Interview Dirk Fellinghauer. Foto Jörg Steinmetz. Graphik Micha Niederhäuser.
Zur Einstimmung auf die 22. Wiesbadener Literaturtage hat der diesjährige Festivalkurator Peter Stamm das Onlineprojekt W-ORTE gestartet. Der Schriftsteller lädt alle Bürger:innen, Gäste und Flaneure der Stadt dazu ein, Wiesbaden in einer literarischen Stadtkarte poetisch mitzugestalten. Dafür wünscht sich der Schweizer Schriftsteller Beiträge von maximal 150 Zeichen, die einen konkreten Ort der Stadt beschreiben oder sich mit ihm assoziativ auseinandersetzen. Im sensor-Interview erzählt er, welche Idee er mitbringt.
Sie laden als Gastgeber der Wiesbadener Literaturtage zur „poetischen Kartierung“ unserer Stadt ein. Was, bitteschön, stellen Sie sich darunter vor?
Auf der Webseite www.w-orte.de wird ein Stadtplan von Wiesbaden zu sehen sein, auf dem jede und jeder an jeder beliebigen Stelle einen kurzen Text oder ein kleines Gedicht über den Ort einfügen kann. Mit der Zeit soll dann ein Netz solcher Kürzesttexte über die unterschiedlichsten Orte in Wiesbaden entstehen.
Welche Idee steht dahinter?
Heute glauben wir, dank Google Maps die ganze Welt sehen zu können, aber was wir darauf nicht sehen können, sind all die Menschen, ihre Gedanken und Gefühle, die Dinge, die ihnen zustoßen, die sie unternehmen. Ein bisschen etwas davon soll auf w-orte.de zu lesen sein.
Die Vorgabe lautet: Maximal 150 Zeichen! Das ist aber ganz schön viel verlangt, oder besser gesagt ganz schön wenig, oder?
Eine SMS oder ein Tweet sind auch nicht viel länger. Mir scheint, wir sind es inzwischen gewohnt, uns kurz zu fassen. Aber, klar, ganz einfach ist das nicht. Das ist ja auch Teil des Spaßes.
Muss man poetisch/literarisch veranlagt sein, um mitzumachen?
Es wäre natürlich schön, wenn die Texte eine gewisse literarische Qualität hätten, aber es ist Platz für ganz vieles, vom Haiku über den Kalauer bis zur Liebeserklärung an einen Ort oder eine Mini-Erzählung. Ich erhoffe mir ehrliche Texte, die echte Gefühle ausdrücken und unser Bild von Wiesbaden erweitern.
Machen Sie den Anfang!? Wagen Sie es, einen Wiesbadener Ort Ihrer Wahl in maximal 150 Zeichen zu „poetographieren“? Bitteschön:
Aus dem Stegreif kann ich das nicht, aber ich verspreche, dass ich auf der Seite etwas schreiben werde. Ich war seit 2004 oft in Wiesbaden und habe schöne Erinnerungen an die Stadt. Natürlich habe ich auch die Mitarbeiterinnen des Literaturhauses eingeladen, sich etwas einfallen zu lassen und mit gutem Beispiel voranzugehen.
Die Wiesbadener Literaturtage finden – kuratiert von Peter Stamm als Gastgeber, präsentiert von sensor als Medienpartner – vom 5. bis 11. September an verschiedenen Orten statt. Infos und Updates: wiesbaden.de/literaturtage
Auf der Internetseite www.w-orte.de, die auch für Smartphones optimiert ist, können Interessierte in einer interaktive Karte der hessischen Landeshauptstadt Kurztexte direkt eintragen, wahlweise anonym, unter Pseudonym oder mit dem Klarnamen. Nach Prüfung und Freischaltung sind die Texte dort öffentlich einsehbar. Für die Form der Texte gibt es keine Vorgaben: Sie können gereimt oder in Prosa verfasst sein, als Haiku, Anagramm oder Knittelvers. So entsteht ein poetischer Atlas, ein kollektives Epos von der Stadt und für die Stadt.