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Der Stehauf-Drummer: Wiesbadener Musikgröße kämpft – und trommelt – sich nach Schlaganfall zurück

Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Samira Schulz.

Ein Schlaganfall riss den Wiesbadener Vollblutmusiker mitten aus dem Leben. Er kämpft – und trommelt – sich zurück.

Langsam kommt Wolfgang Stamm um die Ecke – ganz langsam, aber auf eigenen Beinen. Er hat sich mit großer Energie wieder aufgerappelt, denn ein Vollblutmusiker wie er kann es nur schlecht ertragen, zur Untätigkeit verdammt zu sein. Das war der Fall, als ihn im Februar 2020 ein Schlaganfall beim Renovieren niederstreckte. Mitten aus dem Leben gerissen, wie er sich erinnert.

Er habe zunächst nicht sprechen könnenm und auch sonst war er schwer gehandicapt. Mit diversen Reha-Maßnahmen kämpfte sich Stamm zurück ins Leben. Dabei konnte er sich auch auf die Hilfe seiner Familie – Ehefrau Sabine und die drei erwachsenen Kinder Djuna, Lara und Vincent – verlassen. In seiner schönen Villa an der Biebricher Allee hat sich Wolfgang Stamm auch wieder ans Musikmachen gewagt.

Mischpult neben dem Pflegebett

Im  Zimmer mit dem Pflegebett steht auch ein Mischpult und diverses Zubehör. Und im Kellerstudio kann er auch Schlagzeug spielen – mit einer Hand, denn die linke ist noch gelähmt. Aber es funktioniert. Und vor allem motiviert es ihn, weiterzumachen. Denn ohne Musik kann er nicht leben, wie er erzählt: Schon als Schüler der Wiesbadener Oranienschule hat er “dank eines sehr progressiven Musiklehrers“ Zugang zur Rockmusik von Led Zeppelin oder The Who gefunden: „Der hat auch mal einen Dirigenten vom Staatstheater in den Unterricht geholt, der uns aus seinem Alltag erzählt hat.“

Gottesdienst gerockt

Bald gab es eine Schülerband, die zunächst im elterlichen Keller in Auringen probte. „Dann hat uns mein Vater einen Proberaum in Naurod besorgt.“ Dort wurde wieder ein „progressiver“ Mensch auf die Band namens „Aha!“ aufmerksam, nämlich der Pfarrer. „Wir haben im Gottesdienst gerockt.“ Wolfgang Stamm studierte Schlagzeug fürs Orchester, obwohl er im Herzen ein Rocker war. Aber so konnte er seinen Wunschberuf ergreifen. Ein kurzes Intermezzo in einem Orchester zeigte ihm: Das ist es tatsächlich nicht. Und dann folgen viele, viele Erzählungen von Bands und anderen Ensembles, von der Wiesbadener Rock – und Jazz-Szene der 80er bis heute.

Mit allen hat er gespielt

Überall war Stamm dabei. Tom Woll, der kürzlich verstorbene Lothar Pohl, die Nize Boyz, Joan Faulkner, Juice-Exbrass, die Frankfurt City Blues Band, Nanette Scriba, Hotel Bossa Nova, Musicals im Staatstheater, Gospel-Chöre, das Good Music Trio mit Gert Zimanowski und Klaus Noll, mit allen hat er gespielt. Aber er berichtet auch von Überregionalem: Vom Panik-Orchester von Udo Lindenberg zum Beispiel, Joco Abendroth, „Indigo“, Studio-Gigs, Werbung … Wolfgang Stamm erzählt und erzählt, und es wirkt gar nicht so, als hadere er mit seinem Schicksal. Im Gegenteil.

Mit The Who in den OP-Saal

Es macht ihm große Freude, aus seiner musikalischen Biographie zu erzählen. Sogar Anekdoten wie jene, als er sich als „Einmarschmusik“ in den OP-Saal den Song „Won’t get fooled again“ von The Who ausgesucht hatte. Und er hat ja auch nicht die Flinte ins Korn geworfen. Er gibt wieder Unterricht, er lädt zu einer unverbindlichen Schnupperstunde ein – „ich kann innerhalb dieser Stunde feststellen, ob Schlagzeug überhaupt etwas für Sie ist“.

Er baut künstlerische „Klangkisten“ in Zusammenarbeit mit dem Wiesbadener Klangkünstler Axel Schweppe. Tochter Djuna will sie später in einem Pop-Up-Laden bei „Godot“ anbieten, „es gab sie auch schon bei „Kunst zu schenken“ in der Walkmühle“.

Pläne ohne Ende

Er interessiert sich für ein Studium in Mainz: „Klangkunst und Komposition“. Er möchte seine Geschichte aufschreiben, er reimt Verse – „Für irgendwas muss dieser Scheiß-Schlaganfall doch gut sein“, sagt Wolfgang Stamm. Auftreten möchte er im nächsten Jahr auch wieder mit einer Band, noch ohne Namen, beim Biebricher Höfefest im Hof Casselmann: „Ich hoffe, es klappt.“

Als Rollstuhlfahrer nimmt er natürlich auch alle Hindernisse wahr, die sich auf den Straßen und Bürgersteigen Wiesbadens sammeln: Falsch geparkte E-Scooter, zugeparkte abgesenkte Bordsteine an Straßenecken, im Weg stehende Mülltonnen. „Das behindert ja Leute mit Kinderwagen ganz genauso“, sagt Stamm und appelliert an alle, mal verschärft über so etwas nachzudenken. Eine Assistentin hilft ihm, fährt ihn auch mal zu einem Konzert, das er miterleben will – „ich hab schon im Krankenhaus ständig auf Youtube Musikvideos geguckt.“  Und die Familie unterstützt den Drummer, sie hat sogar ein Crowdfunding initiiert, damit sein Leben im Rolli erleichtert wird. Die Aktion hatte großen Erfolg. „Aber Musikmachen ist die allerbeste Reha“, sagt Stamm. Man wird, so viel ist sicher, von ihm noch einiges hören.

 

1 response to “Der Stehauf-Drummer: Wiesbadener Musikgröße kämpft – und trommelt – sich nach Schlaganfall zurück

  1. Hallo Wolfgang, von Laura (ehemalige Mitbewohnerin in Aschaffenburg von deiner Tochter Lara) haben wir deinen Link gelesen. Es freut uns sehr zu sehen, dass du wieder aktiv in das Musikleben einsteigen kannst.
    Dazu wünschen wir dir alles gute, auch für die neue Band.
    liebe Grüße auch an deine Frau u Lara von Georg U Cornelia

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