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Respektvoll durchboxen: Ein besonderer Wiesbadener Boxclub punktet auch mit sozialen Angeboten

Als „echter Wiesbadener“ Bub feiert Rashid El Bakri mit seinen jungen Schützlingen und seiner besonderen Idee viele Erfolge – sei es im Boxring, wie die vielen Pokale zeigen, oder auch abseits des Sports bei der vielfältigen Betreuung der Jugendlichen.

Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Kai Pelka.

Er ist ein total netter Typ, dieser Rachid El Bakri. 43 Jahre alt, nach eigener Aussage ein „echt Wiesbadener Bub“. Aber man glaubt ihm auch, dass er, wenn nötig, Autorität ausstrahlen kann – und damit so manche Situation zu entschärfen weiß. Beste Voraussetzungen, um einen besonderen Boxclub zu leiten. Wir haben ihn besucht.

El Bakri ist Inhaber des „Golden Boxing Gym“ in der Hellmundstraße. Gerade hat er sich in dem Westend-Hinterhof-Komplex – dort, wo eigentlich eine Kita entstehen sollte, was aber an der unglücklichen Verquickung von städtischen, geschäftlichen und privaten Interessen scheiterte – dieses neue Domizil eingerichtet. Und leitet dort nicht nur das Unternehmen Golden Boxing Gym, sondern auch den gleichnamigen gemeinnützigen Verein.

Zahlreiche Sandsäcke in unterschiedlichen Größen und Formen baumeln von der Decke herab, seitlich ist ein klassischer Boxring mit Seilen zu sehen. Über eine steile Treppe kommt man zum Fitnessbereich, wo die Geräteausstattung der eines herkömmlichen Fitnessstudios in nichts nachsteht. Viel Platz, alles in Schwarz gehalten, in einer Ecke zahlreiche Urkunden und Pokale: Hier wird ernsthaft Sport gemacht. Gerade vor wenigen Tagen gab es wieder eine Erfolgsmeldung: „Mei-Li Folk vom Golden Boxing Gym Wiesbaden wieder Deutsche Meisterin“. Derer Meldungen gibt es zahlreiche.

Erfahrung im Strafvollzug

Das Konzept El Bakris ist aber nicht nur das eines Boxclubs, wie man ihn vielleicht aus Filmen kennt. Hier findet Entwicklung sozialer Kompetenz, Erziehungsarbeit, Gewaltprävention statt. Die Idee kam dem Sportler nach seiner beruflichen Karriere im Justizvollzugsdienst, die er krankheitshalber vor einigen Jahren beenden musste. Selbst seit der Jugend im Leistungssport aktiv, wusste er um die positiven Effekte von Bewegung. Das sollte auch den Insassen der Vollzugsanstalten, in denen er arbeitete, zugutekommen. El Bakri entwickelte Konzepte und hatte Erfolge. „Man führt ein erstes Gespräch mit den Leuten und lernt, ihre spezielle Wellenlänge erstmal einzuschätzen“, erinnert er sich.

Die 15 Jahre Erfahrung mit Strafgefangenen hätten seine Menschenkenntnis stark erweitert. Er habe aber nicht nur den Insassen geholfen, mit Sport ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln, sich selbst besser einschätzen zu können und im Idealfall sich so zu verändern, dass sie als bessere Menschen entlassen werden konnten. Er zeigte auch seinen Kolleginnen und Kollegen, wie sie sich selbst verteidigen können, wie sie eine selbstbewusste Körpersprache entwickeln. Er habe das als große Bereicherung des Knast-Alltags erlebt, schildert er. „Man erlebt die ganze Bandbreite, vom Kleinkriminellen bis zum brutalen Mörder. Manche sind erst 14 und haben schon eine Gewalt-Geschichte hinter sich.“ Aber auch mit RAF-Leuten hat er gearbeitet.

Regeln, Zusammenhalt, Ablenkung

El Bakri ist überzeugt, dass man mit Sport viel erreichen kann. Und nicht nur auf die Weise, dass man sich beim Boxen abreagiert oder seine Muskeln furchteinflößend aufpumpt. „Es geht um das Einhalten von Regeln. Um Zusammenarbeit in einer Mannschaft. Um Ablenkung. Herausforderung. Erfolgserlebnisse. Sport hilft eigentlich bei allen Problemen, selbst bei Liebeskummer.“ Und so entschloss sich Rachid El Bakri, nach dem Ausstieg aus dem Justizdienst sein „Golden Boxing Gym“ zu eröffnen.

