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„Durch die Bank alle empfanden sie als Bedrohung“ – Urheber der Überwachungskamera-Aktion erklärt sich

Überwachungskameras rund um die Kreuzung Goebenstraße/Scharnhorststraße, beim „Brückenschlag“ im äußeren Westend – die Meldung, die Fotos, das live vor Ort erleben sorgte letzte Woche für mächtig Aufsehen, Gesprächsstoff, mindestens für Verwunderung, bei vielen auch für Verärgerung. In den sozialen Medien und vor Ort auf der Straße. Nach nur einem Tag war alles wieder verschwunden. Es wurde und wird fleißig diskutiert, aber auch spekuliert. Wer steckt dahinter? Was sollte das Ganze? Wir haben den Urheber ausfindig gemacht und mit ihm über die Absichten der Aktion und die Reaktionen darauf gesprochen.

Aufgehängt wurden die Kameras von Björn Barbatschi, der an der Kreuzung ein Architekturbüro betreibt und dort auch letzten Sommer den „Brückenschlag“ geschaffen hat, der seither ein von unterschiedlichsten Menschen frequentierter, beliebter Treffpunkt geworden ist.

Du hast die „Überwachungskameras“ aufgehängt, die mächtig Aufsehen gesorgt haben – mit welcher Absicht?

Erstmal – eine kleine Entschuldigung an alle, die ich „erschreckt“ haben sollte! Die Aktion sollte ja aber genau mit dem Effekt spielen, dass eben nicht klar ist: Sind die Kameras echt? Ich hatte allerdings 50 Stück aufgehangen, alle rund um die Kreuzung drapiert an Schildern, Laternen und Regenrohren. Es sollte also eigentlich gleich klar werden: das ist so übertrieben, das kann nicht ernst gemeint sein.

Was macht das mit unserer demokratischen Gesellschaft?

Wir leben in einer komplizierten Zeit. Und wir leben in einer Zeit, in der es als Notwendigkeit gesehen wird, auch Bürgerrechte einzuschränken. Es geht mir gar nicht darum, dass dies grundsätzlich falsch und abzulehnen ist. Was mich aber sehr stört ist, dass praktisch keine Diskussion darüber stattfindet, ob das wirklich legitim ist und was das mit unserer demokratischen Gesellschaft macht.

Die Installation von Überwachungskameras hat ja in letzter Zeit deutlich zugenommen in Wiesbaden.

In unserer Stadt werden – auch praktisch ohne Beteiligung der Öffentlichkeit – an immer mehr Plätzen Überwachungskameras installiert. Dies passiert vorgeblich zu unser aller Schutz. Wie die Menschen diese Maßnahmen tatsächlich empfinden, was die Anwesenheit von Kameratechnik mit unserem Verhalten macht, wie sich das Empfinden zu einem Ort ändert, wenn er überwacht wird – darüber wollte ich eine Diskussion anstoßen. Deshalb habe ich diese Kunstaktion gestartet.

Das war also Kunst – und nun ist es schon wieder weg. Nach nur einem Tag waren die Kameras wieder verschwunden. Was ist passiert?

Einen Diskurs anzustoßen, war ja meine Absicht. Und natürlich ist das am Ende auch leise Kritik an den Überwachungsmaßnahmen der Stadt. Dass aber, so wurde mir von Augenzeugen berichtet, Mitarbeiter der städtischen Entsorgungsbetriebe die Kameras morgens einfach demontieren und mitnehmen – das hat mich schon sehr konsterniert. Man möchte unterstellen, dass jede Diskussion über die Überwachung des öffentlichen Raumes nicht gewünscht ist – und nicht akzeptiert wird!

