Direkt zum Inhalt wechseln
|

Lust auf Kinder: Aufregend schöne Herausforderung

Von Rebekka Farnbacher. Fotos Arne Landwehr.

Wiesbaden hat eine überdurchschnittlich hohe Geburtenrate. Was unsere Stadt so fruchtbar macht, haben wir nicht ergründet. Wohl aber, dass die Wege zum Kind und das Leben mit Kindern so mannigfaltig wie spannend sind.

Ronja ist sauer. Eben galoppierte sie noch wiehernd durch die Wohnung und zog ihren Besuch an der Hand mit in ihr Zimmer. „Komm mit, ich will dir den Zauberschrank zeigen!” Jetzt steht die Dreijährige in ihrem rosa Prinzessinnenkostüm vor ihrer Mutter, die Unterlippe vorgeschoben, die Augen füllen sich mit Tränen. Sie möchte das Kleid nicht für das Foto ausziehen. Es war aber doch so abgesprochen. Sie will aber nicht.

Herausforderung Kindererziehung. Lisa Schöninger, Ronjas Mutter, nutzt den Begriff Erziehung ungern. Sie legt großen Wert auf eine offene Kommunikation mit ihrer Tochter. Über Ronjas leiblichen Vater spricht die alleinerziehende Mutter auch von Anfang an offen und ehrlich mit ihr. Die beiden trennten sich noch während der Schwangerschaft. Ronja weiß, dass sie ihn besuchen kann. Sie weiß auch, dass sie einen Stiefvater hat. Zu ihm sagt sie Papa. Den Kontakt zu halten, war eine Entscheidung für Ronja. Ganz einfach ist das natürlich nicht immer.

Zwischen Businessplan und Kind

Ebenfalls nicht ganz einfach war für die junge Mutter der Weg in die Selbstständigkeit. Sie kommt aus der Krankenpflege, absolvierte eine staatlich anerkannte Wellness-Ausbildung und entwickelte die Idee, mobile Wellness für Schwangere und Mütter anzubieten: „Werdende und junge Mütter geben besonders viel für das Kind und stellen die eigenen Bedürfnisse hinten an. Aber gerade in dieser Zeit ist Erholung besonders wichtig.” Vor Ronjas Geburt entwickelte die damals 26-jährige ihre Geschäftsidee aus der Arbeitslosigkeit heraus. Zuschüsse bekam sie keine: „Ronja hat mir dafür die Kraft gegeben.” Mit Schichtdienst in einer Wellnesseinrichtung hätte Lisa Schöninger das Leben mit ihrem Kind nur schwer vereinbaren können. Also bietet sie Massagen, Fußpflege, Energie- und Kosmetikbehandlungen bei den Kundinnen zu Hause an. Am Anfang haben ihr viele Freunde ausgeholfen, Ronja ging in die Kinderkrippe, heute in einen Waldorf-Kindergarten. Zusammen gehen sie gerne auf den Reiterhof Adamstal. Das schafft eine willkommene Abwechslung zum Galoppieren im eigenen Kinderzimmer. Auch wenn die kindliche Fantasie kaum Grenzen kennt.

Über eine lebhafte Fantasie verfügen auch Erwachsene. Insbesondere wenn sie beim ersten Kind noch sehr vorsichtig sind. „Es kommt schon mal vor, dass mich eine Mutter nachts um 3 anruft, weil sie einen Popel in der Nase ihres Neugeborenen entdeckt hat und Angst hat, dass der Sauerstoff nicht bis zum nächsten Morgen reicht”, erzählt die Hebamme Andrea Vierlinger und lacht. In ihrer Wiesbadener Praxis will sie Offenheit vermitteln, „das Wunder des eigenen Kindes zulassen“. Ohne Angst. Denn vielfach würden falsche Vorstellungen vermittelt. Ihr Konzept: viele Angebote, offener Austausch und gutes Networking.

 

„Netzwerken” hilft auch auf dem Kinderspielplatz. Suna versucht, das schauklige Netz des Klettergerüstes zu erklimmen. Die Dreieinhalbjährige wirkt sehr selbstständig – so auch ihre Fantasie. Sie schaltet ihre Grinsegrübchen ein, holt tief Luft und beginnt mit einem langen „aaalso” ihren Diskurs über die Frage, wie eigentlich die Fische in die Fischstäbchen kommen. Ein stabiles Netzwerk ist auch Voraussetzung für ihre Betreuung. „Suna ist so, wie sie in unsere Familie passt. Sie ist kein Mamakind, sie hat eigentlich drei Mamas: ihren Vater, ihre Oma und mich”, beschreibt Lale Karahan den Charakter ihrer „Schnupsi”. Beide Elternteile sind Vollzeitberufstätig in der Eventbranche. Die Schwangerschaft mit Anfang 30 war nicht geplant. „Ich nahm mir vor, mein Baby zu kriegen und nach zwei Monaten weiterzuarbeiten.” Schließlich wurde daraus doch ein knappes Jahr Elternzeit. Im März kommt Sunas Schwesterchen zur Welt.

