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So wohnt Wiesbaden – Alleinerziehend, aber nicht alleingelassen: Die Mutter-Kind-WG

Von Nadine Kuhnigk. Fotos Samira Schulz.

Zehn Frauen und zwei Männer zwischen 18 und 32 Jahren nennen das große weiße Gebäude ihr Zuhause. Das jüngste Kind ist 8 Monate, das älteste 6 Jahre alt. Babyschreien, Kinderlachen und Tränen stehen hier wie in jedem Haushalt mit kleinen Kindern auf der Tagesordnung. Das Besondere: Hier wohnen ausschließlich alleinerziehende Mütter und Väter mit ihrem Nachwuchs. Und: Sie finden Unterstützung und Halt in einer für sie schwierigen Lebenssituation.

Zwanzig Prozent der Eltern in Deutschland sind alleinerziehend, Tendenz steigend.  Etwa 1,5 Millionen Frauen und 157.000 Männer ziehen ihre Kinder alleine groß. Gerade alleinerziehende Elternteile aus schwierigen Verhältnissen sind schnell überfordert. Nicht selten kommt es zu Inobhutnahmen seitens des Jugendamtes. Um dies zu vermeiden, kümmern sich verschiedene Institutionen um die jungen Mütter und Väter und ihre kleinen Kinder. Sie helfen ihnen dabei, gute Eltern zu sein und an sich und ihrem Leben zu arbeiten. Genau das ist auch die Aufgabe der „Wohngemeinschaft für Mutter und Kind“ in der Kapellenstraße.

„Alle Elternteile müssen volljährig und in der Lage sein, Grundkompetenzen auszuüben. Dazu gehört, den eigenen Haushalt zu führen und die Kinder in den Kindergarten zu bringen“, berichtet Kerstin Morawietz, die hier als Erzieherin arbeitet. Das jüngste Kind darf höchstens 6 Jahre alt sein. Danach muss eine neue Lösung gefunden werden. Bis dahin können die Alleinerziehenden auch längerfristig  in der Einrichtung leben. Fünf Sozialpädagogen, eine Erzieherin, eine Verwaltungsfachkraft, der Hausmeister sowie mehrere Ehrenamtliche sind hier tätig.

Auch die Eltern im Blick

Anders als vergleichbare Institutionen legt diese Einrichtung der Diakonie großen Wert darauf, auch direkt bei den Frauen anzusetzen und den Fokus nicht nur auf die Kinder zu legen. Leiterin Bettina Stadermann lebt seit Jahrzehnten selbst mit zwei Pflegekindern zusammen. Dabei sei ihr aufgefallen, dass sich in Problemsituationen vor allem um die Kinder gekümmert wird. Die Elternteile selbst bleiben auf der Strecke. Dabei müssten viele Kinder vielleicht gar nicht von ihren Eltern separiert werden, würde man sich früher mit diesen auseinandersetzen.

„Ich lebe seit über zwei Jahren mit meinem zweijährigen Sohn in der Wohngemeinschaft. Ich fühle mich angenommen und verstanden“, berichtet eine Mutter, 21 Jahre jung: „Als ich mit 18 schwanger wurde, wollte ich das Kind erst gar nicht bekommen. Doch jetzt bin ich froh und glücklich über meinen Sohn und kann auch dank der Unterstützung der Mitarbeiterinnen bald in eine eigene Wohnung ziehen“. In der WG, in der jeder Elternteil mit seinem Nachwuchs ein eigenes Reich – eine abgeschlossene 2-Zimmer-Wohnung mit Wohn/Schlafraum, Kinderzimmer, Küche, Bad und Abstellraum – hat, werden die Eltern aktiv und individuell betreut, etwa mit Beratung und Hilfe bei der Haushaltsführung oder dem Aufarbeiten der eigenen Lebenssituation. „Die Mütter stammen oft aus prekären Verhältnissen, sind stark verschuldet und haben kein stabiles soziales Umfeld“, erzählt Bettina Stadermann: „Daher ist es oft nötig, geregelte Pläne zur Schuldenbewältigung zu erstellen.“ Auch Traumabewältigung sei ein großes Thema oder darauf zu achten, dass die Alleinerziehenden nicht wieder in alte Muster verfallen.

