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Mächtig weiblich! Immer mehr, aber immer noch wenig – Wo in Wiesbaden Frauen an der Spitze walten

Frau Präsidentin. Eva Waller führt seit Anfang des Jahres die Hochschule RheinMain. Einst eine Gegnerin der Frauenquote, hält sie diese nun als Werkzeug der Chancengleichheit für notwendig.

Von Julia Bröder. Fotos Kai Pelka.

Immer mehr, aber immer noch wenig: Wo in Wiesbaden Chefinnen walten – und warum man darüber sprechen muss.

Bernadette Boot führt die mächtige städtische Holding WVV ab Juli alleine – und geht selbstbewusst davon aus, dass dies auch dauerhaft so bleiben wird.

Seit März dieses Jahres leitet Bernadette Boot die Geschäfte der WVV Wiesbaden Holding – an der Spitze einer der bedeutendsten städtischen Gesellschaften steht damit eine Chefin. Eine Tatsache, die im Zusammenhang mit der Personalie durchaus Beachtung fand, denn offensichtlich sind Frauen in Führungspositionen auch heute noch keine Selbstverständlichkeit. Im Auswahlverwahren hatte sich Boot gegen mehr als 80 Kandidaten und Kandidatinnen durchgesetzt. Da habe allein die Qualifikation gezählt, sagte Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende, als Boot im Sommer 2020 der Presse präsentiert wurde. Trotzdem: Dass es eine Frau ist, freue ihn angesichts des Mangels an weiblichen Geschäftsführern bei städtischen Gesellschaften besonders.

Persönlichkeit im Ganzen betrachtet

Die WVV-Chefin selbst gesteht Mende diesen Zusatz gerne zu, kam er doch mit einem Augenzwinkern. „Wenn bei der Stellenausschreibung gezielt nur nach einer Frau gesucht worden wäre, hätte ich mich nicht beworben“, steht für die Juristin fest. Im gesamten Prozess sei man ihr als Persönlichkeit im Ganzen begegnet. Fachwissen und Kompetenzen hätten eine Rolle gespielt, aber nicht das Geschlecht. Sie selbst hat sich vorgenommen, als Chefin Diversität zu fördern. Dazu gehört, dass in ihrer Belegschaft Frauen und Männer gleichermaßen vertreten sind, aber eben auch Jüngere und Ältere sowie Menschen mit unterschiedlichen akademischen, sozialen und kulturellen Hintergründen.

Unbeschriebenes Blatt – Riesenchance nach Affären

Ihren Führungsstil beschreibt Boot als reflektiert, transparent und offen. Aktuell leitet sie die WVV zusammen mit Rainer Emmel bis zu dessen Ruhestand Ende Juni. Hinweise auf eine künftige Doppelspitze gibt es nicht. In der Stellenausschreibung sei eine alleinige Geschäftsführung gesucht worden, darauf habe sie sich beworben, so Boot. Von Affären und Interessenskonflikten, mit denen verschiedene Entscheidungsträger der WVV in den letzten Jahren in Verbindung gebracht worden waren, macht sie sich frei: „Dass ich als Frankfurterin und damit als quasi unbeschriebenes Blatt nach Wiesbaden gekommen bin, sehe ich als Herausforderung, aber auch als Riesenchance.“

Bernadette Boot arbeitete nach dem Jura-Studium als Staatsanwältin und später in leitenden Positionen beim Land Hessen, der Stadt Frankfurt sowie bei zwei Energieversorgern. Hürden, die speziell sie als Frau betrafen, habe es auf ihrem Karriereweg nicht gegeben, sagt die 48-Jährige. „Ich war immer neugierig und habe deutlich gezeigt, dass ich Verantwortung übernehmen will – das war sicherlich ein Treiber.“

Statistisch unterrepräsentiert

Statistisch sind Frauen in Spitzenpositionen unterrepräsentiert. Zu Beginn dieses Jahres waren 11,5 Prozent der Vorstände börsennotierter Unternehmen in Deutschland weiblich, der Frauenanteil in Führungspositionen insgesamt betrug knapp ein Drittel. Das liegt zum einen daran, dass Frauen sich seltener auf entsprechende Stellen bewerben – weil die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch heute noch mehr ein Mütter- als ein Väter-Thema ist, aber auch, weil Frauen sich tendenziell weniger zutrauen als Männer. Zum anderen werden viele Personalentscheidungen auf den obersten Ebenen nach wie vor von Männern getroffen – und deren Wahl  fällt im Zweifel oft auf ihresgleichen.

Frauenausschuss aktiv

Das sind strukturelle Probleme, denen sich in Wiesbaden etwa der Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Sicherheit widmet. Im Rahmen eines fraktionsübergreifenden Runden Tisches und unter Einbeziehung der kommunalen Frauenbeauftragten Saskia Veit-Prang setzt sich der Ausschuss dafür ein, den Frauenanteil in den Aufsichtsräten und Betriebskommissionen aller städtischen Beteiligungen zeitnah auf 30 und im Laufe der nächsten fünf Jahre auf 50 Prozent zu erhöhen. Aktuell ist die Gewichtung in diesen Gremien sehr unterschiedlich. Es gibt Gesellschaften mit einem hohen Frauenanteil wie das Feierabendheim Simeonhaus oder die HSK Pflege GmbH mit einem hohen Frauenanteil und solche wie die KMW Kraftwerke Mainz-Wiesbaden AG mit kaum Frauen in der obersten Etage.