„Gute Erziehung“ ist nicht messbar

Bei ihrem beruflichen Ehrgeiz gehe es der 35-Jährigen nicht um Arbeit oder Karriere, sondern um ihre Entfaltung. Dieses Modell funktioniere aber nur, weil ihr Mann die gleichwertige Verantwortung übernimmt. Mit der Kita, wie auch mit ihrem Arbeitgeber, konnte sie Sonderzeiten verhandeln. Um 15 Uhr verlässt sie ihren Schreibtisch, holt Suna in der Kita ab, bringt sie nach Hause und flitzt zurück ins nächste Meeting, während die Oma auf sie aufpasst: „Es herrscht ein Trend, dass die Anzahl der Stunden für ein Kind über den Wert der Erziehung Auskunft gibt. Aber jede Geschichte ist eben individuell.” Für Lale Karahan steht im Vordergrund, Kinder natürlich zu behandeln, anstatt sie dauerzubetütteln. Ob sie beim zweiten Kind anders plane, kann sich nicht sagen. Sie habe sich noch kein Programm gemacht. Vielmehr hat sie Gelassenheit gelernt. Perfekte Abläufe gibt es ganz einfach nicht.

„DinnerFor One“ – zu acht

Wie sieht der gewöhnliche Tagesablauf in einer 8-köpfigen Patchworkfamilie aus? „Bei uns gibt es keinen gewöhnlichen Tagesablauf”, erklärt Barbara Haker. Sie und ihr Lebensgefährte sind freiberufliche Schauspieler. Oliver Klaukien arbeitet außerdem im Freilichtmuseum Hessenpark. Er brachte die Söhne, Jean-Luc (8) und Maurice (4), mit in die Beziehung. Der Jüngere ist schwer mehrfach behindert. Sie hat mit ihrem Ex-Partner drei Kinder: Lukas (13), Jannes (11) und Lilia (4). Zusammen haben sie eine gemeinsame Tochter, Jella (1,5). Um den Alltag der Familie zu beschreiben, ist Alltag das falsche Wort. Stetig ist fast nur der Wandel. Die Betreuung der Kids funktioniert über ein Wechselmodell – teils bei der Mutter, teils beim Vater. Maurice muss wegen seiner Behinderung rund um die Uhr betreut werden und geht nach langen Überlegungen unter der Woche in eine Wohngruppe. Die Lebensmodelle müssen ständig überdacht und verändert werden – genau wie die Zimmeraufteilung der 140qm-Wohnung: „Das Patchwork-Problem ist, dass es zu viele Bedürfnisse gibt und jede Entscheidung einen riesen Rattenschwanz nach sich zieht.” Deshalb sind eine offene Kommunikation und viel Rücksicht unabdingbar. Niemand soll zu kurz kommen. Dass das Verhältnis zu den Ex-Partnern so gut ist, sei ein großes Glück.

Auch, dass die Kinder miteinander umgehen, als hätten sie nie etwas anderes gekannt. Zusammen spielen sie gerne Lego oder gehen nach draußen. Eine Lieblingsbeschäftigung der Jungs ist die neue Kamera. Mit der wird die kleine Schwester zum Filmstar gemacht, oder „Dinner for One” nachgespielt. Den torkelnden Butler darf jeder mal mimen. Das erste Wort der anderthalbjährigen Jella war „Nein”. Verzicht ist ein Aspekt, der nicht immer leicht fällt. Das Urlaubsziel wird nicht im Flieger, sondern im VW-Bus angesteuert, der häusliche Luxus ist nicht die Playstation, sondern die Rückzugsmöglichkeit ins eigene Zimmer. Dass Jella ein Wunschkind war, sei für viele Bekannte völlig unverständlich gewesen. „Liebe und Fürsorge kann man uneingeschränkt teilen. Das ist das Schöne daran!” Und auch wenn die Eltern nur zwei Wochenenden im ganzen Jahr alleine für sich haben, sie sind sich einig, dass sie ihr jetziges Leben niemals eintauschen wollen.

Umwege zum Elternglück

Im Kontrast zur Großfamilie steht das Unglück eines unerfüllten Kinderwunsches. Das Kinderwunschzentrum Wiesbaden hat Eltern in 15 Jahren zu etwa 10.000 Kindern verholfen. Die Behandlungsmöglichkeiten sind so vielfältig wie die Ursachen. Kernleistung des Zentrums ist aber die Befruchtung im Labor. „Früher war es die gängige Meinung, dass oftmals eine Kopfblockade vorherrscht. Heute weiß man, dass es sich in 85 % der Fälle um organische Ursachen handelt”, erläutert Dr. Thomas Hahn, Leiter des Zentrums. Diese können gleichermaßen beim Mann oder der Frau zu finden sein. „Dank der modernen Medizin ist vieles möglich, aber das Problem liegt im gesellschaftlichen Lebensstil.” Mit der Entscheidung „erst Beruf, dann Kind” liefen Betroffene wie Mediziner der verlorenen Zeit hinterher, da die weibliche Fruchtbarkeit mit 30 abnehme.

