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Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff: „Walhalla-Wiederbelebung so wichtig wie eine neue Rheinbrücke“

Interview: Dirk Fellinghauer. Fotos: Martino La Torre/Dirk Fellinghauer.

Mit klaren Worten macht sich Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff für eine Wiederbelebung des Walhalla-Theaters stark. Die Stadt Wiesbaden warnt er im sensor-Exklusivinterview vor einer „Krämermentalität“ im Umgang mit der sowohl historisch wie für die Zukunft bedeutenden Immobilie im Herzen der Innenstadt. Der 1939 in Wiesbaden geborene weltbekannte Regisseur, der 1979 für seinen Film „Die Blechtrommel“ den „Oscar“ gewann, war im Rahmen des Deutschen FernsehKrimi-Festivals in seiner Heimatstadt zu Gast. Im Caligari präsentierte er seinen ZDF-Krimi „Der namenlose Tag“. Am Morgen danach trafen wir den in Potsdam-Babelsberg lebenden Filmemacher im Hotel Oranien. Morgens um 8.30 Uhr nahm er nach seinem Frühstück hellwach, deutlich und leidenschaftlich Stellung zur Situation und Diskussion rund um das Walhalla. Schlöndorff traf auch Michael Müller und Dr. Martino La Torre vom „Walhalla Studios“-Team und zeigte sich sehr beeindruckt von deren vielfältigem und weitreichendem Konzept für eine künftige Bespielung des Hauses.

Was verbinden Sie persönlich mit dem Walhalla?

Ich habe eine sentimentale Bindung, weil das erste Mal in meinem Leben, dass ich überhaupt in einem Kino war, das war das „Bambi“, in der Woche der Eröffnung – da war ich 11 Jahre alt – und da lief natürlich „Bambi“. Das war ein traumatisches Erlebnis, weil es den Waldbrand gibt und die Mutter im Feuer umkommt, da gab es für mich autobiographische Identifikationspunkte. Und dann war das große Walhalla, da ist man mit Ehrfurcht reingegangen. Das war beinahe, als ob man in die Oper geht, wenn man sich da einen Film ansah. Die Familie Ewert hat dort „Die Blechtrommel“ gespielt, und ich muss sagen: In keinem Haus hat der Film so gut ausgesehen wie dort. Dieser Rahmen mit der Decke und dieses varietémäßig aufgemoppte, das passte natürlich riesig zu dem Trommler. Wenn er schrie, platzten nicht nur die Scheiben auf der Leinwand, da rieselte auch der Mörtel von der Decke (lacht).

Wie empfinden Sie die aktuelle Diskussion um die Zukunft des Walhalla-Gebäudes?

Bisher habe ich nur aus der Ferne davon gehört, jetzt anlässlich meines Besuchs beim Deutschen FernsehKrimi-Festival aus der Nähe davon erfahren. Da haben bei mir sämtliche Alarmglocken geläutet. Die Argumentation im Augenblick über wirtschaftliche Nutzungskonzepte und Sanierungskosten, das ist ja eine Krämermentalität, die für eine Kulturstadt vollkommen unangemessen ist. Das lässt sich nicht nach Wirtschaftlichkeit berechnen – da geht es um die Lebensqualität in der Innenstadt, die sonst verödet. Die Verödung der Innenstadt ist das Thema Nummer 1  – alle fragen, was können wir machen. Vor allem auch abends und am Wochenende. Da geht es um die Attraktivität der Stadt, auch für Leute, die von außen kommen. Und auch, damit nicht alle nach Mainz oder Frankfurt fahren. Davon abgesehen, geht es auch um die Auseinandersetzung, die momentan stattfindet – diese Vereinzelung und Vereinsamung von allen, die nur noch mit ihrem Internet und Facebook und Social Media beschäftigt sind. Diese Welle hat ihren Höhepunkt schon überschritten.

Und was folgt daraus?

Die Leute wollen Gemeinschaftserlebnisse. Und zwar nicht nur in Kneipen. Und auch nicht nur in der Oper. Das sieht man hier gerade beim Zulauf für dieses kleine Krimi-Festival. Das sieht man überall, wo vom Inhalt her interessantes Programm angeboten wird. Da kommen die Leute hin. Sie gehen nicht mehr regelmäßig ins Kino, das ist vorbei. Aber jedes Mal, wenn ein besonderes Ereignis stattfindet, dann kommen die Leute. Das Walhalla eignet sich gerade dafür – ob das jetzt Varieté ist oder Musicals oder eben jede Art von Erlebnis, die man gemeinsam mit anderen teilen will, ist das das ideale Haus.

Nun könnte man sagen, die Sorge um einen möglichen Abriss ist doch reine Nostalgie. Macht doch einfach an dieser zentralen Stelle den Ort frei für einen modernen Neubau …

 Der Architekt muss erst mal kommen, der heute ein Haus hinstellt, in dem man sich auf Anhieb wohlfühlt und eine Tradition spürt. Das funktioniert in diesem bestehenden Gebäude, das kann man nicht am Reißbrett herstellen. Das ist der eigentliche Wert des Hauses. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass eine Stadt an dieser Gelegenheit vorbeigeht, so ein Haus wiederzubeleben.

 Kennen Sie Beispiele, wo das schon funktioniert?