Allgemein sorgen Quotenregelungen für Frauen seit Jahren für Diskussionen. Auf Bundesebene einigte sich die große Koalition erst Ende vergangenen Jahres auf eine verbindliche Frauenquote für Vorstände, zuvor konnte sich ein Großteil der Unternehmen ihre Zielvorgabe selbst setzen.

Die Quote als Werkzeug

„Ich war eigentlich immer eine Gegnerin der Quote“, sagt Eva Waller, seit Januar Präsidentin der Hochschule RheinMain. „Je weiter ich jedoch beruflich gekommen bin, desto mehr habe ich gesehen, wie wichtig sie als Werkzeug ist, um Frauen den Zugang zu Bereichen zu ermöglichen, in denen noch immer vornehmlich Männer entscheiden.“

Als Waller sich 2005 um eine Professur für Wirtschaftsrecht in Bochum gegen einen ebenso geeigneten Kandidaten durchsetzen musste, bekam sie den Zuschlag, 2016 wurde sie Vizepräsidentin der Hochschule. Weibliche Vorbilder habe sie im Job wenige gehabt, berichtet die 56-Jährige. Ein Wegweiser sei vor allem ihre Mutter gewesen. „In meiner Familie war es nie ein Thema, dass ein Mädchen etwas nicht können kann“, sagt Waller.

Unteitelkeit – typisch weiblich?

Sie selbst möchte ihre Mitarbeiter, ob männlich oder weiblich, zukunftsorientiert fördern – damit sie an ihren Aufgaben wachsen und sich selbst immer wieder neue Ziele stecken. Ob sie dabei einem spezifisch weiblichen Führungsstil folge? „Ich lobe bewusst und gestehe es auch zu, wenn jemand anderes für einen Erfolg verantwortlich ist. Diese Uneitelkeit im Job ist möglicher Weise typisch weiblich. Außerdem sind Frauen häufig empathischer, während bei Männern das Analytische überwiegt.“

Spitzenfrauen in vielen Branchen

Mit Bernadette Boot und Eva Waller sind in Wiesbaden zwei exponierte Stellen weiblich besetzt worden. Aber auch andernorts haben Frauen die Führung übernommen: Die VHS hat mit Dr. Stephanie Dreyfürst seit letztem Jahr erstmals in ihrer bald 100-jährigen Geschichte eine Direktorin und die Asklepios Paulinenklinik mit Antonia Schenk Gräfin von Stauffenberg ganz frisch eine Geschäftsführerin. Im Bauaufsichtsamt ist mit Sandra Matzenauer erneut eine Leiterin angetreten, und an der Spitze des neu geschaffenen Amts für Innovation, Organisation und Digitalisierung mit Silke Lehnhardt ebenfalls eine Chefin. Damit haben auch in Wiesbaden Frauen längst nicht mehr nur in den eher als klassisch weiblich geltenden Domänen wie Kunst, Kultur und Soziales mehr zu sagen.

Perspektivwechsel dank Mentor

Sandra Matzenauer ist neue Leiterin des Bauaufsichtsamtes der Landeshauptstadt Wiesbaden.

Geplant habe sie ihre Karriere nie, sagt Sandra Matzenauer – ihren Weg aber durchaus so gewählt, dass ihr viele Möglichkeiten offenstehen. Sie studierte Architektur an der Technischen Hochschule in Aachen und entschied sich im Referendariat für eine Stelle auf Bundes- statt auf Landesebene. Nach dem Abschluss startete sie als Nachwuchsführungskraft in der Bauaufsicht Frankfurt und traf dort auf ihren wichtigsten Mentor. „Durch ihn habe ich meine Liebe zum öffentlichen Baurecht entdeckt und gelernt, verantwortungsbewusst mit Entscheidungen umzugehen und meine Perspektive zu verändern“, erinnert sich die heute 47-Jährige. „Tatsächlich war er es auch, der mir von der Stellenausschreibung hier in Wiesbaden erzählt hat“, verrät sie lachend. Dass er als Mann sie als Frau förderte, spielte keine Rolle – viel wichtiger waren sein Respekt und seine Offenheit auch in puncto Arbeitsorganisation.

