Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Arne Landwehr.
Claudia Gallikowski zuzuhören ist eine Inspiration. Man möchte sofort selbst losgärtnern, und sei es auch nur in einem kleinen Blumenkasten. Denn die Wiesbadener Biologin besitzt keinen manikürten Park mit Buchsskulpturen und Rollrasen, sondern einen echt naturnahen Garten, in dem sich Pflanzen und Tiere heimisch und wohl fühlen dürfen. Und das in der Stadt – im Komponistenviertel, das, zwar schon ziemlich im Grünen gelegen ist, doch ein ganz konventionelles Reihenhausgebiet ist.
Welcher hier der „naturnahe“ Garten ist, erschließt sich bei der Einfahrt in die Straße sofort: Üppig blüht es zwar auch in manch anderem Vorgarten, die Rosen haben Hochsaison. Bei Claudia Gallikowski aber, die mit ihrem Partner Ulrich Kaiser – beide in Diensten des Umweltministeriums, er mit „Repräsentanz“-Arbeitsplatz als Kurator Naturwissenschaft im Museum Wiesbaden – das Haus bewohnt, sorgt vorwiegend der Klatschmohn für leuchtendes Rot. Dazwischen gibt es weitere Stauden, die von zahllosen Hummeln umschwirrt werden. Rosen hat die Hausherrin aber auch angepflanzt.
Mit dem E-Smart über die Pflanzen – kein Problem
Das Mülltonnenquartett beispielsweise kann sich im Schatten zweier Ramblerrosen verstecken, von denen eine den schönen Namen „Taunusblümchen“ trägt. Ein maßgefertigter Rosenbogen, an dem die Kletterrose „Hermann Schmidt“ in Violett emporrankt, markiert den Eingang. Dass hier auch ein Auto – ein E-Smart – ab und zu die Garage verlässt, ist kaum zu glauben: „Ich fahre über die Pflanzen, die richten sich dann wieder auf“, versichert Claudia Gallikowski glaubhaft.
Die beiden tatkräftigen Hausbewohner, die hier erst einige Jahre leben, haben die Betonplatten im Vorgarten entfernt und durch historisches Kopfsteinpflaster ersetzt – eigenhändig. Und wenn man den eigentlichen Garten hinter dem Haus betritt, sieht man noch mehr in eigener Handarbeit geschaffene Attraktionen: Teich, Trockenmauer, Dachbegrünungen, Zisternen: Das muss doch einen riesigen Arbeitsaufwand bedeuten?
Arbeit? Nein, Energie! Und pure Freude
„Überhaupt nicht“, sagt Claudia Gallikowski. „Ich stecke da keine Arbeit rein, ich nenne es eher Energie – und es ist für mich die pure Freude.“ Jedes Pflänzchen kennt die Biologin mit Namen – deutsch und lateinisch – die meisten lässt sie wachsen, wo sie sich ansiedeln. Auch gekaufte Stauden sind dabei, und Obstbäume – schließlich ist Ulrich Kaiser Vorsitzender des Vereins „Streuobstroute im Nassauer Land“. Doch auch hier geht es nicht um Perfektion. Ein abgestorbener Pfirsichbaum reckt kahle Äste in den Himmel, doch er darf bleiben.
Totholz wichtig für Insekten
„Totholz ist etwas ganz Wichtiges für Insekten“, sagt Claudia Gallikowski. „Sie brauchen überhaupt keine Insektenhotels zu kaufen.“ Ein Haufen Äste oder der Stumpf eines abgestorbenen Baumes sind ideal für Insekten. „Schauen Sie, die Erdhummel“, macht die Haus – oder besser Gartenherrin auf das Heim eines der vielen kleinen Brummer aufmerksam, die den Garten bevölkern. Für Insekten ist es ein Paradies, da hier auch völlig auf chemische Pflanzenschutzmittel oder Dünger verzichtet wird. Die Natur darf hier einfach sein.
Auch, was sich im Garten selbst einsät, bekommt eine Chance. Nur die so genannten „Neophyten“, also Pflanzen, die hier nicht heimisch sind, müssen in den meisten Fällen weichen. Zum Beispiel Goldrute oder Springkraut, die sonst schnell anderes verdrängen, aber auch die bei so vielen Gartenbesitzern beliebten, „pflegeleichten“ Kirschlorbeer oder Thujahecken. Die fand das Paar auch reichlich bei seinem Einzug vor einigen Jahren vor und hat sie professionell entfernen lassen.
Unterschiedliche Ansichten, friedliches Miteinander
Die Nachbarn haben diese Pflanzen immer noch – und nicht alle teilen die Vorliebe des Biologenpaares für einen anderen Gartenstil. Aber generell sei es ein friedliches Miteinander, freut sich die Gartenbesitzerin, die von ihrer erhöhten Terrasse aus einen Logenplatz für Naturbeobachtungen hat. Da sieht sie in warmen Sommernächten auch mal Glühwürmchen. Und hat über 50 Vogelarten gezählt – vom Rotkehlchen bis zum Uhu. Gefüttert werden die Vögel hier übrigens ganzjährig. Und Claudia Gallikowski notiert sich alle Beobachtungen, schreibt sich auf, was hier gut wächst und welchen Tieren es gefällt. Ulli Kaiser postet die schönsten Blüten bei Facebook (ulli.kaiser.9). „Fertig ist der Garten also noch lange nicht und wird es wohl auch nie werden, denn ein naturnaher Garten ändert sich ja im Laufe der Zeit von alleine: Arten kommen dazu und andere verschwinden und das ist auch in Ordnung so, denn Leben ist ja Veränderung“, meint die Gärtnerin aus dem Komponistenviertel.