Dabei hattest du ja Kontakt mit der Polizei und dich auch als Urheber der Aktion zu erkennen gegeben …

Ich finde so kleine Guerilla-Aktionen wie von Erika Mustermann super! (Anm. der Redaktion: „Erika Mustermann“ hatte vor knapp einem Jahr ebenfalls mit einer Überwachungskamera-Attrappe für Aufsehen gesorgt, sich von dieser Aktion aber augenzwinkernd – „Erika Mustermann gibt es nur in Gold“ distanziert). Ich wollte aber eine wirklich ernsthafte Diskussion. Und die kann ich nur führen, wenn ich als Person namentlich hinter der Sache stehe. Ich hatte mich am Donnerstag morgen der Stadtpolizei zu erkennen gegeben. Die haben die Aktion als Kunstaktion zu Protokoll genommen und auch Zweck und Dauer der Aktion notiert. In Gesprächen haben mir sowohl die Stadtpolizei als auch die Leitung der ELW versichert, dass ihrerseits die Entfernung der Kameras nicht veranlasst wurde.

Welche Reaktionen und Diskussionen hast du erlebt, während die Kameras hingen?

Ich habe natürlich die Leute intensiv beobachtet. Viele haben sich tatsächlich erstmal erschrocken; einige haben sogar laut geschimpft. Es waren aber genug darunter, die nach kurzem Erschrecken auch laut gelacht haben. Ich bin zu ganz vielen hingegangen und habe das als Kunstaktion zu erkennen gegeben. Die Reaktionen waren wirklich durchweg positiv – also bezogen auf die Aktion. Was mich erschreckt hat war, dass alle durch die Bank es für möglich hielten, dass die Kameras von offizieller Seite aufgebaut wurden.

Auf unserer Instagram-Seite kommentierte unter anderem jemand „Wenn man nicht mehr weiß, ob es @erika.mustermann_official ist oder (Ordnungsdezernent) Oliver Franz, ist das nicht gut …“

Ich habe ja ganz bewusst eine „letzte“ Hemmschwelle überschritten: Dass nämlich Überwachung nicht an Kriminalitätsschwerpunkten und – als Ausweitung – ganz allgemein an öffentlichen Orten aufgebaut werden. Die Aktion CAMERA-DIVISION sollte ja mitten in einem Wohnviertel stattfinden. Interessanter Weise ist diese Provokation von vielen, mit denen ich gesprochen habe, sofort auch so empfunden worden.

Wie schätzt du die Entfernung der Kameras ein?

Geplant war, die Aktion übers Wochenende laufen zu lassen. Ich wollte dann montags für Aufklärung sorgen und das Ganze als Kunst unter dem Namen CAMERA-DIVISION zu erkennen geben. Das hat nun durch das vorzeitige Ende der Aktion nicht funktioniert.

Nach dem ersten Schock muss ich allerdings sagen: eigentlich hat die Stadt eine Steilvorlage geliefert: die Diskussion um Bürgerechte in puncto Überwachung scheint sehr, sehr notwendig zu sein.

„Alle, wirklich alle, haben die Kameras als Bedrohung wahrgenommen“

Die offizielle Seite verspricht uns ja, dass Überwachung für die Bürger mehr Sicherheit bedeutet. Nun bleibt aber festzustellen, dass alle, wirklich durch die Bank alle Reaktionen dergestalt waren, dass die Kameras als Bedrohung wahrgenommen wurden.

Was hast du als Nächstes vor? In Sachen „Kameras“, und/oder auch andere Aktionen?

Na ja: was die Kameras angeht: ich hätte gerne wenigstens mein Eigentum wieder. Die Diskussion – insbesondere in den sozialen Medien ist ja angestoßen. Ich warte im Moment die Reaktion der ELW, mit deren Leitung ich sehr gute Gespräche geführt habe, bzw. der Straßenmeisterei  ab:  vielleicht war es ja nur mangelnde Kommunikation . . . Ich habe auch „Zeugen gesucht“-Zettel ausgelegt und hoffe auf Hinweise an die Mailadresse camera-division@gmx.de. Vielleicht haben es ja noch mehr Leute gesehen oder sogar Fotos gemacht, wie die Kameras verschwunden sind.

Die Kamera-Aktion ist durchaus politisch gemeint. Eigentlich versuche ich mich aber für den Kiez und das Miteinander zu engagieren.

