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„Lücke zwischen Bewusstsein und Handeln schließen“ – Umweltministerin im Interview zum Naturschutztag

Interview Dirk Fellinghauer. Foto Oliver Rüther.

Wiesbaden ist Gastgeber des 35. Deutscher Naturschutztags, den sensor als Medienpartner präsentiert. Im sensor-Interview spricht Hessens Umweltministerin Priska Hinz über Missstände und Lösungsansätze – und über Naturschutz-Engagement in Zeiten von Social Media.

Der „deutschlandweit größte Naturschutzkongress“ sucht in Wiesbaden nach Antworten auf drängende Fragen, die sich durch den Wandel von Städten, ländlichen Räumen und Klima für den Naturschutz ergeben. Welche sind dies?

Klimawandel und Artensterben sind zwei globale Krisen, die  zusammenhängen. Unsere Aufgabe ist es, die Klimakrise zu stoppen und die biologische Vielfalt zu erhalten. Deshalb brauchen wir Lösungen dafür, wie wir unsere Wirtschaft, Landwirtschaft und Mobilität umweltverträglicher gestalten können. Wie wir unser Konsumverhalten ändern können, damit es nicht mehr zu Lasten von Umwelt und Natur geht. Wie wir Städte noch naturverträglicher entwickeln können. Und wie der ländliche Raum als Arbeitsplatz und Wohnort auf nachhaltige Weise noch attraktiver werden kann. Wir müssen hier noch konsequenter werden.

Die Leitfrage lautet „Welche Natur wollen wir?“. Beginnen wir mal mit der Ausgangslage: Welche Natur haben wir?

Wir haben eine Kulturlandschaft, die vor allem in den letzten Jahrzehnten zunehmend von Menschen gestaltet wurde. Städte wachsen, durch Siedlungen und Verkehrswege wurden immer mehr Flächen dauerhaft versiegelt. Landwirtschaftliche Flächen nehmen ab, Wälder leiden unter dem Klimawandel. Gärten werden immer einheitlicher und bestehen im schlimmsten Fall nur aus Steinen.

Mit welchen Auswirkungen?

All das führt dazu, dass immer weniger Tiere Unterschlupf und Nahrung finden und die Artenvielfalt bedroht ist. Wir haben in den vergangenen Jahren viele Maßnahmen eingeleitet, um hier eine Trendwende zu erreichen: Wir haben Grenzen für die Neuversiegelung von Flächen gesetzt, bei der Förderung neuer Quartiere wird auf Grünflächen und Klimaverträglichkeit geachtet, wir unterstützen den Ausbau des Ökolandbaus. Beim Artenschutz können wir auf einige Erfolge blicken.

Das Bewusstsein für Naturschutz scheint rasant zu wachsen, ob in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft oder Bevölkerung. Ist das so oder scheint das so?

In der Umweltpolitik haben wir hier in Hessen in den letzten Jahren deutlich mehr für den Naturschutz gemacht, allein die Mittel haben wir in den letzten sieben Jahren mehr als verdoppelt. Auch die Wirtschaft bewegt sich, viele Unternehmen arbeiten an nachhaltigen Produkten und Produktionsweisen. Und natürlich ändert sich auch das Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger.

Woran machen Sie das fest?

Eine aktuelle Umfrage im Auftrag des Umweltministeriums hat ergeben: 83 Prozent der Befragten bereitet die Klimakrise Sorgen. 61 Prozent der Hessinnen und Hessen gaben an, ihr Verhalten in den vergangenen zwei Jahren bereits klimafreundlicher gestaltet zu haben. Da ist noch eine Lücke zwischen Bewusstsein und Handeln, die wir schließen müssen – zum Beispiel mit der Kampagne „Klimahandeln statt Klimawandeln“.

Wo geht es besonders gut voran, wo stocken – oder stoppen gar – Entwicklungen?

Wir haben mittlerweile 10 Prozent des hessischen Staatswaldes als Naturwälder ausgewiesen. Dort kann sich die Natur wieder ungestört entfalten. Einige Gebiete sind über 1.000 Hektar groß und können damit schon als Wildnis gelten. Wir planen derzeit ein Naturschutzgroßprojekt im Wispertaunus. Trotzdem haben wir gerade im Wald erhebliche Rückschläge erfahren müssen. Die Folgen des Klimawandels überrollen uns. Durch Stürme, Trockenheit und Borkenkäfer sind in Hessen mittlerweile große Waldflächen kahl, dem Wald geht es so schlecht wie nie zuvor.

Ist der Wald noch zu retten?

Das Land versucht diese Entwicklung so gut es geht aufzuhalten, mit der Wiederbewaldung von klimastabilen Mischwäldern. Damit das gelingt, müssen wir aber den Klimawandel international aufhalten, und da sind manche Schritte noch zu zaghaft.

Engagement wandelt sich, wird agiler, kurzfristiger, unverbindlicher. Vor welche Herausforderungen stellt diese Entwicklung „den“ Naturschutz?

Wir konnten in den letzten Jahren die Bildung für nachhaltige Entwicklung in Hessen ausbauen. Ziel dabei ist es Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu erreichen, Wissen zu vermitteln und ebenso zum Handeln zu motivieren. Immer mehr Schulen werden zum Beispiel „Umweltschule“. Bei unserer alljährlichen Aktion „Sauberhaftes Hessen“ sammeln Kinder gemeinsam mit ihren Erziehern oder Lehrerinnen Müll, und es werden jedes Jahr mehr.

Wie schafft man den Schritt vom schnellen „Gefällt mir“-Klick in den Sozialen Medien zu tatsächlichem Engagement?

Mein Eindruck ist, dass das Interesse an Naturschutz besonderes bei jungen Menschen wächst und viele auch aktiv werden. Dabei ist es nicht wichtig, ob sie dauerhaft Mitglied in einem Naturschutzverein sind oder bei einzelnen Aktionen mitmachen, das alles hilft! Die Sozialen Medien dienen der Vernetzung, und wir können unser Wissen darüber teilen. Das finde ich überhaupt nicht schädlich.