Von Falk Sinß. Foto privat.
Mit gutem Zuspruch und einem informativen Vortrag eröffnete die neu gegründete Wiesbadener Initiative „Moment Mal! Aktion für eine offene Gesellschaft“ im Hilde-Müller-Haus ihre Vortragsreihe. Der Ort war bewusst gewählt. In dem Bürgerhaus am Wallufer Platz hatte zuletzt die AfD sogenannte „Themenabende“ abgehalten. Dieser Nutzung wollen die „Moment Mal!“-Initiatoren etwas entgegensetzen. Zur Auftaktveranstaltung sprach Samuel Salzborn über den „Angriff der Antidemokraten“.
Seit einigen Jahren ist ein Erstarken der Neuen Rechten zu beobachten. Protagonisten dieser Neuen Rechten finden sich oftmals bei der AfD oder ihrem Umfeld. Darüber gelingt es der Neuen Rechten zunehmend, demokratiefeindliche und völkisch-rassistische Positionen über Talkshows und Parlamentsdebatten im öffentlichen Diskurs zu verankern. Auch in Wiesbaden erfährt die AfD Zuspruch, wie der Einzug in die Stadtverordnetenversammlung gezeigt hat. Die jüngst gegründete Wiesbadener Initiative „Moment Mal! Aktion für eine offene Gesellschaft“ will dem entgegentreten und der von der Neuen Rechten betriebenen Diskursverschiebung hin zur Legitimierung rechtsextemer Positionen Paroli bieten. Vergangenen Mittwoch lud sie zu ihrer ersten Veranstaltung ins Hilde-Müller-Haus am Wallufer Platz. Rund 100 Menschen folgten der Einladung und besuchten den Vortrag „Angriff der Antidemokraten” des renommierten Antisemitismusforschers Samuel Salzborns.
Wie alles begann: 1969 – Spaltung der rechtsextremen Bewegung
Zunächst ging Salzborn auf die Geschichte der Neuen Rechten ein. Diese war eine direkte Reaktion auf den missglückten Einzug der NPD in den Bundestag. 1969 scheiterte die NPD knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. Die rechtsextreme Bewegung spaltete sich. Ein Flügel sah den Grund des Scheiterns im Versuch, auf parlamentarischem Weg die Macht zu erlangen und wählte den Weg der außerparlamentarischen Opposition. Nicht selten endete das im Rechtsterrorismus. Die bekanntesten Beispiele dürften der Bombenanschlag auf das Münchener Oktoberfest 1980 und in dieser Traditionslinie auch der Terror des NSU sein. Der andere Flügel machte als Grund aus, dass es nicht gelang die eigenen Inhalte in die Öffentlichkeit zu transportieren. Es bildeten sich zahlreiche intellektuelle Zirkel und Zeitschriften, die nun versuchten, ihre Themen in der Öffentlichkeit zu platzieren und völkische Begriffe zu popularisieren.
Die Idee des geschlossenen Staatsvolks: Keiner rein, keiner raus
Den ideologischen Bezugspunkt dieser neuen, „intellektuellen“ Rechten bilden dabei die Lehren des als „Kronjuristen des Dritten Reiches“ geltenden Staatsrechtlers Carl Schmitt. Er war einer der intellektuellen Wegbereiter Hitlers und lehnte die Demokratie der Weimarer Republik entschieden ab. Schmitt war ein entschiedener Gegner von Demokratie, Parlamentarismus und Pluralismus. Er verknüpft das politische Staatsvolk mit dem ethnos und behauptete, das Staatsvolk sei ein ethnisch homogenes und vor allem geschlossenes Kollektiv. „Keiner kann rein, keiner kann raus“, so Salzborn. Ein Parlament, welches die unterschiedlichen pluralen Interessenlagen einer Gesellschaft widerspiegelt, könne diesen homogenen Volkswillen nicht abbilden. Solche „Staatsvölker“ hätten einen eigenen homogenen Volkswillen, der von einem charismatischen Führer nur erfühlt werden müsse, um daraus Handlungen abzuleiten. An diese Argumentationskette knüpften die Vertreter von AfD und Pegida an, wenn sie behaupten, sie seien das Volk und „die da oben machten sowieso was sie wollten“ über den Willen des Volks hinweg, so Salzborn. Doch den einen Volkswillen gibt es nicht, empirisch ist er nicht feststellbar. Stattdessen gibt es in einer Gesellschaft verschiedene, oft auch gegensätzliche Partikularinteressen.
Neue Rechte: Diskussionen entsachlichen und emotionalisieren
Als einen zentralen Wesenszug der Neuen Rechten macht Salzborn den Kampf gegen die Vernunft und die Aufklärung aus. Die Neue Rechte würde versuchen, Diskussionen zu entsachlichen und zu emotionalisieren. Die sozialen Medien spielten ihr dabei in die Hände, denn dort erfahren politische Debatten eine ungeheuere Beschleunigung. Es seien laut Salzborn vor allem Zuspitzung und Emotionalisierung gefragt bei einer gleichzeitigen Reduktion von Fakten und Komplexität. „Doch politische und gesellschaftlich Debatten lassen sich nicht am Stammtisch lösen“, so Salzborn. Das ginge nur durch eine Entschleunigung und Versachlichung der Debatten.
Reden oder nicht?
Ein Argument, das in der Auseinandersetzung mit der AfD immer wieder genannt wird, lautet, dass die AfD doch schließlich eine demokratisch gewählte Partei sei. Man solle deshalb mit ihren Wählern sprechen und diese nicht ausgrenzen. Im anschließenden Podiumsgespräch darauf angesprochen, zog Salzborn eine klare Grenze: Positionen, die gegen die basalen Grundnormen der Verfassung wie Artikel 1 und 3 des Grundgesetzes verstießen, seien indiskutabel. Eine Gesellschaft, die das mache, laufe Gefahr den eigenen demokratischen Kern zu zerstören. Stattdessen gelte es, die Demokratie und die pluralistische Gesellschaft gegen die Angriffe von Rechtsaußen auf die Grundlagen der Demokratie Angriffe von Rechtsaußen zu verteidigen.
Auch für das häufig vorgetragene Argument, die AfD sei eine konservative, rechts von der CDU stehende, aber demokratische Partei, hatte Salzborn wenig übrig. „Ich wundere mich, dass es noch Leute gibt, die glauben, die AfD sei noch die Partei von Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel.” Das Gegenteil sei der Fall. In ihrer noch jungen Geschichte habe sich die sich die AfD immer weiter radikalisiert zum parteipolitischen Arm der Neuen Rechten. Zurzeit gäbe es keinen Anhaltspunkt, dass sich diese Entwicklung umkehre.
Die nächste Veranstaltung von „Moment Mal! Aktion für eine offene Gesellschaft“ findet am 6. Juni im Hilde-Müller-Haus statt. Der Journalist Marcus Bensmann wird über die Geschichte der AfD, ihre Finanziers und die sie unterstützenden Medien der Neuen Rechten berichten.