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Die Kraft der Momente: Der ewige Clown. Seine Sehkraft hat Johannes Galli verloren, seinen Humor jedoch nicht

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Von Wolf Schneider. Fotos Kai Pelka.

Es ist der 20. April, ein herrlicher Frühlingssonnentag. Ich steige in der Adelheidstraße 21 aus, um dort im Galli-Theater Wiesbaden meinen alten Freund Johannes zu treffen. Zwei Frauen helfen ihm aus dem Auto, die Treppe hoch ins Theatercafé. Dort plaudern wir dann eine Stunde lang. „Galli“, so nennen ihn die meisten einfach, ist jetzt 64 Jahre alt und seit drei Jahren blind. Bis zum Alter von 60 Jahren hat Galli, der vor allem als Clown Berühmtheit erlangte, aus dem Vollen gelebt und auf nichts verzichtet. Von der Gefahr, durch schlechte Ernährung zuckerkrank zu werden, hatte er gewusst, die Ärzte hatten ihn eindringlich darauf hingewiesen. Seinen Lebensstil hat er trotzdem nicht geändert, bis der Diabetes sich zeigte in einem Stadium, da er schon nicht mehr heilbar war. Nun ist Galli blind, pflegebedürftig und lebt im Rollstuhl. Trotzdem geht er, der Theatergründer und Stückeschreiber, zwei Mal im Jahr noch selbst auf die Bühne.

Seine Botschaft bleibt: Lebe aus den Vollen

„Was hat sich für dich jetzt, in der Zeit deiner Krankheit, geändert?“, frage ich Galli, und er antwortet: „Ich fordere jetzt noch mehr als bisher die Menschen auf, aus dem Vollen zu leben. Höhepunkte oder Niederlagen, egal, lebe aus dem Vollen! Es bleiben dir gegen Ende deines Lebens nur die außergewöhnlichen Momente. Aus diesen schöpfe ich jetzt Kraft.“ – „Bereust du irgend etwas?“ Galli denkt nach, lacht und sagt „Nein“. „Tu ne regrettes rien?“. Er bestätigt. „Und wie ist dein Leben jetzt?“, will ich wissen. Es ist ruhig. Lesen kann er nicht mehr, nun zieht er sich Hörbücher rein, Satiresendungen im Radio, textet Lieder und schreibt jede Woche den Rundbrief Papagalli.

Dramatisierte Schicksale

Er hört sich Schicksale von anderen Menschen an, dramatisiert diese im Kopf und macht daraus Theaterstücke, alle zwei Wochen ein neues. Zwischendurch arbeitet er an alten Stücken. Feedback zur visuellen Inszenierung kann er nun nicht mehr geben, nun gibt er Feedback zu Stimme, Dialog- und Textqualität. Ob seine Feinheit in der akustischen Wahrnehmung gestiegen, will ich wissen. „Ja, weil die Stimme so viel transportiert, und weil sie auch vieles transportiert, was der Sprecher nicht weiß.“

Das Mann/Frau-Drama komisch aufzubereiten ist das Hauptthema seiner Abendtheaterstücke. Für Kinder hingegen inszeniert er die Grimmschen Märchen. Außerdem liegt ihm das Präventionstheater für Jugendliche am Herzen, Stücke wie „Krasser Stoff“ über Alkoholmissbrauch, „Zwei Freunde“ über die Integration oder „Adiposi“ über Fettsucht. Bei Kindern und Jugendlichen findet er ein offenherziges Publikum.“In der Schule kommen sie ja nicht vor, dort wissen die Lehrer immer alles besser“, sagt Galli mit einer gewissen Bitterkeit. In seinen Theaterworkshops hingegen spielen sie sich selbst und entdecken dabei Talente, von denen sie vorher nichts wussten. Die Behörden seien offen auch für die harten Themen, die meisten Lehrer aber hätten Angst vor ihren eigenen Gefühlen und seien dabei zunächst skeptisch. Erst der Erfolg bei den Jugendlichen überzeugt sie dann.

Dankbar für die Zeit, die bleibt

Jetzt, gegen Ende seines Lebens, will Johannes Galli zu Ende bringen, was er angefangen hat und empfindet Dankbarkeit für die Zeit, die ihm noch gegeben ist. „Rein statistisch hätte ich am 22. Februar dieses Jahres sterben müssen“, sagt er grinsend.“Ich habe meinen Ärzten an diesem Tag einen Piccolo spendiert, sie haben es geschafft, mich durchzubringen.“ Was schätzt du, wie viel Zeit du noch hast? „Wenn ich dieses Jahr noch schaffe, bin ich froh.“ Und was für eine Art von Tod möchtest du haben? „Das überlasse ich dem Schicksal, da misch’ ich mich nicht ein.“ Zum Tode Verurteilte haben aber noch einen Wunsch offen, wende ich ein. Galli: „Ich möchte ein Stück kreieren, das echtes Seelentheater ist. Ein Stück über den Weg der Seele nach dem Tod. Obwohl alle Menschen sterben müssen, interessieren sie sich nicht für den Tod. Ich bau’ mir ein Haus im Himmel, und wenn ich sterbe, ziehe ich dort ein. Das ist immer noch einer meiner Lieblingssprüche.“

Rheingau – New York – Wiesbaden

Johannes J. Galli, 1952 in Erbach im Rheingau geboren, ist laut Wikipedia „Unternehmer, Clown, Schauspieler, Regisseur, Musiker, Trainer, Coach, Philosoph und Autor“. 1984 gründete er sein erstes Theater in Freiburg, wo er auch studiert hatte. Es folgten Theatergründungen unter anderem in München, Frankfurt, Hamburg, Berlin, Weimar, Dresden, Erfurt, in seiner heutigen Hauptwirkungsstätte Wiesbaden und in New York, wo er für einige Jahre lebte und arbeitete. galli-wiesbaden.de