Auf die Stärken konzentrieren

„Das Wichtigste ist aber, sich mit den Stärken der Frauen und Männer zu beschäftigen und nicht mit ihren Schwächen“, betont die Leiterin des Hauses: „Oft hören sie nur, was sie alles falsch machen. Dabei sollte man sich gerade darauf fokussieren, was sie bereits gut können und dann nebenbei an den Defiziten arbeiten.“ Die Arbeit sei sehr intensiv und natürlich auch mit traurigen Momenten verbunden. „ Ich erinnere mich noch genau, wie eine Mutter kurzfristig in die Psychiatrie eingewiesen und die Kinder in die Obhut einer Bereitschaftspflegefamilie gegeben werden mussten. Die Kids haben so schlimm geweint und geschrien. Das habe ich bis heute nicht vergessen“, berichtet Erzieherin Morabi. Motivierend seien vor allem die kleinen Momente und Erfolgsgeschichten: Eine junge Mutter holte ihren Hauptschulabschluss zum Beispiel mit dem Notendurchschnitt von 1,4 nach. Eine andere verlobte sich und ist nun glücklich verheiratet. „Alleine für solche Momente lohnt sich die Arbeit“, berichtet Stadermann.

Jede Woche werden verschiedene Aktivitäten, wie gemeinsames Kochen, angeboten, von denen sich die Elternteile mindestens zwei Angebote aussuchen müssen. Zwischen April und September wird monatlich ein Flohmarkt auf dem Mauritiusplatz veranstaltet, auf dem die Eltern gespendete Gegenstände verkaufen. Von dem Gewinn wird dann ein Ausflug finanziert.

Zum Glück gibt es den Förderverein

Geht es um Zusatzangebote für die Eltern und ihre Kinder, setzt der Förderverein der WG Mutter und Kind an. „Die Zusammenarbeit ist ein riesengroßes Geschenk für uns. Durch diese können wir den Eltern und Kindern viel mehr bieten“, schwärmt die Leiterin: „Zum Beispiel bekommen wir jetzt einen Babysitter gesponsert, durch den unsere Eltern auch ab und zu etwas Freizeit haben.“ Auch Nähstunden oder Klavierunterricht sind dem Förderverein zu verdanken. Besonder schön sei auch die Zusammenarbeit mit den „Kunstwerkern“ gewesen. Dieses Projekt wird im Februar ein zweites Mal stattfinden. Ab 11. April werden dann alle Kunstwerke in der Schwalbe 6 ausgestellt.

„Die Herausforderung liegt vor allem bei der Arbeit mit zwei Generationen: Den Eltern und den Kindern“, berichtet Moritz Baumgartner, Mitglied im Vereinsvorstand. „Auf wen sollen wir den Fokus legen? Was brauchen sie? Um diese Fragen gut zu lösen, stehen wir im direkten Kontakt mit der WG“, erzählt der 29-Jährige: „So erfahren wir direkt, wo Bedarf besteht und schauen, inwiefern sich dieser realisieren lässt.“ Vor Kurzen konnten sie sogar eine ehemalige Bewohnerin der WG als Mitglied gewinnen: „Durch diesen nahen Austausch bekommen wir ganz neue Denkanstöße.“ Der Verein finanziert sich vor allem durch die monatlichen Beiträge der Mitglieder, Spenden, aber auch Erbschaften. „Manchmal wünscht sich ein Mitglied zum Geburtstag, dass an uns gespendet wird. Ein anderes Mal hat ein Spender uns seinen relativ hohen Jahresbonus gespendet“, nennt Baumgartner Beispiele.

Der Vorstand der Mutter-Kind-WG

„Wir würden uns 2018 definitiv über mehr Mitglieder und neue Ideen freuen“, fügt Baumgartner hinzu. Auch die Leiterin des Hauses hofft auf weitere Unterstützung im neuen Jahr. „Vielleicht lassen sich Privatpersonen finden, die selbst Kurse oder Workshops ehrenamtlich anbieten. Ein Erste-Hilfe-Kurs oder Sportangebote, sowohl für die Mütter, als auch die Kinder, wären eine große Bereicherung für uns. Wir freuen uns über jedes Angebot – ob einmalig oder regelmäßig.“ Für die Zukunft wünscht sich die Leiterin beispielsweise die Möglichkeit, das Selbstbewusstsein der Frauen zu fördern, zum Beispiel durch Workshops oder Yoga-Kurse. „In der Vergangenheit konnten wir bereits ein Berufswege für Frauen-Coaching anbieten.“

Kontakt: Bettina Stadermann Telefon: 0611/51886, bettina.stadermann@dwwi.de

www.dwwi.de/de/24166-Wohngemeinschaft-fuer-Mutter-und-Kind