Von Hannah Weiner. Fotos Jan Ehlers.
Wenn Leo Sakaguchi erzählt, warum er auf der Welt ist, klingt das erst mal verwunderlich: Die Grundlage seines Daseins ist nämlich eine erfundene Sprache. Ohne sie würde es ihn nicht geben. „Esperanto ist die Basis meiner Existenz“, sagt der 27-jährige Student. Denn Sakaguchis Eltern – der Vater Japaner, die Mutter Polin – hätten sich wahrscheinlich weder kennengelernt, noch unterhalten können und schon gar nicht verliebt, wenn besagte Sprache nicht erfunden worden wäre. Nun gehört er zu den weltweit nur rund tausend Esperanto-Muttersprachlern, die die Sprache von ihren Eltern gelernt haben. Von diesem Sonntag an treffen sich in Wiesbaden rund 400 Esperanto-Sprecher aus nah, fern und sehr fern für eine Woche zum 71. Weltkongress der Esperanto-Jugend.
Simpel, logisch, leicht erlernbar
Ausgedacht sie sich der polnisch-jüdische Augenarzt Ludwik Lejzer Zamenhof. Unter dem Namen Doktoro Esperanto entwarf er 1887 eine simple, logisch aufgebaute und leicht zu lernende Plansprache. Er wollte damit eine internationale Kommunikationsbasis erschaffen: politisch neutral, vernetzend, friedens- und verständnisorientiert. Zwischen 500000 und zwei Millionen Menschen in Wiesbaden und Washington, Buenos Aires und Birmingham, Mexiko und Myanmar sprechen sie heute. 400 von ihnen treffen sich vom 2. bis 9. August in Wiesbaden zum Internationalen Jugendkongress. Aus 40 Ländern kommen sie nach Hessen, um den Traum einer Welt ohne Sprachbarrieren zu leben. Der 71. Esperanto-Jugend-Weltkongress wird der siebte sein, der in Deutschland stattfindet.
Natürlich ist Sakaguchi dabei. Als Muttersprachler spricht er perfekt Esperanto, das ein wenig wie Spanisch klingt. Seit der Student 18 Jahre alt ist, engagiert der „Esperantisto“ sich in der Esperanto-Gemeinschaft. Außerdem reist er gerne, nach Mexiko City, Sri Lanka, Kosovo oder Uruguay. Seine Unterkünfte sucht er sich immer über das Esperanto-Couchsurfing-Portal. „Die Sprache verbindet, erweitert den Horizont und hilft, Vorurteile auszumerzen“, findet Sakaguchi. Egal, wo die Leute herkämen, wie alt oder jung, arm oder reich sie seien, welches Geschlecht, welchen Hintergrund und welche Einstellung sie hätten: „Man kommt mit jedem in Berührung.“
Auf Esperanto kann niemand ein X für ein U vormachen
Das Ziel von Esperanto ist es, Menschen zusammenzubringen. Es wird überall gesprochen, im Iran und Israel, in China, wo die Regierung werktäglich Nachrichten auf Esperanto veröffentlicht , den USA, Russland und Georgien. „Das Prinzip ist ganz einfach“, erklärt Sakaguchi: „Das Alphabet hat 28 Buchstaben, es gibt zwei Fälle, eine Konjugation, eine Deklination, einen Artikel, kein W, kein X, kein U.“ Je nach Aufwand und Talent brauche man drei Wochen bis ein Jahr, um Esperanto zu lernen. Doch es sei nicht nur eine Sprache, sondern vielmehr Kultur mit Filmen, Musik und Literatur. Ähnlich sieht das Wolfgang Schwanzer. „Alle großen Werke der Weltliteratur sind inzwischen übersetzt“, weiß der der 63-jährige Diplomgeograph, der seit 15 Jahren von Mainz aus einen Esperanto-Online-Buchversand führt.
Durch die sozialen Netzwerke und Neuen Medien gewinnt Esperanto immer mehr an Aufschwung. Auf Youtube gibt es Übungs-Tutorials, mit der App Duolingo lässt es sich unterwegs lernen und die Plattform lernu.net vernetzt Interessierte. Die spracheigene Wikipedia ist mit 215000 Einträgen inzwischen sogar fast so groß wie die dänische Ausgabe. „Internet und Esperanto – das passt hervorragend zusammen“, findet Schwanzer, der sich die Kunstsprache in den 70ern aneignete und damals noch fünf bis sechs Wochen auf die Antworten seiner Brieffreunde aus Brasilien oder Korea warten musste.
Eine Sprache als kleinster gemeinsamer Nenner. Das wird es auch sein, was die jungen Erwachsenen im August in Wiesbaden vereint. Die Teilnehmer, die selbst Programmpunkte beisteuern, können sich während der Woche in der Jugendherberge zwischen landestypischem Essen, Salsa-Kursen, Vorträgen zum Klimawandel oder Menschenrechten, Esperanto-Quizshows, Konzerten und Disko vergnügen. Und damit auch die Wiesbadener etwas von der Internationalität haben, die für ein paar Tage im August in ihrer Stadt Station macht, haben die Esperanto-Sprecher sich etwas ausgedacht.
Kulturfestival und Party für alle
Am 7. August veranstalten sie vor dem Schlachthof ein Kulturfestival. An 40 verschiedenen Ständen wollen sie lokale Spezialitäten anbieten. Außerdem legt Leo Sakaguchi, der auch DJ ist, ab 23 Uhr im Kesselhaus auf. In diesem Sinne: „sensoro – sentu vian urbon. Vizbadeno“.