Eine anderer (Um-)weg zum Elternglück ist die Aufnahme eines Pflegekindes. Das Wiesbadener Amt für Soziale Arbeit vermittelt Bereitschafts-, Kurzzeit- und Dauerpflege. Letztere für Kinder, die aufgrund vielfältiger Probleme in der Herkunftsfamilie von dieser getrennt werden müssen. Nathalie (Name geändert) ist 5 Jahre alt und kam mit 5 Monaten zu ihren Pflegeeltern. „Das war ein Glücksfall”, sagt ihre Pflegemutter. Beate Bohland und ihr Mann, Andreas Stegart, wollten immer Kinder haben, das sei für beide der Sinn des Lebens. Über eine Bekannte sind sie auf die Idee gekommen. Dass Nathalie als Baby in die neue Familie kam, machte die Aufnahme leichter, als es bei der Vermittlung älterer Kinder häufig der Fall ist. „Die Kinder bringen ihr `Rucksäckchen´ an Erlebnissen und oftmals Traumatisierungen mit”, erklärt Patricia Stinson. Sie verantwortet beim Amt für Soziale Arbeit die Vermittlung von Pflegekindern. Pflegefamilien müssten die Motivation haben, das Kind nicht nur zu betreuen, sondern eine konstante, liebevolle Versorgung zu gewährleisten. Außerdem müssen sie den Kontakt zu den leiblichen Eltern akzeptieren. Nathalie trifft ihre Mutter ein Mal im Monat. Mittlerweile habe man ein gutes Verhältnis. Auch ihre zwei Geschwister sieht sie, wenn auch seltener. „Die Vergangenheit soll nicht schöngeredet, aber respektiert werden”, so Stinson. Wenn Nathalie Fragen hat, bekommt sie sie beantwortet. Auch an Zuneigung fehlt es ihr nicht. Wieder in ihren Beruf als Verkäuferin einzusteigen, sei für Beate Bohland momentan kein Thema. Sie möchte diese Zeit für ihre Tochter haben. Schließlich gehe sie ja so schnell vorbei.   

„Ein Kind ist ein enormer Entwicklungsbeschleuniger”, sagt Lisa Schöninger. „Natürlich gerät man auch an seine Grenzen, aber wenn es gelingt, sie zu überwinden, fühlt man sich umso freier!” Auch die kleine Ronja strahlt jetzt wieder. Sie hat das Kleid schließlich bereitwillig ausgezogen und ihren Ärger schnell vergessen. Dass Kinder eine Herausforderung sind, stellt sicher keine Familie in Frage. Dass sie ein riesen Geschenk sind, ebenso wenig. 

Tipps der Kids

Lisa Schöninger und Ronja (3) besuchen gerne Pumba und Mogli auf dem Reiterhof Adamstal. Für 7 € die halbe Stunde können die Ponys ausgeliehen und auf dem Hofgelände geritten werden (www.hofgut-adamstal.de)

Immer mittwochs findet von 9-11 Uhr in der Hebammenpraxis Andrea Vierlinger ein gemütliches Schwangerenfrühstück statt. An der Umsetzung eines Vaterstammtisches wird aktuell gearbeitet. (www.hebammewiesbaden.de)

Lale Karahan hat mit ihrer „Schnupsi” (3) Nane Rosas Kunstwerkstatt neu entdeckt. Hier werden Bastel- und Kunstkurse für die Kids angeboten, während sich die Mamas im gemütlichen Café zum Kaffeeplausch treffen. (www.kunstzimmer-nanerosa.de)

Barbara Haker und Oliver Klaukien vermitteln Geschichte mit ihrer Schauspielkunst. Wenn ihre Kinder Lust haben, spielen sie mit. Ab April zu sehen: „Mit dem Spieler Fjodor Dostojewski auf Zeitreise“. (Tourist-Info am Marktplatz,  0611/1729-930)

Nathalie (5) liebt klassisches Entertainment, wie zum Beispiel Puppentheater. Wenn ihr Papa nicht zu Hause die Handpuppen tanzen lässt, wäre zum Beispiel das Marionettentheater in Bierstadt eine prima Idee (www.marlionetta.de) Schauspiel, Tanz und Gesang können Kinder und Jugendliche auch bei Stagecoach lernen. In den Osterferien gibt es einen einwöchigen Workshop in den Räumen der Tanzschule Weber mit anschließender Präsentation. (www.stagecoach.de/wiesbaden,  0800/7237314)

Frisch eröffnet hat in Biebrich „Knirpshausen“, der erste Wiesbadener Indoor-Spielplatz für Kinder von 0 bis 5 Jahren. (www.knirpshausen.de)

Noch mehr Tipps für das Leben mit Kids gibt die junge Mutter „Juja-Chan“ auf ihrem Blog http://elternzeit-in-wiesbaden.blogspot.de/