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Mal idyllisch, mal dubios – Pilzsuche in und um Wiesbaden

_MG_5532_4spVon Natascha Gross. Fotos Michael Zelllmer.

Auch in und um Wiesbaden werden Pilzfreunde fündig – auf eigene Faust, mit fachkundiger Begleitung oder auch in ominöser Gesellschaft. sensor ging dem Thema mit den vielen Facetten in den Wäldern, in Restaurants und auf dem Wochenmarkt auf die Spur.

Der Wald hatte schon immer etwas Magisches. Weit übers Mittelalter hinaus war er gefürchtet, schien bedrohlich und feindlich zu sein. Doch spätestens die Epoche der Romantik veränderte dieses Bild – der düstere Forst wurde zum Hain mit großer Anziehungskraft. Heute verspüren vor allem Städter wieder einen Drang zur Natur – denn in der Stille des Waldes ist der Alltag fern. Auch menschliche Urinstinkte werden neu entdeckt: Nicht selten kommt es vor, dass so manch ein Waldbesucher wieder zum Jäger und Sammler wird. Dass nicht jeder einfach so ein Tier erlegen darf, ist klar. Doch auch beim Sammeln von Beeren, Pflanzen und insbesondere bei Pilzen sind Regeln zu beachten. Der Wald und seine Bewohner sollen geschützt und nicht geplündert werden. Sobald sich der Sommer dem Ende zuneigt und es vermehrt regnet, ist wieder Pilzsaison – und dank der wiedererweckten „Landlust“ der Deutschen erfreut sich auch das Pilze sammeln wieder großer Beliebtheit.

Erst der Regen bringt die Pilze
An einem Freitagnachmittag im September ist es im Hohensteiner Wald noch warm. Die Sonne scheint zwischen den Bäumen hindurch. Zum Pilze sammeln ist es aber eigentlich noch zu trocken: „14 Tage vorher muss es geregnet haben, der Wald sollte feucht sein, das Moos grün“, erklärt Pilzexperte Franz Heller. Dann wachsen und gedeihen Steinpilze, Maronen, Hexenröhrlinge und Täublinge in Hülle und Fülle. Trotz der suboptimalen Bedingungen haben sich auch an diesem Tag wieder siebzehn Hobby-Sammler auf einem Waldparkplatz versammelt, um sich gemeinsam aufzumachen und ihre Kenntnisse zu vertiefen. Die Pilz-Exkursion wird vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) organisiert, geleitet wird sie vom Wiesbadener Mykologen Heller, der auch im Auftrag des Wiesbadener Umweltladens regelmäßig Exkursionen leitet. Nachdem die wichtigsten Regeln erklärt wurden, sind plötzlich alle vom Waldweg verschwunden. Die Korbträger sind abseits der Wanderpfade unterwegs, zwischen Ästen, Bächen und in Schluchten. Die Jagd nach den Pilztrophäen hat begonnen: „Man muss langsam durch den Wald gehen, den Blick nach unten gerichtet“, weiß eine Teilnehmerin und verschwindet in die Tiefen des Haines.

Leckerer Steinpilz? Nein, giftiger Doppelgänger!
Plötzlich ist eine Trillerpfeife zu hören – dass Signal für die Pilz-Liebhaber, sich langsam wieder in der Gruppe einzufinden. Die Jagd ist unterbrochen, und die Teilnehmer zeigen, was sie erbeutet haben. Ein Teilnehmer vermutet, einen Steinpilz im Körbchen zu haben: „Das ist der giftige Doppelgänger des Steinpilzes, der Gallenröhrling“, muss ihn Heller enttäuschen. „Die haben mein Schwiegervater und ich auch einmal verwechselt. Danach habe ich mir Bücher gekauft – das wurde mir dann zu gefährlich“, sagt Heller. Passiert ist den beiden nicht viel – der Steinpilz-Doppelgänger hat seinen Namen von seinem Geschmack: „er ist gallenbitter, das schmeckt man sofort“. Schlimmer seien die Pilze, bei denen erst nach ein paar Stunden Symptome auftreten.

