Der vielleicht brisanteste Abend im Rahmen des bemerkenswerten einwöchigen Festivals „Gegen den Rest der Welt – Frauenpositionen jenseits des herrschenden Maßes“ findet am Mittwoch, 4. November, im Walhalla statt. Es wird auf jeden Fall der Abend mit höchster Aktualität so kurz nach den Wahlen in der Türkei und inmitten der aktuellen Flüchtlingsdiskussion. Die Berliner Menschenrechtlerin, Autorin und Anwältin Seyran Ateş – gläubige Muslimin, unermüdliche Frauenrechtlerin und entschlossene Kämpferin unter anderem gegen Kopftuch, Zwangsheirat und Ehrenmorde – wird bei dem spannenden Abend mit dem Schwerpunktthema Islam im Walhalla-Spiegelsaal erwartet. „Meines Erachtens können wir gegen Hassprediger nur ankommen, wenn wir ausreichend Liebe predigen“, ist eine Aussage der Frau, die von einer „freien progressiven Moschee“ träumt als Alternative zu „konservativen, teilweise verkrusteten Moschee-Gemeinden“. Vor dem Publikumsgespräch mit Seyran Ateş werden zwei Filme gezeigt.
Ein Hybrid aus Dokumentation und Inszenierung ist der von der FAZ als „Komödie der Emanzipation“ bezeichnete Film “Offside” von Regisseur Jafar Panahi (“Taxi Teheran”), der im “Empört euch!”-Akt des Festivals am Mittwoch, 4. November, um 18 Uhr im Bambi-Kino läuft. Um 19.30 Uhr folgt im Spiegelsaal “Im Bazar der Geschlechter” um 19.30 Uhr, gefolgt von einem Gespräch mit Seyran Ateş um 21 Uhr.
Unter anderen spricht die Deutsche kurdisch-türkischer Herkunft über ihr Buch „Wahlheimat – Warum ich Deutschland lieben möchte“ das aktuell politisch debattiert wird. Aus ihrer Biographie begründet, hat Seyran Ateş angefangen,sich für andere Frauen und Mädchen einzusetzen, die ähnliche Unterdrückung erlebt haben. Geboren 1963 in Istanbul, ist sie im Alter von 6 Jahren als Kind von Gastarbeitern nach Berlin gekommen. Das Aufwachsen in einer sehr traditionellen Großfamilie hat sie politisch geprägt. „Insbesondere hat es dazu beigetragen, dass ich sehr früh angefangen habe, gegen die Ungleichbehandlung der Geschlechter zu kämpfen“, sagt sie selbst: „Mit 17 Jahren bin ich von zuhause abgehauen, um selbstbestimmt leben zu können und habe in dieser Zeit meine erste Autobiographie geschrieben (Wo gehören wir hin? 1983 LAMUV-Verlag).“
Attentat konnte Seyran Ateş nur vorübergehend stoppen
Ab 1983 arbeitete Seyran Ateş in Berlin neben ihrem Studium der Rechtswissenschaften in einer Beratungsstelle für Frauen aus der Türkei, in dem sie im Jahre 1984 Opfer eines politischen Anschlags wurde: „Ich wurde durch eine Kugel in den Hals lebensgefährlich verletzt. Die Folgen des Attentats haben dazu geführt, dass ich mein Studium unterbrechen musste“, berichtet sie in ihrer ausführlichen Selbstbeschreibung auf ihrer Homepage. 1990 konnte sie ihr Studium wieder aufnehmen und 1997 als Rechtsanwältin ihr Arbeit beginnen. Im Jahre 2006 hat Seyran Ateş ihre Anwaltskanzlei geschlossen, weil sie immer wieder Morddrohungen bekam: „Diesmal musste ich nicht nur um mein eigenes Leben fürchten, sondern auch um das meiner 2 Jährigen Tochter, die 2004 geboren wurde.“ Seit 2012 ist sie wieder als Anwältin tätig, außerdem als Autorin, Aktivistin und Vortragsreisende gegen religiösen Fanatismus, Hass und Gewalt.
Über ihre schwierige Rolle zwischen den Welten sagt sie: „Ich bin gläubige Muslimin. Dies irritiert viele Menschen, sowohl Atheisten, Christen und Juden als auch Muslime. Die einen sind der Ansicht, dass ich mich vom Islam verabschieden müsste, weil er frauenfeindlich sei, die anderen meinen, dass ich keine Muslimin sein kann, wenn ich nicht so bin wie sie selbst.“ Für ihr Engagement hat Seyran Ateş zahlreiche Auszeichnungen erhalten, 2014 bekam sie den Bundesverdienstorden 1. Klasse, überreicht durch den Bundespräsidenten Gauck persönlich. (dif)
http://seyranates.de, www.walhalla-studio.de