Im Bereich der Fotografie ist eine abstrakt-expressionistische Bildgebung außergewöhnlich und auch artfremd. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich die Mehrzahl der Fotografen einer Bilderzeugung zuwendet, die Gegenständliches zum Thema hat. Es geht ihnen darum, den Zustand von Objekten zu einem bestimmten Zeitpunkt zu dokumentieren und so ihre Bildaussage zu formulieren. So ist die künstlerische Position von Thomas Wunsch, dessen Arbeiten weltweit ausgestellt werden und die das bekannte Label ECM regelmäßig als Plattencover veröffentlicht, eher singulär. Seine Fotos, die abstrakt-expressionistische Strukturen zeigen, sind ein Vorstoß in das Reich der Gestik, das zuvor dem Medium der Malerei vorbehalten war. Sie formulieren eine Neudefinition des Mediums der Fotografie und tragen zur Diskussion darüber bei, was Fotografie darf und soll.
Lässt man sich auf diese Bilder ein, gelangt man in einen Bereich des Vagen, alles verschwimmt und verliert seine Identität. Wir erkennen in diesen Fotografien vielleicht Aspekte von eigenen Beobachtungen oder Traumfragmenten. Der Betrachter wird in einen Bereich hineingezogen, den er nicht mehr fassen und definieren kann. So sind diese Fotografien wie ein Kurztraum am Tage, somnambule Motive, die nur noch durch transzendierendes Denken erfassbar sind und dabei von reinen Abbildungen zu Zeichen werden, die Tiefes und Übersinnliches indizieren.
Der Wiesbadener Thomas Wunsch, der im Alter von 17 Jahren die Fotografie für sich entdeckte, beweist, dass Transparenz, Raum, Inspiration und Ausdehnung ihren Niederschlag nicht zwangsläufig in gegenständlichen Fotografien finden müssen. Der Künstler bezieht sich in seinem Werk auf das Mystische, das in den Dingen steckt, und das er erst herausarbeitet, damit es dann vom Betrachter herausgelesen werden kann. Es ist nichts anderes als seine Suche nach einer anderen Wahrheit. Hinter den Werken des Künstlers steckt der Drang nach dem Erkunden eines neuen Wirklichkeitsbegriffs, der sich einer Gefälligkeit verströmenden Kunst entgegenstellt. Für Thomas Wunsch sind abstrakt-expressionistische Kunstwerke eine Radikalisierung, geknüpft an Findungen, die zugleich Seismograph subjektiver Innerlichkeit und Modellfall flukturierender Strukturen sein können.