Wiesbaden hat seit dieser Woche ein neues Museum. Stimmt natürlich nicht. Der Grundstein zu dem Bau wurde schon vor hundert Jahren gelegt. Wiesbaden hat seit dieser Woche ein neues Museum. Stimmt irgendwie doch. Zwei umfassend sanierte und neu gestaltete Flügel und Sammlungen – die Naturwissenschaft und die Alten Meister – wurden nach vier Jahren feierlich wieder eröffnet. Insgesamt wurde das Haus sogar zwanzig Jahre saniert. Vieles des dort Präsentierten und im Ergebnis das Erlebnis Museum Wiesbaden im Gesamten ist sehr wohl sehr neu. 7.000 Quadratmeter Staunen, Inspiration, Sinnlichkeit und Horizonterweiterung erlebten die über 1.000 Besucher des Eröffnungsabends, denen nun Abertausende „reguläre“ Besucher folgen sollen und sicher werden. An diesem Wochenende sogar bei freiem Eintritt.
„Cool und sexy“ möge sein Haus sein, wünschte sich in der allemal coole und vielleicht sogar, das mögen andere kompetenter beurteilen, sexy Direktor des Hauses, der wie stets erfrischend eloquente, in seiner Begeisterung mitreißende und mitunter in angenehmer Weise respektlose Dr. Alexander Klar, in seiner Eröffnungsrede. „Es gibt unter unseren Kunstfreunden Snobs, die denken, ab der 6. Klasse müsse man sich die Naturwissenschaft in einem Museum nicht mehr anschauen“, warb der Direktor kühn für das „lustvolle Erkunden der Objekte“ auch bei jenen, die klassischerweise einen großen Bogen um diese Abteilungen machen würden. Sogar die Frau Ministerin nahm die in solch eigentlich ehrwürdigem Rahmen doch recht ungewohnten Worte auf und in den Mund: „Cool und sexy, aber nicht arm“ solle das Haus sein, formulierte Eva Kühne-Hörmann. 37,5 Millionen Euro wurden in die insgesamt 20 Jahre dauernde Sanierung des Hauses gesteckt.
Wer das Museum besucht, kann leicht reich werden – reich an Eindrücken, Wissen und Erkenntnisgewinn. Die Ministerin äußerte den Wunsch, Besucher sollten „neugierig reingehen und erstaunt und glücklich wieder rausgehen“. Was die Premierengäste im Schnelldurchlauf bestaunten, dafür können reguläre Besucher locker einen halben bis ganzen Tag einplanen, wollen sie all das Entdeckenswerte sehen und aufnehmen. Sie sehen die eigentlichen Sammlungen, große Sonderschauen wie derzeit die „Rheinromantik“ und einige kleine und sehr feine Sonderausstellungen. Sie sehen alte Schinken und moderne Fotografie, Eisbären, Spinnen und Jeans von Joseph Beuys.
Das Sowohl als auch-Museum
Die Besucher können sich im Museum Wiesbaden fortan verlieren in den Weiten und in den Exponaten und, auch das ausdrücklicher Wunsch des Hausherrn, auch verlaufen in den vielen Ebenen, Sälen und Gängen. Von der Naturwissenschaft in die Kunst gelockt zu werden, von der Kunst zur Naturwissenschaft verführt zu werden, das ist die Idealvorstellung der Museumsmacher, die mit Enthusiasmus, Energie und Einfallsreichtum so manchen Staub aus den Gemäuern geblasen haben. Denn das ist ja der Clou des Hauses, der nach Aussage von Alexander Klar sogar weltweit seines gleichen sucht: die einzigartige Verbindung von Kunst und Natur unter einem Dach, das aufeinander Bezug nehmende und sich gegenseitig befruchtenede „Sowohl als auch“ anstelle des üblichen „Entweder oder“. Mit wohltuenden Auswirkungen auch auf das Publikum. Dieses Haus schüchtert nicht ein, es lädt ein. Kinder, Hipster, Bildungsbürger – alle können sich in diesem Museum wohl und zuhause fühlen.
Wundertüte ja, Gemischtwarenladen nein
Aufregend ist nicht nur, was gezeigt wird im „neuen“ Museum Wiesbaden, sondern auch wie es gezeigt wird. Die Präsentation schafft es auf faszinierende Weise, Strenge und Sinnlichkeit zu vereinen. Die Vielfalt der Eindrücke ist eine Herausforderung, die anzunehmen große Lust bereitet – und dabei glücklicherweise fern vom Gemischtwarenladen, sondern eher eine Wundertüte.
PS: Über tausend Gäste kamen zur Eröffnungsfeier des Museums. Ministerin, Sponsoren, Mäzene, Sammler, Künstler, Handwerker, Direktoren anderer Museen – aber wo war bei einem Ereignis dieser Tragweite auch für die Stadt der Oberbürgermeister, wo die Kulturdezernentin? „Keine besonderen Gründe für ihre Abwesenheit, einfach Terminkollissionen“ antworteten auf unsere Anfrage die Pressestellen von Stadt und Museum so unisono wie lapidar. Na gut, wenn sie das so lässig sehen – aber seltsam scheint es schon irgendwie, dass ein Termin, der so höchstens alle zwanzig Jahre ansteht, nicht oberste Priorität in den zweifelsohne überfüllten Kalendern der städtischen Repräsentanten eingeräumt wurde.
Hier geht es zum sensor-Fotoalbum „7.000 Quadratmeter Staunen“ vom Eröffnungsabend im Museum Wiesbaden.
(Dirk Fellinghauer)
Eintritt frei am „Opening Weekend“
Anlässlich der Neupräsentation der Alten Meister und der Eröffnung der neuen Dauerausstellung „Ästhetik der Natur“ der Naturhistorischen Sammlungen ist der Eintritt ins Museum Wiesbaden am Samstag, den 11. Mai sowie am Sonntag, den 12. Mai frei. An beiden Tagen bietet das Museum Wiesbaden umfangreiche Informationspunkte in den Sammlungen, ein buntes museumspädagogisches Programm mit Möglichkeiten zum Malen, Bauen und Zeichnen sowie Führungen und Vorträge. Am 12. Mai um 11 Uhr referiert der Evolutionsbiologe Prof. Dr. Josef H. Reichholf zum Thema “Ästhetik der Natur – Darwins Probleme mit der Schönheit”. www.museum-wiesbaden.de