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Das 2×5-Interview: Konstantin Wecker (74), Musiker und Autor: „Idiotisch, Krieg durch Krieg besiegen zu wollen“

Interview: Olaf Neumann. Foto: Thomas Karsten.

BERUF

Sie haben ein Album und ein Buch der positiven Vision gewidmet, der Utopie. Welche realisierbare Veränderung wäre eine wichtige Wegmarke für einen Pfadwechsel?

Zuerst einmal finde ich es wichtig, dass die wunderschöne Idee der Utopie überhaupt am Leben erhalten wird. Der Neoliberalismus und Kapitalismus, das Patriarchat und die Diktatoren tun ja alles dafür, dass die herrschaftsfreie Idee von Utopia als spinnös bezeichnet wird. Die Kunst hat aber die Aufgabe, sie weiterzutragen. Zum Beispiel Stefan Zweigs atemberaubend schönes Buch über Erasmus von Rotterdam. Dieser hat seinem Freund Thomas Morus, Autor von „Utopia“, ein Buch gewidmet. Dadurch habe ich mich noch einmal intensiv mit meinen politischen Grundthemen Räterepublik und Anarchie und mit Utopia beschäftigt.

Die Utopie der Sechzigerjahre lautete, wir werden irgendwann mal befreit sein und ein befriedetes Dasein miteinander führen. Die Gegenwart sieht aber ganz anders aus: Möchtegern-Diktatoren, Aufrüstung, kriegerische Auseinandersetzungen, weltweite Pandemie. Hat die Zukunft ihre Überzeugungskraft verloren?

Nein, denn es sieht nach einem letzten großen Aufbäumen des Patriarchats und des Kapitalismus aus. In meinem neuen Buch, das gleichzeitig mit dem Album erscheint (live am 26. März im Kurhaus Wiesbaden), habe ich zwei Kapitel der Utopie und der Anarchie gewidmet. Während dieser pandemischen Zeiten dürfen wir nicht vergessen, dass es weltweit auch antirassistische Bewegungen gibt. Oder eine starke Frauenbewegung, auch in Ländern wo man sie nie erwartet hätte. Ich habe Leute von Fridays For Future kennengelernt, weil ich auf diese Bewegung eine Laudatio gehalten habe. Atemberaubend, was das für kluge junge Menschen sind!

Woran machen Sie das fest?

Die begehen nicht die Fehler, die uns nach der 68er-Revolution passiert sind. Ich bin kein Politikwissenschaftler, aber ich habe diese lustvollen anarchischen Ideen noch selbst erlebt. Jedoch wurden sie im Lauf der Zeit durch strenge Ideologien kaputt gemacht. Meine Bühne wurde in den 1970er und 1980er Jahren häufig besetzt von den verschiedensten linksradikalen Gruppen. Die meinten, nur ihre eigene Ideologie könne die Welt retten. Genau das hat der Neoliberalismus mit seinen Thinktanks sich zu Nutze gemacht. Der Klassenfeind hat leider gesiegt.

Was macht Fridays For Future aus Ihrer Sicht anders?

Diese Bewegung ist zum Beispiel weiblicher. Wir hatten zwar den Feminismus intellektuell akzeptiert, aber wir Nachkriegsgeborenen waren im Endeffekt eine Machogeneration. Zum Glück waren meine Eltern Antifaschisten, weswegen ich nicht gegen sie demonstrieren musste. Zum Teil bin ich sogar mit meiner Mutter auf Demos gegangen. Ein glücklicher Zufall, dass ich in dieses Elternhaus hineingeboren wurde.

Sie glauben nicht an die Aufrüstung. Was wäre Ihre Waffe gegen Krieg?

Meine Waffe ist die Zärtlichkeit, die Liebe, die Poesie. Es ist völlig idiotisch, Krieg durch Krieg besiegen zu wollen. Entweder es wird ein wirklich pazifistisches Zeitalter kommen oder die Menschheit wird zugrunde gehen. Kaum vorstellbar, dass die Atombomben, die vorhanden sind, im Falle eines Krieges nicht eingesetzt werden.

MENSCH

Haben Sie gegen autoritäre Pädagogen aufbegehrt?

Auf meiner Volksschule und dem Gymnasium waren die unangenehmsten Nazi-Lehrer. Wo hätten sie auch andere herkriegen sollen? Es wurde einem mit dem Lineal auf die Finger geschlagen, bis sie bluteten. Ins Gymnasium ging ich als 13-Jähriger ganz bewusst mit Bakunin und Kropotkin unterm Arm. Ich hatte die nicht gelesen, aber ich wusste, mit diesen Anarchisten provoziere ich meine Lehrer. Zum Glück hatten wir auch großartige Referendare. Ich sage Lehrern heute immer: „Wenn ihr nur einen aus der Klasse erreicht, habt ihr schon gewonnen!“.

