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Weitere Aussichten: wärmer! Schwul-lesbisches Leben in Wiesbaden

 

 

Von Hendrik Jung. Fotos Arne Landwehr.

Schon als unsere Stadt Aquis Mattiacis hieß, dürfte in ihren warmen Quellen manche Männerfreundschaft gepflegt worden sein. Heute ist das Klima liberal genug, dass die SPD einen schwulen OB-Kandidaten nominiert. Auch die Szene wird belebt: Zum ersten Mal seit Jahren gibt es wieder einen Wiesbadener Christopher Street Day, maßgeblich organisiert vom neu gegründeten Verein Warmes Wiesbaden. Gründe genug also, das schwul-lesbische Leben in Wiesbaden zu erkunden.

„Die Situation für die einzelnen Menschen hat sich verbessert. Aber für die Szene ist es schlechter geworden. Heute gibt es nur zwei Lokale, früher waren es bis zu zehn und die waren auch voller“, blickt Joachim Schönert zurück. Er gehörte 1978 zu den Gründern der politischen Lesben- und Schwulengruppe Rosa Lüste , die damals noch ausschließlich aus Schwulen bestand. Schließlich waren es in der Hauptsache homosexuelle Männer, die noch bis zur Wiedervereinigung strafrechtlich verfolgt werden konnten. Frauen wiederum seien damals vorwiegend in der Frauenbewegung aktiv gewesen.

„Das Kneipensterben kann auch mit der Gesamtsituation zu tun haben, viele Orte, die ich kannte sind verschwunden“, gibt der französische Maler Bruno Zaid zu bedenken. Der 1963 in Nizza geborene Künstler lebt seit gut zwanzig Jahren in Wiesbaden und ist seitdem in der Szene unterwegs, obwohl er erst seit vier Jahren einen männlichen Partner hat. Als Mitarbeiter des Schweinefuß sei er jedoch mit seinen Chefs Daniel und Christian nach Feierabend gerne noch ins legendäre Pussycat gegangen. „Auch andere Lokale waren zumindest gay-friendly, wie die Klappe oder Der Mensch verlässt die Erde, und im Gestüt Renz hat einmal im Monat eine Gay/Lesbian-Party mit einem sehr gemischten Publikum stattgefunden“, erinnert sich der dreifache Familienvater. „Damals hat man Lokale aufgesucht, um den Mann für die Nacht zu finden und um mal in einer Welt zu sein, in der man sich nicht verstecken muss“, erläutert Joachim Schönert.

Internet ersetzt Szene-Lokale 

Doch als Kontaktbörse hat das Internet der Gastronomie den Rang abgelaufen. „Die jungen Leute gehen heute auch in andere Locations und können dort abzappeln. Die Gefahr zusammen geschlagen zu werden, ist heute nicht mehr so gegeben“, fügt der 68-jährige hinzu. „Rein mit einem schwulen Publikum könnte ich keinen gastronomischen Betrieb halten“, bestätigt auch Michael Fiesel, Betreiber von Robin Hood und Trend, dass das Internet insbesondere der schwul-lesbischen Kneipenszene zugesetzt hat. Lesbische Frauen machten ohnehin lediglich einen Anteil von etwa fünf Prozent seiner Kundschaft aus. „Wenn die in einer Partnerschaft sind, gehen die gar nicht mehr aus“, schildert er sein Erfahrungen. Während im Trend noch etwa 80 Prozent der Gäste homosexuell seien, verkehre im Robin Hood mittlerweile ein gemischtes Publikum, das zahlenmäßig etwa gleich stark vertreten sei. „Meine Einstellung ist, dass man sich nicht verstecken muss“, erläutert er, warum seit seiner Übernahme die Fenster der Lokale nicht mehr abgedunkelt sind und die Gäste mittlerweile auch auf dem Gehweg vor dem Robin Hood sitzen.

Frischer Wind

Hat Rosa Lüste früher über eine eigene Theatergruppe verfügt und auch Disco-Veranstaltungen und Gay-Pride-Paraden organisiert, so konzentriert man sich inzwischen eher auf die politische Arbeit. Dazu gehören die wöchentlichen WG-Treffen sowie die Herausgabe der Publikationen „Lust“ und „Lustblättchen“. Das Auftreten des vor einem Jahr gegründeten Vereins Warmes Wiesbaden hat nun für Belebung gesorgt. „Seitdem hat sich die Szene in Wiesbaden sehr verändert“, lobt Peter Schneider von der Wiesbadener Aids-Hilfe die Aktivitäten der Gruppe. Alle zwei Monate findet am ersten Freitag die Partyreihe „Let’s go queer“ statt. Zum zweiten Mal hat der Verein in diesem Jahr außerdem am Internationalen Tag gegen Homophobie einen „Rainbowflash“ organisiert, bei dem mehr als 100 Teilnehmer mit bunten Ballons für eine tolerante Gesellschaft demonstriert haben. Und nun wird in Zusammenarbeit mit dem Wiesbadener Schlachthof am 4. August zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder – präsentiert von sensor – ein Christopher Street Day mit Podiumsdiskussion, Bühnenprogramm, Party und Beach-Volleyball begangen.

