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Der große Test: Stadtführungen – Wiesbaden mit neuen Augen erkunden

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Von Stefanie Pietzsch. Fotos Alexa Sommer,  Veranstalter.

Wer auf die Idee kommt, eine Stadtführung in der eigenen Stadt zu machen, also hier in Wiesbaden, hat die Qual der Wahl. Das Angebot ist inzwischen beachtlich und richtet sich durchaus auch an Einheimische: Insgesamt sind es rund 1600 Angebote, die von etwa 34 000 Teilnehmern über das Jahr verteilt wahrgenommen werden. Es gibt auch viel zu erzählen und zu zeigen in Wiesbaden – nicht zuletzt wegen der einmaligen historischen Bausubstanz. In den letzten zehn Jahren haben sich nicht unbedingt nur die Inhalte erweitert – wie spezielle Stadtteilführungen – es sind auch neue Formen und Anbieter hinzugekommen: Segwaytouren oder kulinarische Rundgänge zum Beispiel.

10isstwiesbadenBis vor sieben Jahren ein unüberschaubares Durcheinander an Angeboten, sind heute alle in der 116 Seiten starken Stadtführungsbroschüre der Stadt strukturiert zusammengefasst. „Wir haben damals alle Anbieter an einen Tisch geholt und die Themen zusammengepackt“, erzählt Martin Michel, Geschäftsführer der Wiesbaden Marketing GmbH. „Die Kundschaft hat sich verändert, darauf müssen sich Anbieter heute einstellen.“ Zum einen seien es die wachsenden Ansprüche nach dem Erlebnischarakter. Zum anderen komme jeder vierte Interessent aus dem Ausland. Dass sich Special-Interest-Führungen immer mehr entwickelt haben, findet Martin Michel gut, wichtig ist ihm dabei die Qualität. „Für uns sind die Gästeführer die Aushängeschilder, die Botschafter, der Stadt.“ Deshalb legt die Stadt viel Wert auf eine profunde Aus- und Fortbildung ihrer 40 selbstständigen Guides. Angeboten werden diese zum Beispiel vom Gästeführerverband, der nach den Richtlinien des Bundesverbandes der Gästeführer in Deutschland arbeitet oder von der IHK. „Ein guter Gästeführer muss individuell auf eine Gruppe eingehen können und muss die Verhaltensregeln kennen – ein Kegelverein hat andere Erwartungen als eine politische Delegation“, erklärt Michel. Die meisten Touren sind auch über die Tourist-Information am Dern´schen Gelände buchbar, bei der es auch die Broschüre gibt.

Bevor wir uns selbst auf vier ausgewählte Touren gemacht haben, wollten wir vom Wiesbaden Marketing-Chef Martin Michel wissen, welches die Klassiker sind oder welches die Renner und ob es Geheimtipps gibt?

CulttourenDer Klassiker: Zum Einstieg für Gruppen von außerhalb empfiehlt Martin Michel: Facettenreiches Wiesbaden – Stadtrundgang zum Kennenlernen (9 Euro). Klassiker sind für ihn auch die Villenrundgänge (9,50 Euro). Einen haben wir getestet.

Der Renner: „Unsere Cashcow ist fast immer ausgebucht“: Henkell & Co. Sektkellerei – So prickelnd kann Trocken sein (9 Euro inkl. 1er Sektprobe und Piccolo). Die Touren mit der kleinen Stadtbahn Thermine seien auch sehr beliebt. Kein Wunder, bietet lassen sich doch hier mit besonderem Charme im luftgefederten Wagen interessante Sehenswürdigkeiten sowie Geschichte und Geschichten der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden buchstäblich „erfahren“, informativ, kurzweilig und unterhaltsam präsentiert von dem bekannten Rundfunkmoderator Nick Benjamin. An der griechischen Kapelle oder im Nerotal kann die Fahrt unterbrochen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder fortgesetzt werden. Für „kleine und junggebliebene Gäste“ wird auch die spannende „Thermine-Hörspielfahrt“ angeboten. (www.thermine.de)

Der Geheimtipp: „Eines unserer Special-Interest-Themen“: Von ‚Klein-Hollywood‘ zu Staatsanwalt und Tatort. Über die Entwicklung Wiesbadens zur Film- und Medienstadt mit original-Schauplätzen (9,50 Euro) oder die Führung durch den sonst verschlossenen Weinberg mit anschließender 3-er Weinprobe und herrlicher Aussicht: Neroberg – Der Weinberg (21 Euro).

