Von Dirk Fellinghauer. Fotos Gogol Center, Moskau.
„Who Is happy in Russia?“, diese Frage kann im Russland eines Wladimir Putin, der gerade mal wieder als russischer Präsident bestätigt wurde, leicht zur Provokation werden. Zumal in einem Theaterstück, das eine eindeutige Antwort gibt: „No one!“. sensor präsentiert den laut F.A.Z. „wohl größten Coup“ der diesjährigen Maifestspiele am 3. und 4. Mai im Großen Haus des Staatstheaters.
Kirill Serebrennikov, einer der Regiestars des russischen Theaters und zugleich international gefeierter Film- und Opernregisseur, wurde in den letzten Jahren zum Sprachrohr einer jungen russischen Generation, die sich mit dem Status quo nicht abfinden will. Seine vom Publikum geliebten Inszenierungen ließen ihn in die politische Schusslinie geraten und brachten ihm zuletzt gar Hausarrest ein – offiziell wegen „schweren Betrugs“. Im August 2017 wurde er in St. Petersburg bei Dreharbeiten verhaftet. In Moskau wurde der Künstler von maskierten Männern in Handschellen in den Gerichtssaal geführt und dem Richter in einem Käfig vorgeführt. Zwar darf Serebrennikow inzwischen für zwei Stunden am Tag seine Wohnung verlassen und spazieren gehen, ansonsten besteht der Hausarrest jedoch weiter.
Klar also, dass der künstlerische Leiter des Gogol Center Moskau, nicht dabei sein kann, wenn seine Inszenierung bei den Internationalen Maifestspielen im Großen Haus des Staatstheaters Europa-Premiere feiert. Wer ein Zeichen senden will, unterzeichnet die „Freiheit für Kirill Serebrennikov“-Petition auf change.org und reiht sich bei (zu Redaktionsschluss) über 50.000 Unterstützern aus der ganzen Welt ein. Eine besondere Form der Solidaritätsbekundung hat sich Staatstheater-Indentant Uwe-Eric Laufenberg ausgedacht. In einer Kunstinstallation bietet er Ex-Kanzler Gerhard Schröder als Geisel im Austausch gegen den Moskauer Regisseur an – auf dass dieser doch das Gastspiel in Wiesbaden besuchen könne – freilich ohne Aussicht auf „Erfolg“, im Gegenteil. Der Hausarrest wurde vor wenigen Tagen verlängert.
„Absurde Vorwürfe, Vorverurteilung und Arbeitsverbot“
„Serebrennikov wird vorgeworfen, Gelder mittels einer nie stattgefundenen Inszenierung von Shakespeares `Sommernachtstraum´ veruntreut zu haben. Videoaufnahmen, Rezensionen, Zuschauerberichte auf Facebook, Gastspiele in Riga und Paris, eine Nominierung für den Russischen Nationaltheaterpreis `Golden Mask´ und nicht zuletzt der Spielplan des Gogol Center in Moskau beweisen, dass dieser Vorwurf absurd ist“, heißt es dort – und weiter: „Unverhältnismäßig ist auch der Hausarrest, der bis Prozessbeginn über ihn verhängt wurde. Serebrennikov muss eine Fußfessel tragen, darf Internet und Email nicht nutzen und nur nahe Familienangehörige empfangen. Das bedeutet nichts anderes als Kontaktsperre, Vorverurteilung und Arbeitsverbot für einen der berühmtesten russischen Gegenwartskünstler.“ Initiiert wurde die Petition vom Leiter der Berliner Schaubühne, Thomas Ostermeier, und dem Dramatiker Marius von Mayenburg. Zu den Erstunterzeichnern gehören unter anderem der aus Wiesbaden stammende Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff, Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek oder die doppelt Oscar-gekrönte Schauspielerin Cate Blanchett.
Russischer Klassiker, provokant neu interpretiert
„Who Is happy in Russia?“ basiert auf einem Klassiker russischer Literatur, den jedes Schulkind in Russland auswendig lernt: einem Gedicht von Nikolai Nekrassow, dem russischen Brecht des 19. Jahrhunderts. Bei Serebrennikov wird es in einem furiosen multimedialen Abend als bildreiches entlarvendes Märchen zur Parabel über das heutige Russland – zwischen Tanz, Sprechtheater und Performance – grellbunt, sinnlich, mit grandiosen Schauspielern und voller Melancholie. Und mit einer Liveband, die das Geschehen mit musikalischen Sounds von Liebesliedern über Blues und Jazz bis zu Rock begleitet.
Die Antwort auf die Frage des Abends kann schon vorweg genommen werden: “No one!”. Wie die Beantwortung der Frage zum Bühnenereignis wird, muss man selbst erleben.
sensor präsentiert als Medienpartner die Europa-Premiere von „Who Is Happy In Russia?“, das Gastspiel des Gogol Center Moskau im Rahmen der Internationalen Maifestspiele, die am 30. April eröffnet werden. Vorstellungen sind am 3. und 4. Mai um 19.30 Uhr im Großen Haus des Hessischen Staatstheaters. Wir verlosen 5×2 Freikarten für die Vorstellung am 3. Mai, der sich ein Meet & Greet mit den Künstlern im Theaterfoyer anschließt. Mail an losi@sensor-wiesbaden.de – www.maifestspiele.de