Außerdem unterscheidet man zwischen Pilzen, die tatsächlich giftig sind und zum Tod führen können und solchen, die lediglich unverträglich sind. Der Pilz-Profi kennt von ungefähr 3500 Sorten in Deutschland vier- bis fünfhundert. Fünf- bis zehnmal im Jahr wird der 67-Jährige nachts von Wiesbadener Krankenhäusern wachgeklingelt, wenn sich jemand vergiftet hat. Der Biebricher begutachtet dann die Reste und bestimmt sie. So viel Fachkenntnis haben die Teilnehmer zwar längst nicht, dennoch bringt jeder ein bisschen Erfahrung mit: „Ich habe früher mit meiner Mutter Pilze gesammelt. Seit sie verstorben ist, habe ich niemanden mehr, der sich auskennt“, erzählt Carola Schüßler. Die Mutter wiederum hatte ihre Kenntnisse von ihrer Mutter – denn das Pilze sammeln hat Tradition: Vor allem zu Kriegszeiten waren Pilze beliebt, weil sie – aus dem Wald gesammelt – kostenlose Nahrung waren.

Klare Regeln, unklare Umsetzung
Kostenlos? Nicht ganz. In Hessen darf pro Person am Tag nur ein Kilo gesammelt werden, und das auch nur für den Eigenbedarf. Wer kommerziell Pilze sammeln will, braucht eine Genehmigung. In Hessen gibt es keinen lizensierten Sammler, sodass deutsche Waldpilze zurzeit eigentlich nur aus Bayern kommen dürften: „Viele Rentner kennen sich gut aus und verdienen sich etwas dazu“, weiß Magnus Rabbe, Leiter der Unteren Naturschutzbehörde. Sie befinden sich in einer Grauzone, genauso wie Patrick Siebrandt. Wenn der Wiesbadener mit seiner thailändischen Frau und der Tochter im Wald unterwegs ist, kommt es schon einmal vor, dass sie 30 bis 40 Kilogramm mit nachhause nehmen. Die Steinpilze, Maronen und Hexenröhrlinge werden dann größtenteils eingefroren, aber laut Siebrandt nicht verkauft, sondern nur für den Eigenbedarf und zum Verschenken an Bekannte verwendet: „Das ist wie ein Fieber – man freut sich, wenn man einen erfolgreichen Tag hatte“, sagt Siebrandt, dessen Frau den „richtigen Riecher“ für die Pilze hat. Würden sie erwischt, könnte aufgrund der übermäßigen Menge dennoch eine Geldstrafe von bis zu 10000 Euro fällig werden.

Stadtwald ist kaum zu kontrollieren

Doch den gesamten Wiesbadener Stadtwald zu kontrollieren, ist kaum zu bewältigen: „Wenn Leute durch die Bestände laufen, wird es kritisch“, sagt Hans-Jürgen Feix, stellvertretender Leiter des Forstamts Wiesbaden-Chausseehaus. Denn sie beschädigen oft ahnungslos Jungbaumbestände. Private Sammler wären geduldet, doch in den letzten Jahren seien vermehrt Gruppen mit ausländischen Nummernschildern aufgefallen, die gewerbsmäßig Pilze sammeln: die sogenannte „Pilzmafia“. Von einer Mafia will Feix zwar nicht reden, aber das Problem ist durchaus bekannt. Dennoch: „Es gibt kein Konzept dagegen“. Wenn Feix und seine Kollegen auf solche Sammler aufmerksam werden, geben diese meist an, kein Deutsch zu verstehen.

Geht es aber darum, die Pilze gewinnbringend zu verkaufen, scheinen die illegalen Pilzsammler der deutschen Sprache sehr wohl mächtig zu sein: „Die kommen direkt ins Restaurant und bieten Steinpilze für 10 Euro das Kilo an“, berichtet Genadi Kaiser, Inhaber des Restaurants „Il Gondoliere“ in der Taunusstraße. Gekauft habe er aber noch nie, denn er wisse ja nicht, ob sich die Händler auch wirklich auskennen und Qualität liefern würden. Das Risiko, die eigenen Gäste zu vergiften, sei dem Gastronom schlicht zu hoch. Gerade hat ihn sein Gemüsehändler Mehmet Dogan beliefert: 20 Euro für ein Kilo waren schon ein Schnäppchen.

Doch wer genau ist das, die Pilzmafia? Sowohl Kaiser, als auch andere Wiesbadener Gastronomen, die schon „Besuch“ von solchen Pilzhändlern erhalten haben, aber auch Hobbysammler beschreiben sie als Osteuropäer, die zur Weinlese nach Deutschland kommen, und sich mit dem Pilzhandel etwas dazuverdienen. In Medienberichten heißt es, die Männer seien aggressiv und bedrohlich, wenn sie angesprochen werden. Eine Teilnehmerin der Hohensteiner Pilzexkursion berichtet, ihre ältere Kollegin habe beim Anblick von zehn Männern, die konzentriert auf den Boden schauten, vor Angst das Weite gesucht. Ihre Vorstellung vom idyllischen Wald hatte sich mit diesem Erlebnis zerschlagen.

