Steib. Das gibt dieser Straße ihr Flair und macht sie zu einem echten Stück Wiesbaden.
Ladenbesuch gerät zur Zeitreise
Obwohl das Sortiment absolut up-to-date ist (und eine Auswahl übrigens auch über das Kiezkaufhaus nach Hause geliefert wird), begibt man sich beim Betreten des Ladens auf eine kleine Zeitreise. Die Möblierung stammt aus der Gründerzeit, zum Beispiel im Chefbüro: Da stehen Original Art-Deco-Büromöbel. „Als ich anfing, hat mir das gar nicht gefallen. Da wollte ich was Neues. Aber jetzt weiß ich es zu schätzen“, sagt Marcus von Hoessle. Auch die Schubladen und Regale sind „von früher“. Da ist Bedienung schon nötig, denn da steigt kein Kunde durch, sagt der Chef und zeigt die „Kleinteilewand“, deren bloßer Anblick beeindruckt: Hunderte von Türklinken und –beschlägen, Scharnieren und anderer Metallteile sind an den Schubladenfronten angebracht. Ein Stockwerk höher bietet das Schlüssellager eine Riesenauswahl an Schlüsselrohlingen, die die fachkundigen Mitarbeiter – inklusive Inhaber – in Sekundenschnelle zu passenden Schlüsseln bearbeiten können. „Da können Sie drauf warten“, sagt von Hoessle, der natürlich auch genau weiß, welche Schlüssel man kopieren darf und welche nicht. In punkto Schließanlagen ist er besonders kompetent, installiert solche auch neu – auch mit elektronischen Transpondersystemen. Er weiß Bescheid, wie man Türen und Fenster fachgerecht sichert oder Tresore einbaut. „Im Bereich Sicherheit geht das Geschäft momentan sehr gut“; sagt von Hoessle, „das kommt wohl von einer gewissen gefühlten Unsicherheit.“ Aber natürlich empfiehlt er auch tatsächlich eine Türverriegelung, damit man sich ungebetene „Gäste“ im Zweifelsfalle leichter vom Leib halten kann.
Es gibt viel zu gucken bei Steib, egal ob man etwas Bestimmtes sucht oder auch ein Geschenk. Bei der Auswahl an Haushalts-Kleingeräten, Gartendeko oder Kochtöpfen lässt sich sicher auch da etwas finden. Dazu muss man die geschwungene Treppe mitten im Laden hochsteigen. „Barrierefrei ist unser Geschäft leider nicht“; bedauert der Hausherr. Zu viele Treppen führen durch das Universum der Kleinteile: „Wir haben aber auch Stammkunden im Rollstuhl. Die bleiben vorne und wir holen ihnen das Gewünschte.“