Und nun geht es auf unsere Test-Touren.

Cult-Touren (0163/494 80 05, cult-touren.de): Brahms-Wanderung

Katharina Bahn ist studierte Betriebswirtin und alter Hase im internationalen Tourismus. Vor drei Jahren hat sie angefangen – zunächst für Freunde, inzwischen für alle – Erlebnistouren „vor der Haustür“ zu entwickeln. Sie wandert gerne und kennt ihre Stadt und das Land drum herum so gut, dass es inzwischen 17 Touren gibt: Auf dem E-Bike oder per Pedes. Allen gleich ist, dass Katharina Bahn immer Spannendes zu erzählen und zu zeigen hat. Und das kann sie sehr gut. Einen Vorgeschmack bekommt man schon auf der Website. Weil Thema und Zeit sehr gut passen, laufen wir die Brahms-Wanderung mit: Von der Schönen Aussicht, wo die Brahms-Villa steht, über das Dambachtal auf den Neroberg und weiter hinaus, wo der Komponist gern spazieren gegangen ist. Die Geschichten und Anekdoten sind kurzweilig verpackt. Wir arbeiten uns langsam an die 24villentourdritte Sinfonie heran, auch „Wiesbadener Sinfonie“ genannt, die Brahms im Sommer 1883 in seinem Wiesbadener Sommersitz komponiert hat. Zu hören bekommen wir sie an lauschigen stillen Plätzen. Man merkt, dass Katharina Ahnung hat, und der Spaß kommt auch nicht zu kurz. Der Preis mit 15 Euro pro Erwachsenem ist ok, für Kinder bis 12 Jahren 7 Euro auch. Fazit: Die Frau weiß was sie tut und kann. Mit viel Freude und Leidenschaft, lässt sie Mitwanderer ihre Touren erleben.

Segtours Wiesbaden (0611/240 402-76, segtours-wiesbaden.de): Durch Wiesbaden schweben

Den einen hat das Segway-Fieber in Köln, den anderen in Paris gepackt. Zurück in Wiesbaden, eröffnen Thomas Becht und Tobias Hahne 2012 als offizieller Tourpartner von Segway Deutschland Segtours Wiesbaden. Inzwischen haben sie neun Fahrzeuge und bieten regelmäßig vier Touren in und um Wiesbaden an, für Firmen oder private Gruppen auch individuell ausgearbeitet. Wir entscheiden uns für Tour 1„Wiesbaden erschweben.“ Unser Guide heißt Alex und ist selbst begeistertet Segway-Fahrer. Seit einem Jahr ist er dabei, nebenberuflich. Wir bekommen eine gründliche Einweisung in die Fahr- und Sicherheitstechnik, und los geht es. Von der Unteren Albrechtstraße über die Stadt ins Nerotal und hinauf zum Hausberg und wieder zurück. Gute zweieinhalb Stunden sind wir unterwegs. An Zwischenstopps erfahren wir ein paar Hard Facts zur Stadt. Im Vordergrund steht hier jedoch ganz klar der Spaß beim Fahren und in der Gruppe – den hatten wir definitiv, auch dank unseres smarten Guides. Und so lautet das Fazit: Eine schöne Spaß-Tour, für die ein Mofaführerschein reicht, die für 69 Euro sicher nicht ganz billig ist, und bei der man nicht mit dem Anspruch kommen sollte, in die tiefe Geschichte der Stadt einzutauchen. Vielleicht würden hier ja besser Touren passen, die das junge Wiesbaden mit szenigen Orten zeigen, die man sonst eher vermisst.