Während der Exkursion im Hohensteiner Wald jedenfalls sind diese ominösen Männer nicht gesichtet worden. Viele halten die Pilzmafia deshalb auch für ein bloßes Gerücht. Doch wenngleich ihre Bezeichnung als „Mafia“ sicherlich übertrieben ist, gibt es Hinweise für ihre Existenz. So wird nicht nur in Restaurants wird Kundenakquise betrieben, sondern scheinbar auch bei Händlern auf den Wochenmärkten. Wer dieser Tage über den Wiesbadener Wochenmarkt spaziert, entdeckt bei fast jedem Gemüsehändler Pilze: Von Champignons über Pfifferlinge, Austernpilze bis zum Kräuterseitling ist vieles zu haben. Auch der beliebte Steinpilz. Bei der Herkunft deklarieren die meisten Händler Frankreich als Herkunftsland. Doch einer verrät: „Wir dürfen nicht sagen, dass die Pilze aus Deutschland kommen, deshalb schreiben die meisten Frankreich oder Elsass.“ Erwischt. Bereits in den vergangenen Jahren hatte die Naturschutzbehörde recherchiert und fand nach Aussage von Behördenleiter Rabbe heraus: „Auf den Märkten werden oft Pilze verkauft, die gar nicht aus der Region kommen dürften.“

Am Ende sind die Körbe der Exkursionsteilnehmer spartanisch gefüllt. Der trockene Sommer hat nicht viel hergegeben. Doch Pilzliebhaber sind gedulderprobt: der nächste Regen kommt bestimmt – und mit ihm auch die Pilze.

Tipps vom Pilzexperten Franz Heller:
– Die richtige Ausstattung: Luftdurchlässiger Korb, in dem die Pilze nicht gequetscht und sortiert werden können. Außerdem ein Messer, um den Pilz in der Mitte durchzuschneiden und zu sehen, ob er madig ist.
– Richtlinien: Wer keine Genehmigung hat, darf pro Kopf und Tag nur ein Kilogramm Pilze sammeln, gibt das Hessische Umweltministerium in seinem „Leitfaden Pilze sammeln in Hessen“ für 2015 vor. Bestimmte Pilze, wie zum Beispiel der Trüffel, stehen unter Naturschutz und dürfen gar nicht gesammelt werden.
– Darauf achten, kleinere Exemplare stehen zu lassen, damit genügend Pilze bis zur Sporenbildung reifen und die Art erhalten bleibt. Und: Pilze nicht herausreißen, sondern abschneiden oder vorsichtig herausdrehen.
– Giftpilze: Unbekannte Pilze sollten nicht verzehrt werden! Es sei denn, sie werden von einem Pilzexperten bestimmt und als essbar eingestuft (immer montags 16 bis 18 Uhr noch bis zum 2. November berät Franz Heller kostenlos im Umweltaden in der Luisenstraße 19. Gesammelte Pilze können mitgebracht und bestimmt werden. Für eine erste Analyse kann die Pilzdatenbank des Umweltamtes genutzt werden: wiesbaden.de/fungi).
– Pilz-Exkursionen „Sammeln und Bestimmen von Speisepilzen“ ab Dotzheim Waldfriedhof: 17., 24., 31.10., 1.11., 10 Uhr; 7., 21.10., 14 Uhr, für Kinder in Begleitung Erwachsener am 3.10., 10 Uhr. Anmeldung im Umweltladen.

Pilze zubereiten – Tipps von Il-Gondoliere-Chefkoch Bülent Mete:
– Wer das Aroma des Pilzes richtig schmecken möchte, sollte diesen nicht mit einer Soße binden.
– Die Pfanne sollte richtig heiß sein, bevor die Pilze hinzugegeben werden, damit sie kein Wasser lassen.
– Erst nach den Pilzen Olivenöl dazugeben, damit die Pilze braun werden.
– Pilze nur wenige Minuten in der Pfanne lassen, sonst verlieren sie ihr Aroma und werden matschig.
– Mit Salz und Pfeffer würzen, aber erst zum Schluss, sonst werden die Pilze zäh.
– Wenn Fleisch oder Fisch zu den Pilzen serviert wird, zusätzlich Kräuter wie Thymian und Rosmarin dazugeben.