„Als zweites Zuhause für Kinder und Jugendliche“ – so die Idee, denn er wollte immer soziale Aspekte mit Sport verknüpfen. Es ist ein Verein, die Trainerinnen und Trainer arbeiten ehrenamtlich. Mit Vereinsbeiträgen und Spenden kommt man über die Runden. Hunderte Kinder trainieren bei El Bakri. Wartelisten gibt es jetzt nicht mehr, mit den neuen Räumlichkeiten in der Hellmundstraße ist mehr möglich. Und El Bakri bemüht sich um einen ganzheitlichen Ansatz. Er kenne alle, die bei ihm trainieren. Wer es benötigt, erhält Hausaufgabenhilfe und kann einfach da sein, gerade wird noch ein weiterer Raum zum Jugendtreff umgebaut. Man feiere Partys, schaue auch mal zusammen Filme an.

Sogar Yoga im Boxclub

Der Apfel fällt, oder boxt, nicht weit vom Stamm. Trainer Samir Koulali mit seinem Sohn.

Die Eltern hätten selbst sportliche Wünsche geäußert – El Bakri bot ihnen Erwachsenengruppen an. Sogar Yogakurse gibt es, und selbstverständlich auch einen Leistungsbereich – hessische, deutsche, internationale Meister und Meisterinnen kommen aus dem Golden Boxing Gym. Rachid El Bakri freut sich, dass seine Ideen erfolgreich sind. „Hier trainieren alle gemeinsam, egal wo sie herkommen.“ Dass er bei vielen Kindern Selbstbewusstsein wecken kann, hat er im Laufe der Jahre gemerkt: Die Ersten sind jetzt bereits Assistenztrainer im Verein, wachsen in neue Aufgaben hinein. Dabei ist er durchaus energisch mit den Kindern.

Manchmal seien die Eltern etwas erschrocken, dass im Training doch ein gewisser Ton herrsche, berichtet er. „Aber um Regeln einzuüben, muss das sein.“ Natürlich werde nicht gebrüllt oder Kraftausdrücke benutzt – aber Regeln bestimmt und Grenzen gesetzt. „Für viele ein echter Lerneffekt.“ Und das, weiß er, ist auch echte Gewaltprävention. Wer über das entsprechende Selbstbewusstsein verfügt, was sich schon in einer gewissen Körperhaltung ausdrückt, werde seltener zum Mobbing-Opfer und könne sich im Zweifelsfalle auch verteidigen.

Aggressionen abbauen statt auslösen

Dabei löse Boxen keinesfalls Aggressionen aus, sondern könne diese im Gegenteil kontrolliert abbauen. Sowieso sei das Training rundherum das Wichtigste, nicht der tatsächliche Boxkampf, der im Übrigen auch nach genauen Regeln abliefe:  Kondition, Körperbeherrschung, Beweglichkeit, Reaktionsschnelligkeit, Fairness, Regelbeherrschung sind mehr als die halbe Miete. Und hat man doch mal einen aggressiveren Kandidaten dabei, gibt es beim Golden Boxing Gym gezieltes Anti-Aggressionstraining.

El Bakri arbeitet mit vielen Schulen zusammen, hält Vorträge oder bietet sportliche Trainings an, auch im Gemeinschaftszentrum Wellritzhof. In den Osterferien hat er ein eigenes Ferienprogramm veranstaltet. Und er geht auf Wünsche ein: So gibt es eine Gruppe nur für weibliche Teilnehmer, „meistens wollen die dann aber irgendwann doch gemischt trainieren, aber sie sollen auf jeden Fall auch die Gelegenheit haben, unter sich bleiben zu können.“

Zweites Zuhause entsteht

Neu ist auch ein spezielles Angebot für autistische Kinder, nach dem große Nachfrage besteht.  Es wird auch mal Theater gespielt, es gibt einen Malkurs, „gerade wurde sogar ein Film bei uns gedreht, der beim Wiesbadener Exground-Festival einen Preis gewonnen hat: `Schlagfertig – Boxen als Wegweiser´, gefilmt von einer Studentin der Filmakademie Baden-Württemberg“, meint El Bakri.

Wenn erst einmal die Baustelle im Hinterhof fertig ist, dann wird hier ein vielseitiger Ort mit echter Aufenthaltsqualität entstanden sein, das „zweite Zuhause“, das Rachid El Bakri seinen Schützlingen anbieten möchte: Kinder und Jugendliche, Jungs und Mädels, Leistungssport-Aspiranten oder beeinträchtigte Menschen, allesamt willkommen in der Hellmundstraße 13.

www.golden-boxing.gym.com