„Schlimm, dass es in Wiesbaden nichts gibt“

„Ich bin in Wiesbaden aufgewachsen und fand es schon als Jugendliche schlimm, dass es in Wiesbaden nichts gibt“, erläutert die Vereinsvorsitzende Mascha Holly, warum sie die Initiative ergriffen hat. „Schon als 18-jährige wollte ich einen Verein gründen, aber es hat jetzt noch mal fast zehn Jahre gedauert“, fügt die zweifache Mutter hinzu. Die existierenden Gruppen kümmerten sich einfach zu wenig um neue Leute. So hielten etwa die Organisatoren des jährlich im Wiesbadener Caligari ausgerichteten Filmfestivals Homonale ihren Stammtisch in Mainz ab, wo es bereits ein vielfältiges Angebot für Schwule und Lesben gebe. Jeden zweiten Dienstag im Monat lädt Warmes Wiesbaden deshalb ab 20.30 Uhr zum Stammtisch ins Café Klatsch. „Die meisten sind zwischen 18 und 30 Jahre alt. Das heißt aber nicht, dass wir uns auf diese Altersgruppe konzentrieren“, berichtet Susanne Stedtfeld. Gerne könnten auch noch mehr Männer dazu stoßen, die derzeit etwa ein Drittel der Vereinsmitglieder ausmachen. Ihre Aktivitäten beschränken sich keineswegs auf die Organisation von Veranstaltungen.

Coming-Out-Beratung

Im Herbst wolle man sich für eine Coming-Out-Beratung schulen lassen. „Gerade im Moment gibt es niemand, wo Du so anonym hin gehen kannst“, findet Susanne Stedtfeld. Auch hierbei wird man wieder gemeinsam mit der Aids-Hilfe aktiv werden, mit der man bereits eine gemeinsame „SchLAu“-Projektgruppe betreibt. Die Abkürzung steht für Schwul-Lesbische Aufklärung in Schulen und wird jeweils von gemischten Teams betrieben. In diesen stellt Warmes Wiesbaden derzeit den Frauen- und die Aidshilfe den Männeranteil. Bislang mangelt es jedoch noch an Rückmeldungen seitens der Schulen. Lediglich die Polizeischule und das Jugendzentrum Biebrich haben das neue Angebot bislang nachgefragt.

Da wünsche man sich noch mehr Unterstützung von der Schuldezernentin Rose-Lore Scholz, mit der man bislang bei der HIV-Prävention an den Schulen hervorragend zusammen arbeite, betont Peter Schneider, der bei der Aids-Hilfe für den Bereich Schulprävention zuständig ist. Ein besonderes Augenmerk erhält die Arbeit der Organisation jedes Jahr durch die Ball-Nacht der Aids-Hilfe, die am 8. Dezember bereits zum 25. Mal ausgerichtet wird.

Handlungsbedarf  auf vielen Ebenen

Für Menschen, die sich für ein toleranteres Miteinander einsetzen möchten, bieten die bestehenden Initiativen also ausreichend Möglichkeiten. Ein besonderes Anliegen der Rosa Lüste besteht in der Rehabilitierung derjenigen Schwulen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung einst als Sexualstraftäter verurteilt worden sind. Außerdem setzt man sich dort für eine echte Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ein. Ein Thema, das auch den Mitgliedern von Warmes Wiesbaden sehr am Herzen liegt. In Sachen Adoptionsrecht, Steuerrecht, Sorgerecht und bei der Elternzeit sei man nach wie vor benachteiligt. Ein echtes Problem für die sogenannten Regenbogenfamilien, also gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern.

Ein gemeinsames Anliegen der beiden Gruppen ist auch ein fester Raum, der von der schwullesbischen Szene genutzt werden könnte. Ein Kulturhaus, das auch Möglichkeiten für Veranstaltungen bietet, könnte sich etwa Joachim Schönert vorstellen. Peter Schneider von der Aids-Hilfe sieht ein großes Defizit in Bereichen, die mit Migration gekoppelt sind. „Es wäre toll, mit islamischen Religionsgruppen zu sehen, was in Sachen Coming-Out-Hilfe und auch HIV-Prävention machbar ist“, will er ein heißes Eisen anpacken. Ein solches Engagement könnte auch dazu beitragen, dass Schwule und Lesben in Zukunft in Wiesbaden weniger unter Diskriminierung zu leiden haben, als bisher. „Wiesbaden zeigt nicht genug, dass es gay-friendly ist“, bringt es Bruno Zaid auf den Punkt. Da ist es ein gutes Zeichen, dass der Ausschuss für Integration nun zugestimmt hat, dass am Tag des CSD am Rathaus die Regenbogenflagge gehisst wird.

http://csd-wiesbaden.blogspot.de/

http://www.aidshilfe-wiesbaden.de/
http://www.rosalueste.de/
warmeswiesbaden.blogsport.de  www.brunozaid.com

Der Christopher Street Day findet am Samstag, 4. August, ab 14 Uhr rund um den Schlachthof statt. sensor präsentiert und verlost 3×2 Freikarten für die CSD Party, die um 22 Uhr im Schlachthof auf zwei Floors – in der Räucherkammer und im 60/40 – startet: losi@sensor-wiesbaden.de Das vollständige CSD-Programm findet Ihr, neben Fotografien von Bruno mit seinen Kindern Timothée (12) und Salmoé (8) und seinem Freund Kai sowie Mascha mit ihren Kindern Emma (4) und Liam (5) und der Szene-Lokale Trend und Robin Hood, in unserer Fotogalerie: