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Wie weiter? Wiesbadener Geschäftsleute erzählen – Corona-Protokolle (01): Hans Reitz, perfect day

Mehr als ein bloßes Café war das „perfect day“, das Hanz Reitz seit 2004 inmitten der Fußgängerzone betrieb. Zum 1. April hat er es endgültig zugesperrt.

Von Annika Posth und Selma Unglaube. Fotos Till Christmann.

Pandemie-Geschichten zwischen Sorge, Frustration und Verzweiflung, zwischen Hoffnung, Zuversicht und „Jetzt erst recht“. In unseren „Corona-Protokollen“ berichten Wiesbadener Geschäftsleute und Gastronomen von ihrer Situation, im Blick zurück und im Blick nach vorn. Wir veröffentlichen die gesammelten Protokolle aus der Titelstory unserer Mai-Ausgabe hier nach und nach einzeln.

Hans Reitz, Gründer und Inhaber perfect day Café, Kirchgasse, 2004 als Social Business eröffnet, am 1. April 2021 geschlossen.

„Die Pandemie hat uns allen mental, finanziell und gesundheitlich so zugesetzt, dass wir nicht mehr wissen, wie es weitergehen soll. Wirtschaftlich haben wir täglich mehrere hundert Euro Verlust eingefahren. Trotz Corona-Hilfen, trotz großer Kosteneinsparungen, haben wir sämtliche finanziellen Rücklagen, die wir in diesem Sozialunternehmen aufgebaut hatten, aufgebraucht, um diese Verluste zu kompensieren. Selbst die Miete ist nicht mehr zu erwirtschaften. 33,50 Euro pro Quadratmeter. Und keine Chance, mit dem Eigentümer auch nur zu reden. Er hat alles an einen Anwalt übergeben. Im Moment sind wir ratlos und auch kraftlos. Für uns ist dies ein sehr trauriger und ernster Moment als eines der wenigen Sozialunternehmen, die wir in Wiesbaden und der Region haben.

Goldene Laterne als Zeichen: Wir sind für euch da

Nach der Bekanntgabe unserer Schließung haben wir viel positives Feedback bekommen – dass wir gesehen wurden, wie liebevoll unsere Mitarbeiter und das perfect day auch immer hier inmitten der Fußgängerzone als Nachbarn waren. In den Monaten um die Weihnachtszeit haben wir täglich Kaffee gratis in der Nachbarschaft ausgeteilt.  Über ein Jahr der Pandemie hinweg haben wir beschlossen, immer da zu sein. Wir haben immer alles getan, dass es hier draußen sauber ist, dass jeden Tag aufgeräumt ist. Vor dem Café haben wir die goldene Laterne aufgestellt – als Zeichen: Wir haben gesagt, es muss genauso schön sein, einen Fleck zumindest zu schaffen, an dem man sorgsam ist und eine liebevolle Umgebung hat. Auch in der Innenstadt, in einer Stadt, die so am Absterben ist wie hier.

In Sorge um eine Innenstadt am Absterben

Ich mache mir große Sorgen um die Innenstadt. Ich habe das in Ludwigshafen erlebt – eine Stadt, die so schön war wie Wiesbaden, und dann unterging. Ich habe niemals gedacht, dass die Wiesbadener Innenstadt genauso untergehen kann.

Jetzt weiß ich, dass man es kaum mehr aufhalten kann – zumindest, wenn nicht die Eigentümer, die Verwalter, die Rechtsanwälte, die alle hier das Geld verdient haben in den letzten dreißig Jahren, rauskommen und sagen können, wie sie denn in Zukunft wieder investieren wollen und wie es weitergeht. Die große Sorge, die ich habe, ist, wie wir künftig umgehen zwischen den Menschen in der Innenstadt, die das Herz der Stadt bilden, in dem man auch Zuflucht und Zuversicht findet. Wo so viel passieren kann, weil so viel Substanz da ist. Wie wir das hinkriegen, ohne uns noch mehr zu entfremden und den sozialen Frieden zu gefährden.

Sozialer Äquator Schwalbacher Straße

Hier in der Innenstadt verläuft der soziale Äquator an der Schwalbacher Straße – auf der einen Seite Kurhaus, Wilhelmstraße, auf der anderen Seite Platz der Deutschen Einheit, Bleichstraße. Wer hält jetzt gut zusammen und schafft ein Miteinander? Wer ruft jetzt die Wirtschaft dazu auf, ein großes Gemeinschaftsbewusstsein zu haben?

Appell an die Verantwortung der Eigentümer

Es gibt viele gute Bewegungen in unserer Stadt. Ich hoffe, dass die Eigentümer, deren Verwalter, deren Rechtsanwälte, so viel Verantwortung übernehmen, dass sie sie in die Führung gehen, um das im Gemeinwohl nach vorne zu treiben. Wir dürfen die Menschen nicht verlieren hier in der Innenstadt. Wir sollten diesen großartigen Ort retten, an dem die Menschen sich begegnen, sich aufbauen, Freude geben und austauschen und lernen können. Dieses wunderbare historische Fünfeck sollten wir bewahren. Und wir sollten alles dafür tun, dass es einfach lebt. Wenn jeder ein bisschen mehr gibt als er rausnimmt, dann wäre in der Innenstadt für alle mehr als genug da.“

In der nächsten Folge erzählt: Andreas Weller, Betriebsleiter Buressi Fashion, Wilhelmstraße.

2 responses to “Wie weiter? Wiesbadener Geschäftsleute erzählen – Corona-Protokolle (01): Hans Reitz, perfect day

  1. Ja , sehr schade . Perfect Day war ein klasse Laden mit erstklassigen Produkten. Ja schade für Wiesbaden.
    Die tote Citiy-Passage und das wartende brachliegende Walhalla sind ebenso schade für Wiesbaden…

    Wer es sich leisten kann, geht wohin , wo man ruhig und gemütlich verweilen kann…

  2. Es ist wirklich ein Drama, dass es das Perfect Day nicht mehr gibt. Ich hoffe, es kann wieder neu entstehen, und dass der Vermieter mit dem Mietpreis entgegenkommt, dass es von der Stadt Unterstützung erhält. Das Cafe war ein Schmuckstück in der Wiesbadener Innenstadt, die Innenstadt muss neu belebt werden, bunt werden, für alle Bürger zu einem Wohlfühlerlebnis, das wünsche ich sehr.

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