Von Falk Sinß. Fotos Pia Lamberty, Lübbe Verlag.
„Die wollen das Bargeld abschaffen“; „… die entführen kleine Kinder, um mit deren Adenochrom ihren Alterungsprozess zu verlangsamen“, „… Bill Gates will uns allen einen Chip einsetzen“ – was für die meisten absurd klingt, ist für einige Menschen fester Teil ihrer gefühlten Realität. Doch diese persönliche Wahrnehmung ist nicht nur irgendwie schräg. Sie hat politische Dimension. In einer Verschwörungswahrnehmung erstickt die Bereitschaft, Andersdenkende zu Wort kommen zulassen. Die Sozialpsychologin Pia Lamberty sagt, sie beobachtet mit Sorge, was sich gerade in diesen Szenen „zusammenbraut“. „Moment mal! Wiesbaden“ hat mit ihr gesprochen.
Die Verschwörungswahrnehmung fördert bei den „Erweckten“ die Bereitschaft, auszuschalten, was bedrohlich erscheint. Die aktuelle Corona-Krise macht es deutlich. Obwohl sich die Wissenschaft einig ist, das der SARS-CoV-2-Virus lebensbedrohlich für Menschen sein kann und die Langzeitfolgen zurzeit nur erahnt werden können, glaubt rund ein Viertel der Menschen in Deutschland an die Verschwörungsfantasien, die über das Virus im Umlauf sind.
Das ist nicht die Mehrheit. Aber wenn nur auch ein Teil dieser Menschen die Vorsorgebemühungen unterläuft, wird das nicht nur den Kampf gegen das Virus erschweren, sondern auch die schon vorhandenen wirtschaftlichen Schäden deutlich vergrößern, wenn aufgrund steigender Infektionszahlen die Schutzmaßnahmen verschärft werden müssen.
Direkter Link zur Gewalttätigkeit
Etwa 17 Prozent der Menschen in Deutschland sind sogar überzeugt, es handele sich bei Corona um eine Biowaffe, die Bevölkerungszahl zu reduzieren. Diese Verschwörungsgläubigen gehen davon aus, sich vor einer Gefahr schützen zu müssen. Das mit dieser Überzeugung einhergehende erhöhte Aggressionspotenzial und der direkte Link zur Gewalttätigkeit ließ sich über Studien nachweisen. So waren auf entsprechende Fragen etwa Anhänger von 5G-Verschwörungserzählungen bereit zu sagen, sie würden bis zum Äußersten gehen, sie würden Gewalt nutzen.
Kommt es infolge der Corona-Krise zu Arbeitsplatzverlusten und Firmenpleiten, droht die Gefahr, dass nicht nach Auswegen und Hilfen gesucht, sondern „abgerechnet“ wird. Hiermit muss die Politik, aber auch die Gesellschaft umgehen. Die Sozialpsychologin Pia Lamberty sagt, sie beobachtet mit Sorge, was sich gerade in diesen Szenen „zusammenbraut“. Moment mal! Wiesbaden hat mit ihr gesprochen.
Wie umgehen mit den Vorwürfen gegen „die da oben“?
Wie umgehen mit dem unreflektierten Vorwurf „Die da oben machen doch was sie wollen“, der so schnell von rechts instrumentalisiert wird? Warum verfängt das unselige Geraune über einen drohenden Untergang, über fremde Mächte, die unerkannt die Strippen ziehen, und den großen Bevölkerungsaustausch heute noch? Wie kritisch bleiben, ohne menschenverachtenden Verschwörungsgerüchten ein Einfallstor zu bieten? Und wie umgehen mit Freunden, die – vielleicht aufgrund fehlender politischer Erfolgserlebnisse – immer mehr zu autoritären Lösungen tendieren? Aber vor allem: Wie lässt sich verhindern, dass soziale und wirtschaftliche Krisen einer aggressiven Wissenschafts- und Menschenfeindlichkeit Aufrieb geben? Und was lässt sich aus solchen Krisen lernen – in Bezug auf einen lange verschleppten Strukturwandel oder auch darauf, dass es bei einem neuartigen Virus keine bewährten Strategien der Gefahrenabwehr geben kann,
sondern man auch durch trial and error zur angemessenen Schadensbegrenzung gelangen muss?
