Von Alica Bergmann. Fotos Nele Prinz.
„Schätzken, hamm wa nochn Stuhl über?“ ruft Nils mit gespieltem Berliner Akzent durch die Küche, während er, der ohne Frühstück nicht sein kann, eine Avocado schneidet und auf dem Herd Eier kochen. Dann quetscht sich Max, der nie frühstückt, mit einem Klavierhocker bemannt in den schmalen Raum. Es klingelt, und Llewellyn steht mit ihrem Rennrad im 2. Stock vor der Wohnungstür. Gemeinsames Frühstück um 12 Uhr mittags in der WG der Schauspieler, die derzeit auf der Theaterbühne … eine WG spielen. Wir besuchen das so entspannte wie herzliche und bestens gelaunte Trio einen Tag vor der Premiere von „Auerhaus“ in der Wartburg. Das Textbuch mit angemarkerten Passagen liegt noch auf dem Küchentisch.
Vor zwei Jahren zog Nils Strunk in die Wiesbadener Innenstadt und arbeitet hier als Schauspieler am hessischen Staatstheater. Er kommt aus Lübeck und lebte acht Jahre in Berlin, wo er die Ernst-Busch-Schauspielschule besuchte und das WG-Leben lieben lernte. Als er vor etwa einem Jahr erfährt, dass ein neuer Schauspieler, der „saucool sein soll“, vom Wiesbadener Theater engagiert wird, besorgt er sich ohne zu Zögern seine Handynummer. In seiner WG in der Neugasse waren gerade Zimmer frei, und er hat gute Erfahrungen mit dem Zusammenleben mit Kollegen gemacht.
Unbekannter Anrufer, künftiger Mitbewohner
Daraufhin bekommt Max Pulst, genau wie Nils Jahrgang 1990, einen Anruf von einer unbekannten Nummer: „Ja hi Max, hier ist Nils aus Wiesbaden. Ich wollte dich mal kennenlernen“, meldet sich jemand am anderen Ende. Max, der aus Halle/Saale stammt und an der Folkwang Universität der Künste in Essen Schauspiel studierte, zieht daraufhin erst mal probeweise zu Nils in die WG. Doch wie die beiden Freunde Höppner und Frieder, die sie in „Auerhaus“ so intensiv und berührend spielen, geben sie sich auch im echten Leben schnell das Ja-Wort zum Zusammenleben.
Seit der Spielzeit 2016 hat auch Llewellyn Reichmann ein Engagement am hessischen Staatstheater Wiesbaden. Sie wurde vor 23 Jahren in Berlin geboren, ist dort aufgewachsen und hat ebenfalls an der Ernst-Busch Schauspiel studiert. Als die drei anfangen, gemeinsam für „Auerhaus“ zu proben, verbringen sie viel Zeit miteinander, auch nach den Proben und Llewellyn zieht übergangsweise in das freie Zimmer bei den Jungs. Doch fest in die WG einziehen finden alle nicht gut, da sie nicht Tag und Nacht Arbeit und Freizeit vermischen wollen und können, wie es beim Schauspielern gezwungener Maßen der Fall ist.
„Man kann sich in diesem Job schnell ablaufen“, überlegt Nils. „Aber in Wiesbaden ist das Theater immer noch das Kulturhaus der Stadt. Es gibt viel zu spielen, und man ist positiv abgearbeitet am Ende des Tages.“ Und trotzdem hat er noch Energie für mehr. Die Gitarre steht nicht zur Deko in seinem Zimmer, in dem sich auch obligatorische Reclam-Heftchen stapeln. Der Schauspieler ist auch als Musiker aktiv und gestaltet eigene Programme ganz unterschiedlichsten Formats. Llewellyn ist, auch wenn sie nicht wirklich hier wohnt, als Dauergast fester Bestandteil der WG. So sitzen die drei in der kleinen Küche beieinander und bewundern den ausgedienten Adventskranz mit Kürbis-Deko auf dem Balkon, der von einer goldenen Lametta-Girlande umrahmt wird.
Weinbau-Studentin aus New York macht WG komplett
Max gesteht ganz offen, dass sie alle nicht so viel Wert auf die Einrichtung legen. Aber wohnlich ist es trotzdem. Man spürt direkt, dass die Küche immer der lebendige Mittelpunkt der Wohnung ist. Hier wird zusammen gekocht, Texte geübt und das ein oder andere getrunken. In einer Ecke reiht sich eine beeindruckende Batterie ausgetrunkener Flaschen wirklich unterschiedlichster Art. Nullprozentiges, Mittelprozentiges, Hochprozentiges. Wein gehört zu den bevorzugten WG-Getränken gehört: Das dritte Zimmer bewohnt mittlerweile die New Yorkerin Diandra, die nach Wiesbaden gekommen ist um in Geisenheim Weinbau zu studieren.
In „Auerhaus“ beschließen sechs 18-jährige Außenseiter-Charaktere, zusammen in einem Haus zu leben. Llewellyn, Max und Nils besetzen im Theaterstück nach dem Erfolgsroman von Bov Bjerg zu dritt alle Rollen. In der Premierenkritik beschreibt die Frankfurter Rundschau ein Stück, das aus „Gequatsche“ bestehe … „Aber so feine, prägnante und auch lässige Dialoge würde man zum Beispiel im „Tatort“ gern durchweg hören.“ Der Zuschauer spürt, dass sich die Lebensrealität der drei auch auf die Stückrealität auswirkt und andersrum. Gerade deshalb seien sie sehr froh, dass sie im echten Leben auch so gut befreundet sind. Sie wissen, dass sie sich lieben, aber trotzdem auch zanken können. Das habe ihnen enorm geholfen, da man sich bei den Proben des sehr emotionalen Stücks „echt nackig machen muss“, wie Nils sagt. Durch ihre Freundschaft schaffen sie es, den schweren Stoff – „nach einer Durchlaufprobe waren wir schon richtig fertig“ – mit einer gewissen Naivität und Ernsthaftigkeit zugleich zu spielen.
Wahrscheinlich ist ihre Performance auch deshalb so gut, weil sie alle ihren Job einfach lieben, in dem sie fünfmal pro Woche Applaus für ihre Arbeit bekommen. Wo es sie nach dem Zwei-Jahres-Vertrag in Wiesbaden hin verschlägt, wissen sie zwar noch nicht. Max erklärt aber, dass genau das der spannende Punkt am Schauspielern: ständig neue Menschen, neue Städte und neue Sitten kennenzulernen. Unisono singen sie überschwängliche Loblieder auf Wiesbaden als einer Stadt, die es ihnen wirklich angetan hat und in die sie immer wieder zurückkehren möchten. Wenn sie hier etwas wirklich stört, dann höchstens die nervtötenden Straßenmusiker vor der Tür.
„Auerhaus“ läuft in der Wartburg am 3., 18. und 26. Februar sowie am 10. und 26. März. www.staatstheater-wiesbaden.de