Sie haben Ihr berühmtes Lied „Willy“ neu eingespielt, widmen es dem 22-jährigen Vili Viorel Păun, der den Attentäter von Hanau verfolgte, sich ihm mit seinem Auto in den Weg stellte und dafür kaltblütig erschossen wurde. Vili Păun, der 2017 von Rumänien nach Deutschland kam, erhielt posthum die Hessische Medaille für Zivilcourage. In „Schäm dich, Europa!“ klagen Sie nun die Flüchtlingspolitik an. Was stört Sie daran im Speziellen?

Es gibt viele engagierte Menschen, die sich um Migrant:innen kümmern. Meine Frau zum Beispiel war auf Lesbos. Es ist zum Heulen, wie Europa heimtückisch die Grenzen zumacht, Geflüchtete auf dem Meer verrecken lässt und Bündnisse mit Syrien schließt. Eine Schande für Europa! Der Bürgermeister von Palermo sagt, wir könnten Millionen von Menschen aufnehmen. Das verlangt eigentlich die Humanität. „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ ist ein Grundgedanke der europäischen Idee, aber der Waffenhandel ist in der Pandemie in Europa um zehn Prozent gestiegen. Diese Summen könnten Leute mit wenig Geld dringend gebrauchen, die sich sehr viel schneller infizieren als andere.

Wie kommt es, dass heute Rassisten und Faschisten wieder überall in den Parlamenten sitzen?

Aus Bequemlichkeit. Die Wähler denken, ihnen werde das bisschen Wohlstand bewahrt. Es ist auch eine tiefe Angst davor, sich immer wieder etwas Neuem stellen zu müssen. Ich werde mich immer gegen die Taten der Neonazis stellen, aber verurteilen kann ich niemanden. Was für eine Kindheit muss der Nazi gehabt haben?! Gerade jemand wie ich sollte sich im moralischen Verurteilen zurückhalten. Ich habe mich jetzt wieder mit Wilhelm Reichs „Massenpsychologie des Faschismus“ beschäftigt. Der Faschismus konnte nur durch Mythen groß werden, die durch die Ratio nicht zu knacken waren. Bei den Nazis gab es keine Entwicklung des Hirns.

Sie haben die Hoffnung, dass die Pandemie die Gesellschaft zusammenschweißen wird: „Corona kann eine Wende sein hin zu mehr Solidarität und Menschlichkeit“. Woran machen Sie das fest?

Das sind eigene Beobachtungen. Vielleicht begreifen viele Menschen den Wahnsinn des Kapitalismus jetzt ein bisschen mehr als vor der Pandemie.

Glauben Sie, dass Menschen bereit wären, zugunsten der Umwelt auf Wohlstand à la doppeltes Einkommen, Eigenheim im Grünen mit Schottergarten und SUV zu verzichten? Und: Sind Sie selbst mit der Zeit zu einem „Öko“ geworden?

In gewisser Weise ja. Ich könnte das Engagement für Parents For Future und Fridays For Future nicht mittragen, wenn ich nicht im tiefsten Herzen auch so handeln würde. Aber man macht immer wieder Fehler. Ob andere bereit sind? Vielleicht, weil sie Kinder haben. Die Erde wird so nicht überleben. Wir haben alles getan, um unsere Umwelt und Tierwelt zu vernichten. Aber die eingefleischten Kapitalisten werden sicher nicht Verzicht üben. Die leugnen ja auch den Klimawandel. Dann können sie so weiterleben wie bisher.

Konstantin Wecker – „Utopia. Eine Konzertreise“ live am Samstag, 26. März, 20 Uhr im Kurhaus Wiesbaden. Karten gibt es noch an den bekannten Stellen und an der Abendkasse, Infos unter www.wecker.de

 

 

 

 

 

1 response to “Das 2×5-Interview: Konstantin Wecker (74), Musiker und Autor: „Idiotisch, Krieg durch Krieg besiegen zu wollen“

  1. Mensch Konstantin, leider können so tolle Menschen wie du die Welt nicht retten. Tritt in deinem Alter aber bitte ein bisschen kürzer, sonst machst du eventuell zu früh endgültig schlapp. Ich bewundere deine Power und frage mich wirklich, wie du so konsequent dir treu geblieben bist..liebe Grüße ein….

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