Von Dirk Fellinghauer.
Eine geballte Ladung neuen Lauschstoff gibt es gerade aus Wiesbaden auf die Ohren von Musikfans. Alle aus Richtung Wiesbaden, dabei aber alle aus ganz unterschiedlichen musikalischen Richtungen. Den „Sound of Wiesbaden“ gibt es wohl nicht – wohl aber Sounds of Wiesbaden. Wir haben reingehört und verschaffen euch den Überblick.
Gerade 50 Jahre jung geworden, veröffentlicht Martin Schmidt alias Rob Razorblade in unverminderter Frische mit seiner Surfrock-Institution The Razorblades das siebte Album der Band. „Howlin´ at the Copycats“ heißt das Werk mit 16 wie gehabt ganz überwiegend instrumentalen und, ebenfalls wie gehabt, niemals langweiligen und kräftig groovenden Songs. 18 Bandjahre, über 700 Liveshows, ein mitreißendes Soundgemisch aus Surf, Rock´n´Roll und Powerpop, das immer wieder und immer weiter Laune macht. Der Bandkopf spielt die charakteristische Twang-Gitarre nicht nur meisterhaft selbst, sondern gibt sein Wissen auch weiter. In Kürze veröffentlicht er das per Crowdfunding unterstützte „The Surf Guitar Book“.
Die in Wiesbaden lebende Pianistin Lázara ‚Cachao‘ López, Tochter von Orlando ‚Cachaíto“ López (Bassist und Gründungsmitglied des legendären Buena Vista Social Club), hat zusammen mit der Sängerin Olvido Ruiz Castellanos als Duo das Album „One Night of Buena Vista“ eingespielt. Die charismatische und international erfolgreiche Olvido Ruiz Castellanos zählt mit ihren 27 Jahren zu den herausragenden weiblichen Stimmen aus Kuba. Die Zuhörer erwartet eine spannende Mischung unterschiedlicher Stile: angefangen vom traditionellen Son Cubano über Guaracha, hin zu Cha-Cha-Cha, Danzon, Bolero und vieles mehr. Gespielt wird ein abwechslungsreiches und unterhaltsames Programm am Piano und mit Gesang und leichter Percussion – und spontan improvisierten Einlagen.
„Off The Beaten Track“, das Debütalbum der Wiesbadener Cellistin und Sängerin Mara, ist Ende März erschienen. „Ich bin ´off the beaten track´ gegangen, bin meiner Intuition gefolgt, habe das Orchesterspiel hinter mir gelassen und Neues ausprobiert“, sagt Dagmar Kochendörfer. Selbstbewusst liefert die Singer/Songwriterin, die 1983 in Weimar geboren wurde und dort und in Lyon klassisches Cello studierte, eine Kollektion von zwölf Songs und Kompositionen – „irgendwo zwischen Art Pop, Chanson und Neo Klassik angesiedelt – designt für kreative und freiheitsliebende Menschen, die sich gerne auf neue Hörgenüsse einlassen“.
Frau Doktor, die zehnköpfige Ska-Punk-Soul-Gruppe aus Wiesbaden, deren Auflösung im Dezember 2018 grandios gescheitert ist, nehmen gerade ihr neues Album „Onkel Punk“ mit zwölf brandheißen Frau Doktor-Hits auf. Das Albumrelease – und ganz nebenbei noch ihr 25-jähriges Band-Jubiläum – will die Band am 9. Oktober im Schlachthof feiern. Ob „Corona“ sie lässt, wissen Frau Doktor zurzeit nicht. Der Release-Termin ihres neuen Albums steht allerdings felsenfest: Am 2. Oktober 2020 erscheint „Onkel Punk“ bei Rookie Records. Das ganze Vorhaben trotz ausgefallener und möglicherweise noch ausfallender Konzerte zu finanzieren, ist für die Band nicht gerade leicht. Deshalb haben sich die Stimmungskanonen etwas Besonderes ausgedacht: Mit der Bestellung des Super-Sonder-Vorverkauf-Specials können Fans Frau Doktor unterstützen: Für 25 Euro bekommen sie bei Vorbestellung eine LP (limited coloured Edition), ein Poster und ein „Onkel Punk“-Geschirrhandtuch. Für 22 Euro gibt es das entsprechende CD-Paket. Somit sorgt Frau Doktor in jedem Fall rezeptfrei für ein wenig Linderung bei Punk-Entzug.
Im Jahr 2018 wäre Volker Kriegel, weltweit gefeiertes Wiesbadener Gitarrengenie, 75 Jahre alt geworden. Anlässlich seines Geburtstags und gleichzeitig seines 15. Todestags erinnerte die hr-Bigband mit zwei Konzerten an ihn, für die Chefdirigent und Arrangeur Jim McNeely sein Werk jazzorchestral aufbereitete. Nun ist diese Liveaufnahme auf der CD „Kriegel today“ (MIG Music) erschienen. Der Ausnahmekünstler hat den Jazz hin zu Rock und Fusion geöffnet. Mit John Schröder, Jesse van Ruller und Martin Scales treten auf der CD der „Frankfurt Radio Big Band“ gleich drei herausragende Gitarristen der auf Kriegel folgenden Generation an, um dessen Kompositionen auf ihre je unterschiedliche Weise zu interpretieren. Diese Musik, eine Auswahl aus den Alben „Spectrum“, „Inside: Missing Link“, „Lift!“ und „Mild Maniac“ aus den frühen 1970er Jahren, war trotz ihrer Komplexität sehr populär: raffiniert und eingängig zugleich, sehr zeitgenössisch und doch selbstbewusst im Einklang mit Kriegels Soundvorstellungen.