 Schauen Sie sich in Berlin „Clärchens Ballhaus“ oder die „Sophiensaele“ an. Das ist aber nicht nur auf Deutschland beschränkt. In New York in Brooklyn gibt es einen alten Musicalpalast – in einem technisch sanierten Zustand, aber eben nicht wieder zurücksaniert mit vergoldet und solchen Sachen, sondern als „Rohling“ belassen. Das ist das beliebteste Theater in New York geworden, das „BAM“, das steht für „Brooklyn Academy of Music“. Wenn man da reinkommt, denkt man erst mal, das ist eine Baustelle. Bis man merkt, das ist ja mit Absicht so! In Paris genauso.  Das „Bouffes du Nord“ … Das war früher so etwas wie das Lido oder das Moulin Rouge. Das ist auch so belassen worden.

Trotzdem stellen alte Gebäude dieser Art Verantwortliche vor immense Herausforderungen, um sie bespielbar zu machen.

So ein Gebäude, wie eben auch das Walhalla-Gebäude, bietet jetzt für einen modernen Architekten eine wunderbare Vorlage, um es technisch zu sanieren und gleichzeitig den Charme einer abgetakelten Diva zu erhalten. Da muss man dann sofort an Zsa Zsa Gabor denken (lacht).

Was sagen Sie finanziell abgetakelten Stadtpolitikern, die kontern mit Hinweisen, dass dies alles zu teuer und nicht finanzierbar sei?

Nochmal: Das ist Krämermentalität. So kann man nicht mit öffentlichen Geldern denken. Das ist eine Investition in die Stadt. Kultur gehört auch zur Infrastruktur – das ist mindestens so wichtig wie eine neue Brücke über den Rhein. Weil es Brücken zwischen Menschen schlägt und auch Brücken zwischen Hochkultur und Entertainment, zwischen „U“ und „E“. Ich könnte mir gut vorstellen, dass zu den Maifestspielen dort Operette gespielt wird, aber Operette in der heutigen, der modernen Art, so wie es die „Komische Oper“ in Berlin macht. Es gibt fast zu viele Ideen, was man damit machen könnte. Man wäre sicher gut beraten, wenn das in einem Public-Private-Modell gemacht wird. So ein Haus sollte natürlich nicht nach dem Intendantenprinzip bespielt werden von städtischen oder staatlichen Bühnen, das wäre fatal. Da muss eher ein Zirkusdirektor her als ein Intendant.

Worauf würde ein „Zirkusdirektor“ Volker Schlöndorff in einem Walhalla der Zukunft setzen?

Ich würde da auf diese Mischung setzen mit Cabaret, Operette, Konzerte, Varieté – da muss auch wieder eine Leinwand rein.

Klar, dass der Oscar-Preisträger auf Kino nicht verzichten will.

Ja, aber nicht als normales Kino, sondern als Filmkunsthaus, mit besonderen Filmen und für spezielle Ereignisse. Wiesbaden hat in der Kinobranche ein ganz schlechtes Image – das trägste Publikum Deutschlands! (lacht) Das muss man aber gleich relativieren: Das ist nicht die Schuld des Publikums, sondern die Schuld des Angebots. Es gibt viele Städte, auch kleinere als Wiesbaden, die ein anderes Angebot haben an Kinos und an Sälen, die dann auch ein ganz anderes Publikum mobilisieren. Die Leute können nun mal nicht in ein Kino gehen, das es nicht gibt. Da muss erst mal der Saal da sein und der Raum da sein, und der muss an sich attraktiv sein. Früher ging es um die Filme, heute geht es um den Ort. Die Leute gehen in ein Kino, wenn es für sie ein Erlebnis ist, dort hinzugehen.

Sie haben gesagt, „Damals haben wir das Caligari gerettet, nun retten wir das Walhalla“. Woher nehmen Sie die Zuversicht?

Ich bin sicher, dass die Wiesbadener Bevölkerung sich mobilisieren wird und sich das nicht gefallen lässt, wenn tatsächlich versucht wird, das Walhalla aufzugeben oder gar abzureißen. Aber wenn die Stadt an der Holding, der das Gebäude gehört, beteiligt ist, kann sie sich da nicht raushalten. Beim RheinMain Congress Center war ihnen nichts zu schade und nicht zu teuer, was ja auch eine gute Investition ist. Ich bin daran vorbeigefahren, es sieht ja gut aus. Aber dieses Denken muss auch für das Walhalla-Theater gelten.

4 responses to “Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff: „Walhalla-Wiederbelebung so wichtig wie eine neue Rheinbrücke“

  1. Lieber Volker Schlöndorff,
    schön dass Sie das Kind beim Namen nennen. Kultur und Begegnung gehören in die Mitte der Stadt.
    Die Politik wäre gut beraten dieses Kleinod zu revitalisieren und den morbiden Charme zu erhalten .

  2. Danke Volker Schlöndorff für dieses engagierte Plädoyer ! Dank auch an Dirk Fellinghauer-Sensor, dem es immer wieder gelingt klugen Köpfen eine Bühne zu geben und viele Initiativen ins Licht rückt. Wir wissen jetzt, dass an vielen Ecken Vieles passiert um die Stadt zukunftsfähig zu machen. So auch der Einsatz vieler Engaierter um Ihr Walhalla.
    Wer ist das denn eigentlich, der immer wieder Steine in den Weg legt ?

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