Besser könnte das Timing kaum sein. Wenige Stunden, bevor der spektakuläre Wiesbaden-Tatort „Im Schmerz geboren“ heute um 19.30 Uhr im Rahmen des FernsehKrimi-Festivals auf großer Leinwand im Caligari zu bewundern ist, wurde soeben bekannt gegeben: Der vom Hessischen Rundfunk produzierte Tatort mit Ulrich Tukur und Ulrich Matthes bekommt den diesjährigen Grimme-Preis, eine der begehrtesten deutschen Fernseh-Auszeichnungen – mit guter Begründung …
Hier die Begründung der Grimme-Preis-Jury im Wortlaut:
„Wenn man am „Tatort: Im Schmerz geboren“ etwas aussetzen kann, dann wäre das: dass er seine Sache zu gut macht. Drehbuch (Michael Proehl) und Regie (Florian Schwarz) wissen sehr genau, was sie tun. Das bedeutet hier: Rache mag als klassisches Motiv gelten, in der Wirklichkeit einer modernen Leistungsgesellschaft ist sie eine ziemlich kleine Eigenschaft. Wer sich 30 Jahre lang auf eine Verletzung zurückzieht (dass das Kind nicht von ihm ist), statt sich mit der Realität anzufreunden (dass das Kind, das er großzieht, doch seines ist), dem würde man einen Therapeuten empfehlen oder wenigstens gute Ratschläge geben: Komm mal klar. Merkste selber. Get a Life.
Wer Rache will, muss sie groß fahren
Woraus für diesen „Tatort“ folgt: Wer Rache will, muss sie groß fahren. Daran lässt „Im Schmerz geboren“ keinen Zweifel; munter rauscht die Folge in die Filmgeschichte, spielt Theater und legt dem HR-Sinfonieorchester Bach, Beethoven und Georges Delerue zur Untermalung hin.
Der Film erfindet den beiden Großulrichs des deutschen Schauspiels – Matthes und Tukur – eine hübsche Geschichte von Freundschaft und Konkurrenz (Könnte nicht die gemeinsam begehrte Frau von früher ein Bild sein für das Publikum, um das beide buhlen?), und er entwirft selbst Szenen von erinnerbarer Prägnanz.
Große Kunst handelt immer auch von ihren eigenen Bedingungen. In diesem Sine ist „Im Schmerz geboren“ eine überschäumend-unterhaltsame Erkundung dessen, was möglich ist am Sonntagabend um 20.15 Uhr. Zitate sind für den deutschen Fernsehfilm die Schulterstücke der Bewunderung, die er sich verdienen will. Je öfter seine Betrachter „Sergio Leone“, „Tarantino“ oder „Shakespeare“ raunen, desto sicherer ist er sich seiner Bedeutung. Dabei besteht der Witz am Zitat doch darin, damit etwas Neues, Eigenes anzufangen.
„Im Schmerz geboren“ ist eine solche Aneignung: Die Kunst der anderen muss hier antanzen, um zu zeigen, was Kunst eigentlich kann – Gewalt sublimieren, das Schreckliche erzählbar machen. Anderswo werden die Leichen gezählt, um zu beweisen, wie krass hart man so drauf ist. Hier versammeln sich im Schlussbild 55 Darsteller von Figuren, die in den vergangenen 90 Minuten umgekommen sind (die Zahlen gehen auseinander), um zu zeigen, worin Kunst besteht.
Wenn man an dem „Tatort: Im Schmerz geboren“ etwas aussetzen muss, dann dass es zu seiner Fantasie und Souveränität so wenig Konkurrenz gibt im deutschen Fernsehfilm.“