Die Tucson Arizona Kings sind eine im Jahr 2011 gegründete „Folk-Trash“-Band. In ihrem Repertoire aus englischsprachigen Eigenkompositionen liefern sie eine Mischung aus Rock, Folk und Cow-Punk. Nach dem Ausstieg des Bassisten machen die beiden übrig gebliebenen Bandmitglieder Achim Horsinka (Gitarre/Gesang) und Frank Burger (Schlagzeug) unerschüttert weiter – als Duo. Im Februar 2020 entstehen im Tonstudio Bieber in Offenbach am Main, unter der Leitung des Produzenten und Musikers Oliver Rüger, in nur drei Tagen die Aufnahmen der 11 Songs für das neue 34-Minuten-Album „No Bass But Balls“. Obwohl bei den Aufnahmen nicht gänzlich auf die echte Bassgitarre verzichtet wird, kommen einige Songs dennoch komplett ohne Bass aus, aber auch mit überraschenden Alternativen. Und durch sparsam eingesetzte zusätzliche Instrumente wie Pedal Steel, Reed Organ oder auch Background Vocals.
„Opus 44.1“ ist der geheimnisvolle Titel des neuen Fischer & Kleber-Releases auf Wilhelm Records. In Zeiten, in denen Informationen schneller, verfügbarer zirkulieren, wird die Musik verändert! Tracks werden kürzer. Sehr kurz. Das Intro, der Spannungsbogen, essenzielle Ingredienzen der elektronischen Musik werden mehr und mehr reduziert. Wofür? Einem Hype? Einer Anbiederung? Einer Daseinsberechtigung? Fischer & Kleber antworten mit ihrem „Opus“. Es ist ein stolzer, prächtiger Mittelfinger in Form eines ca. 15 Minuten langen Tracks. Ohne falsche Bescheidenheit angelehnt an die endlosen Arien der alten Meister… Bach, Wagner, Beethoven, Mozart. Hier eine Message von Wiesbaden an die restliche Welt: „Wir machen elektronische, progressive Musik. Und wenn sie Zeit braucht, geben wir sie ihr.“ Ein Gang durch die dystopisch wirkende Stadt, in Katakomben eines clubbigen Undergrounds, zu einer ausschweifenden Afterhour mit Mensch und Maschine. Breakig, jazzig, filmscorig, melancholisch, klagend, clubbig – großartig!
37 Minuten dauert das „Debüt“ von Jan Sydow, der weitaus länger als Musiker unterwegs ist als der Albumtitel vermuten lässt. Der Titel macht trotzdem Sinn, denn es ist sein Debüt als sein eigenes, ganz persönliches Ding. In der Wiesbadener Musikwelt machte sich Jan Sydow vor allem mit der Artrock-Band The Amber Light einen Namen, seither ist er als gefragter Live- und Studiomusiker aktiv. Und nun aber als Jan Sydow. Und als solcher mit einem starke acht Songs starken Liedermacher-artigen Album, auf dem er alles – Songwriting, Texte, Gesang, Gitarre, Percussion, selbst die Cover-Zeichnung – selber macht. Und das alles so gut, dass man niemanden vermisst. Ein Album, das man wunderbar für sich selbst entdecken kann und vielleicht auch am liebsten für sich selbst behalten würde. Ein Album, mit dem man aber auch ganz gut angeben könnte. Wenn Besuch kommt, einfach einlegen und laufen lassen, und die Reaktion abwarten, die garantiert früher oder später kommen wird: „Was läuft denn da …?“ „Jan Sydow!“ „Jan …?“ „… Sydow! Kennste nicht?“ „Äh, nee – klingt aber, als sollte man den kennen!“
Außerdem in der Pipeline sind Werke von der Punkrockband DV HVND („Bollwerk, Release 5. Juni) und von Kenneth Minor (4-Track-EP „Living Room Sessions“, Release “in circa zwei Monaten” via Unique Records). Spannendes ist zu erwarten von Voltville, dem nagelneuen Projekt der wiedergefundenen Buddies Uzi Mayer und Flo Kresse. Und Ash M.O. ist das neue Projekt von Chris Hastrich, der als Chris & Taylor und thiel unterwegs war und sich jetzt mittels seiner Kunstfigur als „erster offen schwuler Rapper Deutschlands“ präsentiert – und als solcher heute seine erste Single plus „Lyrikvideo“ präsentiert: „Fatherfucking Hollwood“ heißt das heiße Ding.
Wir verlosen 3 Exemplare von „Kriegel Today“ und „Tucson Arizona Kings – No Bass But Balls“: Mail mit Wunsch-CD an losi@sensor-wiesbaden.de
HEUTE CDs-to-go-Verkauf lokaler Bands und Musiker am Neuen Schützenhaus!
Mit heißer Nadel gestrickt, mit großem Herz für die lokale Musikszene erdacht: Eine besondere „Solidarität für Musiker“-Idee hat Tina Ramolla vom Neuen Schützenhaus und plant, präsentiert von sensor, einen To-Go-CD-Verkauf von Bands aus Wiesbaden und der Region HEUTE am Donnerstag, 21. Mai (Christi Himmelfahrt-Feiertag), von 12 bis 18 Uhr auf dem Neues Schützenhaus-Parkplatz bei der Fasanerie. Eine klasse Gelegenheit für Musikfans, „Local Heroes“ zu unterstützen – und eine klasse Möglichkeit für „Local Heroes“, auch in fast Livemusik-freien Zeiten ein wenig zu verdienen.