Karriere kein Muss, wohl aber Wahlfreiheit

„Als ich in Elternzeit ging, stand weder ein versteckter Vorwurf im Raum, noch hatte ich Angst vor einem Karriereknick“, sagt Matzenauer. Sie wurde die  erste Teamleiterin in Teilzeit und stieg, ebenfalls mit reduzierter Stundenzahl, erst zur stellvertretenden und dann zur Abteilungsleiterin auf. „Das war anstrengend“, gibt sie zu, und seit dieser Zeit habe sie lernen müssen, auch auf ihre Gesundheit zu achten. Dennoch möchte sie junge Frauen zu mehr Selbstbewusstsein im Beruf ermutigen. „Nicht jeder muss Karriere machen, aber das Ziel sollte die Wahlfreiheit sein“, betont die zweifache Mutter. Dazu gehöre auch, die Vereinbarkeit von Job und Familie zu ermöglichen – und zwar Müttern ebenso wie Vätern. „Als Chefin mache ich da keinen Unterschied zwischen meinen männlichen und meinen weiblichen Mitarbeitern. Dass Annalena Baerbock sich die Frage gefallen lassen muss, wie sie mit zwei kleinen Kindern Kanzlerin werden wolle, während sich bei Herrn Söder niemand für die Familienverhältnisse interessiert, kann mich fast wütend machen.“ Damit spricht Sandra Matzenauer sicherlich vielen Frauen aus der Seele.

Kinder und Karriere

Julia Merkel ist Personalvorstand der R + V Versicherung – und plädiert für Offenheit in Sachen Teilzeitmodelle auch für Führungskräfte. Foto: R+ V Versicherung

Themen wie Kinderbetreuung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf liegen nach wie vor meist bei den Müttern und sind damit dann eben doch oft ein Hindernis auf dem Weg nach ganz oben. Noch?

„Die Anzahl der Vorständinnen in großen Konzernen steigt und glücklicherweise auch in den Führungsebenen darunter“, beobachtet Julia Merkel, Vorstand Personal und Konzerndienstleistungen  bei der R+V Versicherung.  Unternehmen könnten  diese Entwicklung gezielt fördern. „Als R+V zahlen wir grundsätzlich gleiche Löhne für vergleichbare Tätigkeiten. Wir stellen Frauen gezielt Mentorinnen und Mentoren zur Seite, und nicht zuletzt sorgen wir dafür, dass sich Mutterschaft und Karriere nicht ausschließen – und das bis in die Vorstandsetagen.“

Teilzeitmodelle auch für Führungskräfte

Auch wenn sich einiges tut, muss man schon genau hinschauen, um weibliche Vorstandsmitglieder in Konzernen und Großunternehmen zu entdecken. Der aktuelle Vorstand der in Wiesbaden beheimateten R + V Versicherung hat zwei Frauen. Foto: R+V Versicherung

Es gebe bei der R+V auch Führungskräfte, die in Teilzeit arbeiten. Das sei anspruchsvoll und setze eine hervorragende Organisation voraus. „Aber immer mehr Kolleginnen und Kollegen bekommen das hin“, sagt Merkel, 55. Frauen gehören demnach nicht per se an die Spitze, weil sie Frauen sind, sondern weil sie Teil sind einer Vielfalt in unserer Gesellschaft, die auch in den Führungsetagen sichtbar sein muss. „Ganz persönlich kann ich Frauen nur bestärken, proaktiver zu sein und ein Umdenken im Hinblick auf das Ermöglichen von Führungsrollen einzufordern. Traut Euch! Formuliert Eure Ideen und Vorstellungen und geht voran!“

Frauen sind keine Männer!

Silke Lehnhardt macht sich als Leiterin des neuen Amtes für Digitalisierung für gemischte Führungsteams stark.

Ähnlich sieht das Silke Lehnhardt. Ihr Credo: Wer gar nicht kämpft, hat gleich verloren. Als Fürsprecherin gemischter Führungsteams geht es der Leiterin des neu geschaffenen Amts für Innovation, Organisation und Digitalisierung vor allem darum, Unterschiede zuzulassen und schätzen zu lernen. Wenn sich Frauen beispielsweise mehrere Meinungen einholen, bevor sie eine Entscheidung treffen, gelten sie schnell als entscheidungsschwach. „Dabei denken Frauen allgemein vernetzter und loten die Konsequenzen ihrer Handlungen viel genauer aus“, weiß Lehnhardt, die vor ihrem Wechsel in die Verwaltung als selbständige IT- und Businessberaterin sowie in leitenden Positionen bei Lufthansa und der Telekom tätig war.

Gemischte Teams liefern beste Ergebnisse

Aus dieser Zeit weiß sie:  Gemischte Teams liefern die besten Ergebnisse. Sich als Frau möglichst „männlich“ zu verhalten, um Erfolg zu haben, sei daher langfristig der falsche Weg. Deshalb befürwortet sie auch die Frauenquote – vorübergehend! „Es macht keinen Spaß, in einem Gremium die einzige Frau zu sein und nur akzeptiert zu werden, wenn man sich den männlichen Verhaltensweisen komplett anpasst. Die Quote ist ein erforderliches Mittel, um die Hürde zu einem ausgewogenen Verhältnis von Frauen und Männern in den Chefetagen zu überwinden. Wenn wir das geschafft haben, sollten wir sie schnellstmöglich wieder abschaffen.“

Weiterlese-Tipp: Editorial Juni-sensor – „Kennen Sie einen Karrieremann?“

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