Nächste Idee: Brot-Lose für brotlose Künstler

Wir, das meint die Gruppe, die auch schon den Brückenschlag organisiert hat, wollten schon zum Jahresanfang eine Aktion starten, die sich „Brot-Lose für brotlose Künstler“ nennt. Es sollen zu 99 Cent Brotlose verkauft werden – wobei der Erlös zu 100 Prozent in Förderung von Künstlern und/ oder deren Projekte fließt. Die Einzelhändler, die die Lose verkaufen und an der Aktion teilnehmen, sollen wiederum einen kleinen Sachpreis spenden. Und diese Spenden werden dann tatsächlich an alle Loskäufer online verlost. Die Reaktionen der Läden, bei denen wir eine Teilnahme angefragt haben, sind durchweg positiv.

Ich hatte nur unterschätzt, dass es ein deutsches Lotteriegesetz gibt, dass wir einen eingetragenen Verein gründen müssen, eine Steuerbefreiung beantragen müssen undsoweiter. Wir befinden uns im Moment in den berühmten langsam mahlenden Behördenmühlen: aber wir werden das durchziehen.

Du hast dem Westend auch  den „Brückenschlag“ beschert und damit seit der Installation im August 2020 einen einzigartigen Treffpunkt geschaffen. Was ist hierbei deine Absicht, welche Erfahrungen hast du seither gemacht und wie ist der aktuelle Stand – wird der Brückenschlag zur Dauereinrichtung?

Das Ganze ist eigentlich spontan als Idee im Zuge des ersten Lockdowns entstanden:  Ich wollte letztes Jahr auf die Notlage vieler Selbstständiger hinweisen und ich wollte etwas fürs Miteinander im Kiez machen.

Wie gut das angenommen wird und wie schön dieses „Miteinander“ funktioniert – davon bin ich ganz ehrlich selbst überrascht. Es treffen sich die unterschiedlichsten Menschen.

Uneingeschränkte Zustimmung – das klingt ja zu schön, um wahr zu sein. Irgendjemand hat doch immer irgendwas zu meckern …

Wie bei allem, was in der Öffentlichkeit stattfindet, gibt es natürlich auch Kritik – an manchen Abenden an der Lautstärke. Insgesamt höre ich aber sehr viel Positives. Einem Problem werden wir uns allerdings annehmen müssen: Wir brauchen eine Toilette an der Kreuzung. Da suche ich nach einer Lösung . . .

Stand jetzt ist, dass die Tische und Bänke bis Ende des Jahres stehen bleiben dürfen. Und dann müssen wir mal mit der Stadt reden, wie wir das in eine Dauerlösung überführen können und dürfen.

Was machst du eigentlich im „eigentlichen“ Leben?

Ich habe ein Architekturbüro und einen Holzbaubetrieb dazu. Ich komme ursprünglich aus dem Rheingau und da ist auch mein Hauptätigkeitsfeld. Über Arbeit kann ich mich nicht beschweren – eher darüber, dass die zu viel Raum einnimmt.

Deine Aktionen rund um dein Büro kosten viel Zeit, sicher auch nicht wenig Geld – was treibt dich an?

Ich würde mich durchaus als politisch denkenden Menschen bezeichnen. Und als solcher habe ich schon auch Kritik daran zu leisten, wie viele Dinge in Politik und Gesellschaft die letzten Jahre laufen.

Kritik ist das eine. Ich denke aber – und das soll jetzt nicht zu emphatisch klingen – die Demokratie funktioniert nur, wenn wir alle Verantwortung übernehmen, die an uns gestellten Aufgaben ernst nehmen. Es ist egal, ob dies den Arbeitsplatz, die Familie oder unser Umfeld meint.

Nur kritisieren ist einfach. Es ist mir einfach wichtig zu zeigen, dass man mit solchen Aktionen, mit Engagement für sein Umfeld, auch im Kleinen Dinge bewirken kann.