Direkt zum Inhalt wechseln
|

So wohnt Wiesbaden – im Rheingau: Evi Niessner & Mr. Leu in ihrem Fachwerk voller Musik und Kunst

Von Marta Moneva. Fotos Samira Schulz.

Wo wohnt das Wiesbadener Cabaret? Nicht direkt in, aber bei Wiesbaden, nämlich in Kiedrich. Hier lebt die gebürtige Wiesbadener Cabaret-Künstlerin und Sängerin Evi Niessner mit ihrer Familie, zu der Mann Rainer Leupold (aka Mr. Leu), Sohn Benjamin und Hund Fritz gehören.

An einem sonnigen Wintertag besuchen wir sie, es ist gerade etwas Zeit zwischen ihren grandiosen Shows „Let‘s Burlesque!“ und „Glanz auf dem Vulkan“, aktuell gespielt in Frankfurter Hof in Mainz respektive im Staatstheater Darmstadt. Man hatte für 2020 eine komplette Tournee mit „Glanz auf den Vulkan“ absagen müssen, die man noch bis 2023 nachholen muss, unzählige Terminverschiebungen lagen dazwischen. Es war eine lange Durststrecke. Wie gut, dass wenigstens das Zuhause stimmte.

Malerisches Dorf zwischen Weinbergen

Ja, schöner kann man kaum wohnen, stellt man auf dem Weg nach Kiedrich fest. Das Dorf liegt malerisch zwischen den Weinbergen am Rhein. Die wunderbar erhaltene Architektur aus den letzten Jahrhunderten verleitet oft auch Wiesbadener:innen zu Spaziergängen und Weinproben. Viele der Fachwerkhäuser sind mit Wein und Efeu bewachsen, geradezu idyllisch sieht es aus. Kiedrich habe auch musikalisch viel zu bieten, fügt Mr. Leu, abseits der Bühne von allen kurz Leu, genannt hinzu. Er selbst ist in Walluf aufgewachsen und kennt die Gegend seit seiner Kindheit. „Ein schönes Fleckchen Erde“, wohin man nach sechzehn Jahren in Berlin gezogen ist, und für Tourneen sowieso viel zentraler.

1876 erbautes Haus

Das Haus bewohnt die Familie seit 2018, gebaut wurde es schon 1876. Es ist über einen gepflasterten Innenhof zu erreichen, wie üblich in dieser Gegend. Weiter geht durch ein dunkelrot gestrichenes Foyer, wo mich auch der junge wilde Familienhund Fritz recht herzlich empfängt. Nach der stürmischen Begrüßung habe ich Gelegenheit, mich umzuschauen. Außer Garderobe, Kommode und zwei kunstvollen Jugendstil-Stühlen hängen hier wunderschöne bunte Bühnenkostüme auf einer Stange, bereit zum Transport.

Maschinenscheue Pailletten-Tangas

Auf einem kleinen Foto an der Wand sieht man eine Braut mit Kontrabass, das ist Evis Mutter auf ihrer Hochzeit. Sie sei als Mädchen die einzige Kontrabassistin gewesen, ihr Instrument ist inzwischen in die Produktion der „M&G Showcompany“ übergegangen und liegt, bereit für die nächste Show, in einer Kiste mit dem Firmenlogo in dem Lagerraum. Dort sind auch die anderen Instrumente, Lichtequipment und unzählige Kostümen aufbewahrt. Hier, in den rauen Lagerräumlichkeiten, schläft die Show. Der Weg führt durch den Waschraum, wo rote handgewaschene Pailletten-Tangas von den Kostümen trocknen. Pailletten vertragen keine Waschmaschine, so Niessner.

Geräumiges Fachwerk

Das Besondere am Haus: Es handelt es sich um eine Mischung aus Fachwerk und relativ hohen Räumen. Tatsächlich ist das Innere sehr hell, viele Räume sind auch recht groß, wobei letzteres der Vorbesitzerin zu verdanken ist, die manche Raumschnitte schon verändert hatte. Von der ursprünglichen Nutzung ist absolut nichts zu spüren. So klingen die Berichte von einer früheren Metzgerei fast wie eine Legende, wenn man in der eleganten Küche sitzt, wo früher der Verkaufsraum war. „Beim Einzug mussten wir nicht viel renovieren,“ erzählt Leu beim Kaffee.

Wie man das Haus überhaupt gefunden hat? Die Wahlberliner Leu und Evi hatten es nach einer längeren Wohnungssuche in Wiesbaden eigentlich aufgegeben – als selbständige Künstler, mit Hund, Kind und Klavier war das aussichtslos – als zunächst plötzlich eine perfekte Wohnung in Erbach im Weingut Jakob Jung frei wurde. Hier wurden sie ohne Wenn und Aber herzlich aufgenommen.

Heimlich nach Haus gesucht

Ein eigenes Haus mit viel Raum für Musik und Kunst war dennoch weiter ein Traum. Heimlich habe man getrennt voneinander weiter gestöbert und sei parallel 2018 auf das Inserat aufmerksam geworden. Es kam dann zu der glücklichen Fügung, so sind sie seit vier Jahren glücklich in dem Haus.

Im Erdgeschoss gibt es neben der Wohnküche noch ein Musikzimmer, wo das Klavier und das Schlagzeug von Sohn Benjamin steht. In einer Musiker- und Produzentenfamilie aufwachsend, ist der 15-Jährige bereits in die Shows involviert, aber er spielt auch in eigenen Projekten, wie seine Rockband der Rheingauschule in Geisenheim. Leu ist durch sein musikalisches Zuhause auf Musik gekommen. Evi hat zu Hause in Wiesbaden viel Bruckner, aber auch Jazz und Rock’n’Roll-Platten ihres Onkels gehört. Sängerin wollte sie schon immer werden und hat am Wiesbadener Konservatorium eine klassische Gesangsausbildung absolviert.

Gelesen wird gern in dem Haus. In der Küche liegt ein Band mit japanischen Gedichten von Toyotama Tsuno, die Leu gerade liest. Im zweiten Stock, wo Evis Arbeitszimmer und die Schlafräume sind, schweben einige Bändchen auf einem Fachwerksbalken – Tolstois „Auferstehung“, Cocteaus „Kinder der Nacht“, Lenotres „Wenn Steine reden“, Klabunds „Piotr“ und einige weitere Bändchen von „Insel“, links und rechts gestützt von Holzbuchstützen in Dackelform. Die Räume sind schön eklektisch eingerichtet. Viele Teile der Einrichtung sind einfach Geschenke von Freunden, erzählt Evi.

Weltberühmte Nachbarn

Freunde habe man auch hier schnell gefunden, drei Häuser weiter oben wohnen der weltberühmte Countertenor Andreas Scholl und seine Frau, die Pianistin und Cembalistin Tamar Halperin. Während der Pandemie habe man endlich Zeit gehabt, sich in Ruhe zu treffen, aber auch das perfekt eingerichtete Tonstudio „Friendship 7“ von Andreas Scholl zu nutzen. Zu ihrem Bühnenjubiläum haben Evi und Leu ein Album unter der besten Tonbedingungen aufgenommen, „Valentine‘s Night“ sei auch eine Hommage an den Heiligen Valentin, dessen Gebeine in Kiedrich ruhen.

Offensichtlich ist Kiedrich ein Ort zum Glücklichsein für die Künstlerfamilie, aber man habe noch einen Koffer in Berlin (wo auch ein Großteil des Ensembles lebt).