12isstwiesbadenDas isst Wiesbaden (0176/207 220 47, dass-isst-wiesbaden.de):

Britta Johannsen gehört noch zu den Youngstern in der Guide-Szene ist damit nebenberuflich unterwegs. Seit Juni 2016 führt sie ihre Gäste zu kulinarischen Geheimtipps. Geheim auch deshalb, weil sie vorher nicht verrät wo es hingeht, nur so viel: Sie befinden sich im historischen Fünfeck. Seit 2005 in Wiesbaden hat sich durch die Gastroszene gekämpft und auch sehr schöne Orte gefunden. An jeder Station gibt es eine kleine Kostprobe – fest oder flüssig. Ihre Erzählungen und Anekdoten beschreibt sie locker und kurzweilig – ob über Plätze in der Stadt oder, wenn der Chef oder die Chefin selbst nicht da ist, über die Geschichte des Lokals in das wie einkehren. Man spürt die Leidenschaft dahinter und ihr Anliegen, Läden zu zeigen, die abseits der Hauptwege in der Stadt liegen. Fazit: Portfolio mit fünf bis sechs Stationen und gut informierter Guide können sich sehen lassen. Wir gehen satt und zufrieden nachhause. Ein kleines kulinarisches Geschenk gab’s zum Schluss auch noch. Die Tour für 35 Euro topp!

KulTour & Mehr  (0171/ 200 67 04, kultour-und-mehr.de): Villenrundgang 26villentourIII: Rund um den Kurpark

Rainer Niebergall ist gebürtiger Wiesbadener und studierter Historiker. Angefangen vor etwa zehn Jahre mit regelmäßigen Stadtführungen unter dem Motto „Straßen erzählen Geschichte(n)“, scheint er heute alle Straßen und Ecken Wiesbadens samt ihrer Architekten, einstigen Bewohner und deren Liebschaften zu kennen. Mittlerweile geht er mit seinen Gästen auf über 30 Entdeckungstouren durch nahezu alle Viertel innerhalb und außerhalb des ersten Rings. Wir entscheiden uns für den Villenrundgang entlang der Sonnenbergerstraße. Niebergall zeigt uns die vielen einstigen Hotels, in der heute Unternehmen residieren oder Privatleute wohnen. Wir erfahren viel über die Bauweisen, bekommen Details an den Häusern gezeigt, die man erst beim zweiten Blick sieht, ihren Niedergang und Wiederaufbau oder „Verbau“ und vor allem eine Menge Anekdoten und Bilder über die Zeiten und Menschen, die hier gelebt haben, als es noch „Neubaugebiet“ war. Fazit: Prädikat wertvoll! Man fühlt sich wie auf einer Zeitreise, die nach knapp zwei Stunden zu Ende ist und nach mehr schreit. Rheingauviertel, Westend vielleicht …?
27villentourResümee: Freilich, das war nur eine kleine Auswahl, die wir getroffen haben. Und freilich, in Wiesbaden gibt es historisch viel Interessantes zu entdecken. Dagegen gibt es nichts zu sagen. Heißt es doch, dass keine andere deutsche Stadt den Historismus so ausgeprägt und vielseitig repräsentiert wie Wiesbaden und, dass hier alle Stilphasen vom frühen 19. Jahrhundert bis 1918 vertreten sind. Das finden wir auch großartig. Dennoch: Unter all den vielen Angeboten haben wir etwas vermisst. Eine Stadt, die sich gerade im Wandel befindet, in der viele Ideenschmieden entstanden sind, deren Mitstreiter aktiv etwas tun und über die Zukunft ihrer Stadt diskutieren, eine Stadt, die zu den kreativsten der Republik und zu den Geburtenreichsten zählt – wäre es nicht genau für diese an der Zeit, sich auch von ihrer jungen, modernen und frischen Seite zu zeigen? Wie wäre es mit „Moderner Architektur“, mit „Szeniges Wiesbaden“ oder „Kreatives Wiesbaden“ oder „Mit Kind und Kegel auf Entdeckungstour“ – um nur ein paar Anregungen zu geben.  Zur Inspiration, wie man Wiesbaden noch zeigen könnte, können sich Blicke in andere Städte lohnen.

Habt ihr schon mal an Stadtführungen teilgenommen? Welche Tipps habt ihr?