VonJan-Markus Dieckmann. Fotos Kai Pelka, Sammlung Bernd Richefort.
Heute vor fünfzig Jahren wurde das legendäre Café Orient abgerissen. Der Traum von 1001 Nacht lag in Trümmern. Und ist für den letzten Nachfahren der Besitzer doch bis heute nicht ausgeträumt.
Es war die Attraktion der Hautevolee in der Weltkurstadt im Jahr 1900: Ein Hauch von Exotik wehte von nun an unter den Eichen. Aufwändige Kassettendecken im Stile der Alhambra, kostbare Teppiche zwischen bunten Säulen, edelste Hölzer wohin das Auge blickte, gezackte Arkaden aus Hufeisenbögen, kostbare Möbel mit Permuteinlagen – Beschreibungen können den verschwenderischen Luxus des neu eröffneten Café Orient kaum wiedergeben. Diesen Traum aus 1001 Nacht konnte der Erbauer Alfred Georgi, ein ehemaliger kaiserlicher Hofkoch, kaum zwei Jahre halten. Das nötige Geld hatte er sich mit seinem Ruf als „Dreikaiserkoch“ leicht beschaffen können. Selbst die Kaiserin soll das Silberbesteck gestiftet haben, wie ein 81-jähriger ehemaliger Besitzer es 1950 der Allgemeinen Zeitung noch zu berichten wusste. Doch die Last der Schulden wurde für Georgi zu hoch. 1914 starb er verarmt in der Drudenstraße.
Bernd Richeforts Augen leuchten, wenn er von der vergangenen Herrlichkeit erzählt. Als einziger noch lebender Enkel eines ehemaligen Pächters und späteren Besitzers bewahrt er das Andenken an diesen Teil der Stadtgeschichte und arbeitet auch an einem Buch. Zum Zeitpunkt des Abrisses war er 15 Jahre alt – ein Alter, in dem man sich eher für andere Dinge interessiert. Das änderte sich 2001 schlagartig, als er im Nachlass seiner Mutter alte Schätze aus dem Café entdeckte. Der Forschergeist war geweckt, seitdem sucht er unermüdlich nach Devotionalien, Geschichten, Privatfotos und Originalausstattungen. 2014 ist für ihn ein mehrfach besonderes Jahr: 1914 übernahm sein Großvater Georges, ein Hotelfachmann aus dem Elsass, das Haus und führte es bis zur Weltwirtschaftkrise 1929. Der Abriss erfolgte vor 50 Jahren, am 16. April 1964. Zusammen mit dem Todestag Georgis feiert das Café Orient also ein Dreifachjubiläum.
Eigentlich war eine eigene Ausstellung des Stadtmuseums geplant. Doch dessen Realisierung steht ja bekannter Maßen in den Sternen. Sogar ein Modell im Maßstab 1:25 ließ Richefort nach den originalen Bauplänen anfertigen – und bezahlte dafür bisher 15000 Euro komplett aus eigener Tasche. Was wird nun aus der Sammlung und dem Modell? „Ich hatte schon jemanden mit den nötigen Mitteln an der Hand und fragte, ob man nicht wieder ein Café Orient aufmachen könnte“, verrät der selbstständige Fensterputzer. Schnell war ein Architekt gefunden, der sich auf historische Raumgestaltung verstand, eine attraktive Lokalität ebenfalls. Jedoch hatte dort ein Bekleidungsgeschäft kurz zuvor den Zuschlag erhalten. Aber Richefort lässt sich nicht entmutigen: „Der Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden hat sich auch als Goldesel entpuppt. Wenn so etwas wie das Café Orient wieder stehen würde, wäre das ein Besuchermagnet, der bestimmt einen ähnlichen Effekt hätte.“
Immer wieder finden Originalausstattungen ihren Weg zu Richefort – zum Teil auf abenteuerlichen Wegen: „Eines Tages klingelte das Telefon. Ein ehemaliger Lehrer sagte, er hätte farbiges Bleiglas, ganze vier Stück. Ich bin gleich vorbeigefahren – so etwas Schönes! In einer Nacht- und Nebelaktion hatte er es von der Abrissbaustelle geholt und in seinem Partykeller als Beleuchtung angebracht.“ Eine der Turmspitzen wurde auf einem Balkon in der unmittelbaren Nachbarschaft des ehemaligen Geländes gesichtet, eine weitere im Garten. Beherzt klingelte er bei der älteren Dame, die er schließlich überzeugen konnte, ihm die farbenfrohen Zinkspitzen für die Sammlung zu überlassen, ebenso wie eine ganze Bilderserie, die den Abriss dokumentiert.
Ab dem 16. April 1964 rückten die Bagger dem einstigen Glanzstück orientalisierender Architektur im maurischen Stil zu Leibe. Eine Immobilienfirma hatte sich bereit erklärt, den Abriss zu finanzieren und das heutige achtgeschossige Wohnhaus zu errichten – ein Angebot, das die Stadt Wiesbaden dankbar annahm. Zu kostspielig erschien der Unterhalt einer in die Jahre gekommenen Extravaganz und der Zeitgeist scherte sich nicht um alte Pracht – heute unvorstellbar. Wird es eine Auferstehung geben? Man wird sehen – und in der Zwischenzeit auf eine Ausstellung von Richeforts Sammlung hoffen.
Bernd Richefort sucht für eine künftige Ausstellung weiterhin Exponate ebenso wie persönliche Geschichten und Fotos. Kontaktmöglichkeiten und Informationen zum Café Orient unter www.cafe-orient.com und unter den Telefonnummern 0611/400119 und 0175/2065114
HEUTE um 19.30 Uhr hält Bernd Richefort zusammen mit Thomas Wittich im Schaufenster Stadtmuseum, Ellenbogengasse 3-7, einen Vortrag mit Postkarten und Fotos vom Café Orient.