Moment mal! Wiesbaden hat Pia Lamberty zum Gespräch eingeladen und mit ihr über diese Fragen gesprochen. Gemeinsam mit der Wirtschafts- und Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun hat sie kürzlich das hochgelobte Buch „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ veröffentlicht.
Der Mitschnitt des Gesprächs, das Georg Habs mit der Expertin geführt hat, kann kostenlos auf dem YouTube-Kanal von Moment mal! –
https://www.youtube.com/channel/UCoszFBnOx2bOGgb_iJHH7vQ – oder auf https://momentmal.org/ angeschaut werden.
Auch „Der visionäre Frühschoppen“, die gemeinsame Veranstaltungsreihe von sensor und Walhalla im EXIL, hat sich unter dem Titel „Flood the Zone with Shit“ mit dem Thema Verschwörungsmythen beschäftigt – nachzuschauen hier auf YouTube oder nachzuhören hier als Podcast.
Wer sehen möchte, der möge sehen … (Eine kleine „Verschwörung) :
Wir leben heute im Informationszeitalter und am besten informiert man sich thematisch aus erster Hand auf offiziellen Webseiten und Vorträgen von (unabhängigen) Wissenschaftlern, bei Lobbyisten, Konzernen, Stiftungen, etc.. Danach sollte ein Abgleich aller kontroversen Medien Berichte und die der politischen Entscheidungsträger erfolgen. Erst dann kann es langsam zu einer persönlichen Meinungsbildung kommen.
Vorausgesetzt ist Empathie, Bildung und ein politisch, gesellschaftliches Grundinteresse.
Natürlich gibt es viele abstruse Behauptungen, Halbwahrheiten, verrückte Theorien, Erde=Scheibe und dergleichen. Es ist jedoch gerade deshalb um so leichter, berechtigte kritische Ansätze in der Öffentlichkeit ebenso als Verschwörungstheorie zu diskreditieren. Der Begriff wird auf diese Weise zu einem Werkzeug der Gedankenkontrolle, mit dem kritische Stimmen und oftmals Experten mit jahrelanger Praxis mundtot gemacht werden können. Themenfelder können damit zu einem gedanklichen Sperrgebiet erhoben werden. Diese Methodik ist demokratie-feindlich und steht entgegengesetzt zu den Werten des Liberalismus und der Freiheit.
Nicht nur „in der Verschwörungswahrnehmung wird die Bereitschaft erstickt, Andersdenkende zu Wort kommen zu lassen“, sondern geradewegs auch von der anderen Seite. Das Klima des Unverständnis ist keine Einbahnstraße !
Eine eigene, gegenläufige Meinung aus allen verfügbaren Informationen zu bilden und mit Logik zu verteidigen, war zu allen Zeiten ungleich schwerer und erfordert Ausdauer, Intelligenz, Mut und Kraft, egal in welchem Fach-Bereich. Auch Galileo Galilei musste widerrufen und war damals ein Verschwörungstheoretiker.
Wer mit viel Zeit und Engagement die politisch gesellschaftliche Thematik studiert, hat es heute schwer, gegen die landläufige Meinung, die sich aus Zwei-Minuten Häppchen aus der Tagesschau und ein paar Überschriften zusammensetzt, zu argumentieren.
Das Wort „Verschwörungstheoretiker“ ist ein Totschlag-Begriff. Je häufiger er zum Einsatz kommt, desto gefährlicher wird es für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wenn dazu noch leichtfertig Antisemitismus unterstellt wird, dann ist die Verleumdungskampagne perfekt. Ein Staat der auf diese Methodik setzt, lässt nichts gutes für die Zukunft erahnen … Spaltung, Unversöhnlichkeit und Krieg sind die Folgen.
Damals vor ’45 war Radio London Verschwörungstheorie …
Wenn es keine Diskussion am Dogma geben darf wird auch heute wieder so manche berechtigte, fachlich fundierte Kritik mit den gleichen Mitteln bekämpft (Klima, 5G, Covid19, politischer Mord, Krieg, Finanzsystem, ID2020).
Einfache Fragen führen oft zum Ziel: Wem nutzt es ? Wer profitiert davon ?
Da ich ein aufgeklärter, aktiver Pazifist bin, ist das Buch von Frau Lamberty schon mit dem Titel durchgefallen …