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Vision für Wiesbaden – Kreishandwerksmeister Siegfried Huhle: „Werkunterricht als Pflichtfach an allen Schulen“

Siegfried Huhle macht sich Sorgen um den Handwerkernachwuchs. Und hat eine Vision: Werkunterricht als Pflichtfach – an allen Wiesbadener Schulen, in allen Klassen. Aber was hat das mit Straßenfußball zu tun? Lest es in seiner „Vision für Wiesbaden“.

 „Wir Handwerker sind stolz auf unsere Leistungen. Erfolgreiche Arbeiten machen uns glücklich. Warum gelingt es nur schwer, unsere Jugend für das Handwerk zu begeistern? Uns geht es vielleicht wie den Fußballern: Die Basis fehlt. Ratlosigkeit über das frühe Ausscheiden der Männer und Frauen bei Meisterschaften. Das Problem ist: Die Basis fehlt – der Straßenfußball. Macht die Straßen frei für Kinder! Genauso ist es mit dem Handwerk. Die Basis fehlt – der Werkunterricht in den Schulen. Gönnt den Kindern den praktischen Werkunterricht mit den Händen, den Augen und dem Kopf.

Die Gesellschaft braucht das Handwerk mit seinen Entwicklungen, Leistungen und Erfindungen. Das Handwerk ist ein stabiler zuverlässiger Ausbilder mit guten Handwerksgesellen und –meistern. Wir sind uns unserer Leistungen bewusst und klar in unseren Aussagen: Ich fordere 2 Stunden Werkunterricht als Pflichtfach an allen Wiesbadener Schulen, in allen Klassen.

Es gibt leider nur noch wenige Wiesbadener Schulen, an denen Werkunterricht stattfindet. Von allen Gesprächspartnern erhalte ich Zustimmung, wenn ich dies anprangere. Warum findet Werkunterricht trotzdem nur noch an wenigen Wiesbadener Schulen statt? Es sind immer wieder unterschiedliche Gründe: Meist fehlt es an Lehrkräften. Diese haben vielleicht keine Maschinenscheine, wollen für die Sicherheit der Kinder keine Verantwortung übernehmen. Man könnte sich ja verletzen.

Hände können mehr als nur Tastaturen tippen

In den meisten Familien findet eine handwerkliche Betätigung nicht mehr statt. Die Wohnungen werden nicht mehr tapeziert, Fußböden nicht verlegt, im Garten wird nicht mehr gearbeitet. Lieber lassen wir uns da eine Steinwüste anlegen. Die Kinder können nicht mehr „auf die Gass‘“, sie müssen ständig erreichbar sein und überwacht werden. Welche Abwechslung kann ein Werkunterricht, genauso wie ein Sport- oder Musikunterricht, in den Schulen bieten?

Kinder können Erfolge haben und sind vielleicht begeistert von ihren Leistungen. Sie erleben plötzlich, dass ihre Hände auch noch für ein Gestalten Fähigkeiten haben, anstatt nur Tastaturen zu tippen. Lasst den Kindern doch die Erfahrung mit Scheren, Sägen, Hammer, etc. Kleben, Löten, Nähen, Kochen – all diese Fähigkeiten gehen unseren Kindern verloren.

Prägende Erfolgserlebnisse, etwas selbst zu schaffen

Schade, dass wir unseren Kindern nicht mehr den Werkunterricht und diese Erfahrungen gönnen. Die Begeisterung dafür, etwas selbst zu schaffen, zu erreichen, Erfolge zu haben – das wünsche ich unseren Kindern an allen Wiesbadener Schulen. Vielleicht findet ja dann auch eine Berufsorientierung tatsächlich an den Schulen statt. Dies kann natürlich auch eine Orientierung zum Studium sein. Aber auch für das Handwerk oder für die Industrie.

Jemand, der den Spaß erfahren hat, handwerklich zu arbeiten, erinnert sich vielleicht daran und entscheidet sich beim anstehenden Schulpraktikum für einen Handwerksbetrieb. Ich mache mit allen 7. Klassen der Wilhelm-Heinrich-von-Riehlschule Betriebserkundungen. Sie kommen zu uns in die Firma und informieren sich über das Metallbauer-Handwerk. Was macht ein Metallbauer? Wie werden Geländer, Stahlkonstruktionen oder Dächer konstruiert, gebaut und montiert? Ich mache dabei seit zehn Jahren die Erfahrung, dass die Kinder total begeistert sind. Auch die begleitenden Lehrer bestätigen oftmals, dass dies das erste Mal sei, dass sie in einem Betrieb beziehungsweise in einer Werkstatt waren. Sie haben es selbst noch nicht gesehen, wie Stahl verarbeitet wird.

Schülern die Chance geben, Dinge auszuprobieren

Diese Erfahrungen wünsche ich den Schülern in der 7. Klasse, bevor sie sich für ein Betriebspraktikum entscheiden. Sie müssen wissen, was ihnen liegt, woran sie Interesse haben und was sie gerne selbst mal ausprobieren möchten. Und wenn dies erfolgreich war, haben sie vielleicht auch nach der 10. Klasse oder nach dem Abitur den Wunsch, handwerklich zu arbeiten. Dort Karriere zu machen. Viele unserer Auszubildenden entscheiden sich nach der Ausbildung für ein Studium oder für eine Weiterbildung, machen die Meisterprüfung oder erfolgreiche andere Qualifikationen. Beim technischen Studium haben sie den großen Vorteil gegenüber den anderen Studenten, dass sie praktische Erfahrungen gemacht haben und wissen, was sie studieren. Diese Ingenieure werden Praktiker, nicht nur Theoretiker und wissen, was sie tun.

Ich kann nur immer wieder von mir selbst berichten, dass mich meine handwerkliche Tätigkeit immer glücklich gemacht hat, und ich gehe heute stolz durch Wiesbaden und zeige meinen Enkeln, was wir in der Firma alles gebaut haben und bin stolz darauf, wenn dies lange erhalten bleibt.“

Siegfried Huhle

Siegfried Huhle (70) ist Kreishandwerksmeister und Generalbevollmächtigter der Firma Huhle Stahl- und Metallbau. Diese wurde 1910 in Dresden gegründet und 1962 nach der Flucht der Familie aus der DDR in Wiesbaden neu gegründet. Siegfried Huhle – Meister im Metallbauer-Handwerk und Diplom-Ingenieur – übernahm 1984 die Geschäftsleitung in dritter Generation und übertrug sie zum 100-jährigen Firmenjubiläum 2010 an seinen Sohn Oliver Huhle und seinen Bruder Günter Huhle. Das Unternehmen hat 105 Mitarbeiter, davon 14 Auszubildende.

Haben auch Sie eine Vision für Wiesbaden? Schicken Sie uns Ihre Kurzbeschreibung an hallo@sensor-wiesbaden.de. In loser Folge geben wir auf einer Seite Wiesbadener Visionären Raum für ihre Gastbeiträge.

Fotos Handwerkskammer Wiesbaden, privat